World Television Day:Viereckige Augen für alle

Eigentlich soll der World Television Day das Fernsehen als Informationsmedium hervorheben. Doch es sind vor allem die Unterhaltungsformate, die sich rund um die Welt durchsetzen. "Wer wird Millionär?" in Afghanistan, "The Voice" in Vietnam und "Schlag den Raab" in der Ukraine: Wie das Fernsehen global immer ähnlicher wird - und warum doch alles seine Grenzen hat.

Irene Helmes

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Im Dezember 1996 haben die Vereinten Nationen den 21. November zum "World Television Day" erklärt.

(Foto: complize / photocase.com)

څوك غواري چې شي میلیونر؟ - Sok Ghwari Chi Shi Millonar?, Giọng hát Việt, Побий ведучого. Ja, Sie kennen diese Sendungen, und ziemlich wahrscheinlich haben Sie eine davon auch schon mal gesehen. Nur in einer anderen Variante - als Wer wird Millionär?, The Voice of Germany oder Schlag den Raab.

Eigentlich wollen die Vereinten Nationen seit 1996 mit dem World Television Day am 21. November besonders die politische und soziale Bedeutung dieses Mediums in Konflikten und der Völkerverständigung hervorheben, wollen an das Fernsehen als "Symbol für Kommunikation und Globalisierung in der heutigen Welt" erinnern. Zu Recht und mit gutem Grund. Doch außer einem Nachrichtenmedium ist Fernsehen auch und vor allem eins: Eine quietschbunte Palette an Formaten, die in die ganze Welt verkauft und jeweils an lokale Vorlieben angepasst werden. Es winken sensationelle Quoten, hier ist sehr viel zu verdienen - und dank der vorfabrizierten Anleitungen auch viel Geld und Aufwand zu sparen.

Wie das geht, hat einst Wheel of Fortune gezeigt: Die US-Version des Glücksrads lief erstmals 1973 und war dank zahlreicher Ableger zwei Jahrzehnte später die meistgesehene Gameshow der Welt. Who Wants to Be a Millionaire? startete 1998 im britischen Sender ITV, eroberte Dutzende Länder von Finnland bis Südafrika, 2008 folgte die Premiere in Afghanistan. Sogar zum Kinomotiv wurde das Quiz, als der Oscar-Hit "Slumdog Millionaire" eine Geschichte über die indische Variante erzählte. Die niederländische Produktionsgesellschaft Endemol brach mit Big Brother und der Kameraüberwachung eingesperrter Kandidaten 1999 ein Tabu - das erste global erfolgreiche Format aus Kontinentaleuropa. Die Wildnis-Show Survivor, die Erziehungsinterventionen der Supernanny, die Castings von Pop Idol (Deutschland sucht den Superstar), The Voice oder America's Next Topmodel sind nur einige der erfolgreichsten Formate. Deutschland holt auf und exportiert zum Beispiel Schlag den Raab.

Auch bei TV-Serien blüht die Vermarktung. Soap-Fans auf der halben Welt wären irritiert, würde sie jemand darauf hinweisen, dass die Liebeswirren ihrer jeweiligen Lieblingsserie an einem Schreibtisch auf einem anderen Kontinent geplant wurden. So haben einige der erfolgreichsten deutschen Soaps wie Gute Zeiten, schlechte Zeiten und Verbotene Liebe Vorbilder im Ausland, aber auch von Kritikern gelobte Serien wie Stromberg.

Schwieriger Balanceakt

Was für die Zuschauer - je nach Sichtweise - Unterhaltung, Zerstreuung oder gar die pure Verblödung bedeutet, ist hinter den Kulissen ein knallhartes Geschäft. Der Handel mit Lizenzen hat sich spätestens seit den neunziger Jahren als Goldgrube erwiesen, längst werden Formate ganz gezielt für den Weiterverkauf konzipiert. Mit der Lizenz kommt ein Regelkatalog, in dem die Idee, die wichtigsten Abläufe und der Look definiert sind. Doch nicht alle Produktionsfirmen tun den Erfindern oder Lizenzhaltern den Gefallen, für deren Ideen zu bezahlen. Konflikte um echte oder vermeintliche Plagiate gibt es regelmäßig.

Wie flexibel ein Format ist, hängt von den Lizenzbedingungen ab und ist der vielleicht schwierigste Punkt im Balanceakt zwischen Wahrung der Marke und lokaler Kreativität. Denn auch wenn gerne und schnell vom Kulturimperialismus die Rede ist: Weder gehen alle Phänomene von einem Land aus, noch wird weltweit Einheitsbrei aufgetischt. Kulturwissenschaftler sprechen vielmehr von "Hybridisierung". Es gibt mittlerweile Magisterarbeiten über die Frage, inwieweit die Reality-Show Supernanny kulturspezifische Erziehungsideale berücksichtigt, auch eine kalifornische Promotion über die Übersetzungen der Kultserie Die Simpsons, die es eigentlich nur einmal gibt. Doch der Studie zufolge wirkt die gelbe Subversion auf Japanisch deutlich höflicher, und in der französischen Fassung werden gerne mal heimische Elemente eingefügt, zum Beispiel ein Édith-Piaf-Chanson.

Die TV-Produzenten vor Ort wissen, dass ihrem Publikum nicht alles gefällt und passen eingekaufte Spiel-, Dating- und Castingshows entsprechend an. Produktionsgiganten wie FremantleMedia (verantwortlich für Formate wie Idols, X-Factor und The Farmer Wants a Wife) erledigen das mit nationalen Ablegern sogar gleich selbst. Aspekte wie Humor, Freizügigkeit oder das akzeptable Maß an Rücksichtslosigkeit können zum Beispiel durch die Auswahl des Moderators, der Kandidaten und der zu bestehenden Aufgaben beeinflusst werden. Bei all dem gilt es, die Illusion zu schaffen, es handle sich bei der fraglichen Sendung um ein einmaliges Erlebnis und kein Retortenprodukt. Was angesichts des Riesenerfolgs offenbar immer wieder gelingt.

Außerdem: Dass die Horrorvisionen aus frühen Jahren übertrieben waren und kein allmächtiges Fernsehen über wehrlose Menschen hereinbricht, ist lange bekannt. Zuschauer sind nicht passiv. So zeigt sich auch bei globalen Entertainmentformaten, dass die Menschen sie nutzen, wie es ihnen gefällt und interpretieren, wie es in ihren kulturellen Kontext passt. Und auch das Show-Publikum zeigt seine Eigenheiten. So sind die russischen Studiogäste von Who wants to be a Millionaire? (Кто хочет стать миллионером?) dafür berüchtigt, zu buhen oder beim Publikumsjoker absichtlich falsch abzustimmen, um den Kandidaten in die Irre zu führen.

Über die perfekte Mischung aus globalem Erfolgsrezept und lokaler Note zerbrechen sich Fernsehmacher weiterhin die Köpfe. Einige Experimente der Anfänge sind an zu wenig Anpassung gescheitert. So musste der Musiksender MTV einsehen, dass die ursprüngliche Strategie "One World - One Music" von 1981 nicht aufging. Seit den neunziger Jahren wird mit regionalen Schwesterunternehmen wie MTV-Asia und MTV-Latino gearbeitet, die mittlerweile ein Drittel des Umsatzes erwirtschaften. Dennoch bleibt MTV ein Paradebeispiel für Fernsehglobalisierung, was fast komplett von US-Stars geprägte Shows wie die "MTV Europe Music Awards" illustrieren.

Das nicht jedes Konzept überall funktioniert, zeigt auch The Weakest Link. Das britische Original war durch eine extrem fiese Moderatorin berühmt geworden, die ihre Quiz-Kandidaten demütigte und gegeneinander ausspielte. Auch diese Idee verkaufte sich zunächst weltweit. Doch in wenigen Ländern etablierten sich die Ableger dauerhaft. Die deutsche Variante mit Sonja Zietlow wurde entschärft, als die Einschaltquoten enttäuschten, und bald ganz eingestellt. Nicht weiter schlimm für sie, Zietlow ist bekanntlich seither beim Dschungelcamp engagiert und Überraschung: Dieses Format stammt aus dem britischen Fernsehen und gibt es unter anderem auch auf Französisch (Je suis une célébrité, sortez-moi de là!), Ungarisch (Celeb vagyok ... ments ki innen!) und Schwedisch (Kändisdjungeln).

So sehen Abermillionen Menschen irgendwie das Gleiche, aber selten dasselbe. Internationale Verständigung dank Fernsehen wäre etwas anderes. Was sich bis heute nicht etabliert hat, sind wirklich grenzüberschreitende Programme. So sehen etwa die Europäer zwar ihre Versionen der gleichen Shows und Serien. Doch das ist den wenigsten bewusst, und noch viel weniger hat sich mittels Fernsehen transnationale politische Kommunikation etabliert, wie sie die UN im Sinn hat. Ungelöste Probleme wie dieses sind es also, die der World Television Day bewusst machen könnte. Falls sich jemand zwischen zwei Sendungen die Zeit nimmt, darüber nachzudenken.

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