Süddeutsche Zeitung

"Yellowjackets" bei Sky:Allein im dunklen Wald

"Yellowjackets" erzählt die Geschichte einer jungen Frauen-Fußballmannschaft, die sich nach einem Flugzeugabsturz im Wald und in sich selbst verliert.

Von Magdalena Pulz

Extreme Notsituationen entlocken Menschen die verschiedensten Reaktionen. Ein Flugzeugabsturz: Manche schreien, manche weinen, andere erstarren. Die 16-jährige Misty nimmt eine Axt und hackt ihrem Trainer den von einem Flugzeugteil völlig zerquetschten Unterschenkel ab, zurrt mit einem Gürtel die Arterien zu, Druckverband drauf, fertig. Eine der anderen Überlebenden versucht, ihre Freundin zu beruhigen: "Das Schlimmste ist hinter uns. Wir haben einen Flugzeugabsturz überlebt." Und wie immer, wenn jemand sich so optimistisch äußert, wird es dann erst mal schlimmer. Viel, viel schlimmer.

Yellowjackets ist eine richtig gute neue Serie. Es geht um eine Highschool-Frauen-Fußballmannschaft, die vor 25 Jahren mit dem Flugzeug in der kanadischen Wildnis abstürzte und da Herr-der-Fliegen-Style vor sich hinvegetiert. Wie sehr die jungen Frauen sich verlieren, zeigt gleich der Anfang: In schmutzigen, pinken Converse und in Felle gewickelt verfolgen sie eines ihrer ehemaligen Teammitglieder durch den Wald. Das Mädchen rennt barfuß im Schnee, bis es in eine Fallgrube tappt - und aufgepfählt wird. Damit aber nicht genug: Die Tote wird von den Albtraumwesen, die einmal normale Mädchen gewesen sind, aus dem Loch gezogen, ausgeblutet, und dann: gegessen.

Na ja, denkt sich der ein oder andere jetzt vielleicht. So ganz neu ist das mit dem Überlebenskampf außerhalb oder sogar nach aller Zivilisation jetzt aber nicht mehr: Lost, The Walking Dead, The 100 - die Liste ist lang. Yellowjackets kann aber mehr. Hier stranden die Teenager nicht nur und geben sich dann der Eskalation ganz im Sinne des Hobbes'schen Leviathan hin - nein, sie werden - zumindest zum Teil - nach 19 langen Monaten tatsächlich wiedergefunden. Und da stellt sich die Frage: Was wird aus Menschen, die in einer für ihren Charakter prägenden Zeit mehr als nur Blut gerochen haben?

Es ist ein Kunststück, zwei Timelines gleich spannend zu erzählen

Was der ehemaligen Fußballmannschaft "out there" wirklich passiert ist, was sie getan haben, und wie sie überlebt haben, darüber wird in der Welt von Yellowjackets noch Jahre später spekuliert. Die Geretteten schweigen. Davon wird ein Geheimnis aber bekanntermaßen nicht weniger reizvoll, und als eine von ihnen sich als State-Senatorin aufstellen lässt, kocht die Geschichte wieder hoch.

Yellowjackets erzählt also zwei Zeitstränge parallel. Einmal die Zeit nach dem Absturz, allein im dunklen Wald. Und dann heute, 2021: Aus den Teenage-Girls sind gestandene Frauen mit Kindern, Karrieren und Problemen geworden - die versuchen, ihrer Vergangenheit und ihren Taten zu entkommen (also alle außer Axt-hackt-Bein-ab-Misty vielleicht).

Obwohl die frühere der beiden Timelines selbstverständlich wesentlich actiongeladener ist, sind beide parallel erzählten Geschichten absolut gleichwertig spannend, gruselig, und auch mal komisch - wie man es eben von Executive Producerin Karyn Kusama kennt, die schon bei der Kult-Horrorkomödie Jennifer's Body Regie geführt hat. Der Cast ist sowohl bei der jungen als auch der älteren Version der ehemaligen Mannschaft exzellent, aber gerade die 2021-Riege glänzt: Darunter die gewohnt morbide Christina Ricci, die von Preis-Komitees bislang sträflich vernachlässigte Juliette Lewis, sowie die Indie-Queen Melanie Lynskey, die vielen vor allem als Rose aus Two and a Half Men bekannt ist.

Auch wenn es zwischendrin etwas makaber ist oder ab und an etwas klischeehaft zugeht: Yellowjackets ist sehenswert. Die zweite Staffel ist auch schon bestellt. Für die Zuschauer wird sich dann entscheiden, ob die Serie das implizite Versprechen einhalten kann, mehr zu versuchen als einen weiteren Hausfrauen-Überlebensthriller - nämlich eine Serie zu sein über die Freiheit, im Herzen zu verwildern.

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