Serie - "Wu-Tang: An American Saga":Danke, Schicksal

Wu-Tang: An American Saga; Stills aus "Wu-Tang: An American Saga"

Riesige Träume in den auf halbmast gekifften Augen. Winzige Chancen, sie wahr werden zu lassen: Ashton Sanders als Robert Diggs aka RZA.

(Foto: Barbara Nitke; IMAGINE TELEVISION LLC./Hulu)

Eine Serie schaut dem "Wu-Tang Clan" beim Großwerden zu. Hauptfrage: Was bringt Essen auf den Tisch - Drogen oder Beats?

Von Jakob Biazza

Ein Anspieltipp: Falls zur Hand, geschwind den Titel "Ooh I Love You Rakeem" auflegen und für vier scheußliche Minuten erleben, was passiert, wenn die besonders schlauen Industriemenschen bei Plattenfirmen künstlerische Entscheidungen treffen. Namenszusatz des Songs: "Baggin' Ladies Mix". Eine sehr desperate Damengruppe säuselt da mit schnutigen Mündern und Glitzerpailletten-Stimmen Liebesbekundungen, während clownige Bläser und Wurstfinger-Keyboards um die Wette trotteln.

Und Prince Rakeem so: "Ich hab echt zu viele Ladys - ich muss lernen, 'Nein' zu sagen!"

Und die Ladys so: "Ooh, we love you, Rakeem!"

Himmel, was damals doch alles hätte schiefgehen können.

Es hat schließlich nicht sehr viel gefehlt, und RZA, der genialisch verschattete Produzent und Übervater des Wu-Tang Clan, wäre Prince Rakeem geblieben - eine Figur, im Gesamteindruck so dödelig, dass selbst der Fresh Prince ihn auf dem Schulhof schikaniert hätte. Nun, das Schicksal, der Zufall, Allah, oder eben doch ein innerer Drang nach Wahrhaftigkeit, Authentizität oder wie auch immer man es nennt, wenn einer sich nicht komplett zum Idioten machen will, hatte andere Pläne. Die Single floppte. Die Schlauen beim Label Tommy Boy ließen Rakeem recht unsentimental fallen. Die Geschichte hätte hier enden können. Die Geschichte ging hier erst richtig los.

Danke, Schicksal.

Statt zu verschwinden wurde Rakeem also zu RZA, der mit seinen Marihuana-satten, verhusteten Beats und den Kung-Fu-Film-Samples ein ganzes Genre um ein paar Lumen düsterer drehte. Und dafür, je nach Zählweise, etwa neun Rapper zu einer grimmigen Macht formte. Quasi jeder von ihnen für sich schon herausragend und kaum zu zähmen, gemeinsam aber - wer kann schon sagen, welche Magie da wirkte, aber sie wirkte enorm - auf Jahre unbesiegbar. Die Soloprojekte mitgezählt mehr als 40 Millionen verkaufte Alben unbesiegbar, um genau zu sein. Irre gute Geschichte.

Deshalb hat sie, wie jede gute Geschichte der Welt heute, ein Prequel bekommen: Die Serie Wu-Tang: An American Saga, die jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, erzählt in zehn Folgen, fiktionalisiert aber basierend auf der Realität, ja, was eigentlich genau? Den Werdegang des Wu-Tang Clan, klar. Und doch auch wieder nicht. Was man da sieht, vor allem in den ersten sieben Folgen, hat nämlich noch sehr, sehr wenig mit dem zu tun, was auf ewig die Hip-Hop-Kultur prägen sollte. Musik gibt es überhaupt erstaunlich wenig (wer von der mehr will, sollte sich an die Wu-Tang-Doku Of Mics and Men halten). Dafür gibt es viel Mensch.

Genauer: rotznäsige Jugendliche, die noch nicht Ghostface Killah, Ol' Dirty Bastard (in seinem geistig etwas verbogenen Soul-Wahnwitz wirklich beängstigend realistisch von T.J. Atoms dargestellt) oder eben RZA heißen, sondern Dennis, Russell und Robert. Und zu schmächtig sind, zu nett oder einfach zu dumm, um auch nur bei den mittelkleinen Crack-Dealern im New York der 90er-Jahre mitzumischen. Gangsta-Aspiranten, Flaum auf den Oberlippen, viel zu große Knarren im Hosenbund. Rührend unfertige Personen.

Wu-Tang: An American Saga; Stills aus "Wu-Tang: An American Saga"

"Shimmy shimmy ya, shimmy yam, shimmy yay": T.J. Atoms als Ol' Dirty Bastard.

(Foto: Craig Blankenhorn; IMAGINE TELEVISION LLC./Hulu)

Und im Zentrum Robert Diggs (Ashton Sanders, bekannt aus Moonlight), riesige Träume in den auf halbmast gekifften Augen. Winzige Chancen, sie wahr werden zu lassen. Schon die verdammte SP1200, der damals kriegsentscheidende Sampler: unerreichbar teuer. Also doch dealen - Mittel zum Zweck. Oder? Erst Crack an die Hood. Später, auch der frühe RZA war offenbar schon ein Geschäftsmann, der Risiko und Gewinn abwägen konnte, Weed an Wall-Street-Banker. Wall-Street-Banker werfen sogar beim Drogenkaufen mit Trinkgeld ("Keep the change ...") um sich. In der Hood wirft man dir höchstens Brandsätze in die Bude.

Über allem hängen also vor allem zwei Fragen: Was bringt Essen auf den Tisch - Drogen oder Beats? Und womit überlebe ich länger?

Und fast scheint es, als wäre das auch die große Entscheidung für die Dramaturgie der Serie selbst. An American Saga wirkt lang wie ein The Wire, das eigentlich zu Empire werden will - und es doch nie wird. Das baut Erwartungen auf, die enorm packen können. Oder sehr nerven. Überall Stars - kaum große Performances. Zu viele Rapper - nicht genug MCs. Der Bruder wandert in den Bau. Robert wird zu "Ooh, we love you, Rakeem!". Ein Tape mit dem echten, rohen Zeug kommt versehentlich in Umlauf, geht krude Wege, landet auf dem richtigen Schreibtisch. Und am Ende, ganz am Ende, wird alles gut. In der Serie. In echt. Danke, Schicksal.

Wu-Tang: An American Saga, bei Sony Axn und den Sony-Axn-Mediatheken von Vodafone, Magenta TV und Prime Video.

Du willst „Wu-Tang: An American Saga“ sehen? Dann hier entlang zur Seite unseres Kooperationspartners Just Watch*:

*Hinweis zur Kooperation mit Just Watch: Über diese Links werden Sie auf eine Partnerwebsite weitergeleitet. Der Süddeutsche Verlag bekommt dafür in manchen Fällen eine Provision. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die Berichterstattung der Redaktion.

Zur SZ-Startseite
Serien-Tipps im Januar 2021: "WandaVision", "Die Geschichte der Schimpfwörter", "Twin" und "Pretend it's a City"

Fernsehen und Streaming
:Das sind die Serien des Monats

Neues aus dem Marvel-Kosmos, die lustige New Yorkerin Fran Lebowitz und Nicolas Cage beim Schimpfen: die Empfehlungen im Januar.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: