Wolfram Weimer beim "Focus":Die hundert tollsten Ideen

Seit einem halben Jahr steuert Wolfram Weimer den "Focus". Das Magazin kämpft gegen sinkende Verkaufszahlen. Herausgeber Helmut Markwort äußert sich nur verhalten über seinen Nachfolger.

Marc Felix Serrao

Wenn Helmut Markwort nach der Arbeit in den Aufzug steigt, kann er vorher noch sekundenlang auf einen runden, gut gebräunten Frauenhintern schauen. Splitternackt und von Meerschaum umspült, liegt die unbekannte Schöne in der Brandung. Das Poster im Silberrahmen hängt an einem Ende des schmalen Flurs, der zu Markworts Büro im vierten Stock der Focus-Redaktion im Münchner Arabellapark führt.

Chefredakteur will 'Focus' auch gegen 'Spiegel' positionieren

Wolfram Weimer trat seinen Chefredakteursposten beim "Focus" mit dem Anspruch an, das Blatt gegen den "Spiegel" zu positionieren. Dabei hat er, an der verkauften Auflage beider Magazine gemessen, ungewollten Erfolg.

(Foto: ddp)

Man muss so etwas, auch im Sinne der Damen, die in seinem Vorzimmer arbeiten, nicht geschmackvoll finden. Vermutlich stellt der Anblick für den 74-jährigen Herausgeber und früheren Chefredakteur aber einen angenehmen Kontrast zu dem Bild dar, das der Focus in diesen Tagen abgibt, sein journalistisches Lebenswerk.

Dem Magazin aus dem Burda-Verlag geht es, vorsichtig formuliert, nicht so gut. Seit einem halben Jahr hat es einen neuen Chefredakteur. Wolfram Weimer, 46, ein sanfter, sehr groß gewachsener "Wertkonservativer", kam im Juli 2010 mit vielen Ideen und einem neuen Slogan -"Relevanz, Relevanz, Relevanz!" - vom Berliner Monatsmagazin Cicero nach München.

Er hat den angegrauten Focus von seinem Büro im fünften Stock aus umgebaut, neue Leute geholt, die Optik verändert, Ressorts zusammengeworfen, andere gestartet - allein: Die Zahlen, die nervigen, aber alles entscheidenden Zahlen, sie stimmen nicht.

Um ein Bild zu benutzen, das auch Markwort, der in einer seiner Nebenrollen Mitglied im Aufsichtsrat des FC Bayern ist, vertraut sein dürfte: Das Heft, das vor 18 Jahren auf den Markt kam, um dem Spiegel Paroli zu bieten, spielt in der Gunst der Leser bestenfalls noch zweite Liga.

Insgesamt neun Mal fiel die Auflage im Einzelverkauf im zweiten Halbjahr 2010 unter die ohnehin maue Marke von 100.000 Heften. Die erste Pleite war ein Wirtschaftswunder-Titel: "Ja, der Aufschwung ist da!" (Heft 30/10; 98.366 Exemplare). Zuletzt ging ein Titel baden, auf dem der "unheimliche" Wikileaks-Mitbegründer Julian Assange zu sehen war (49/10; 85.991 verkaufte Hefte).

Zum Lesermangel kommt Mitarbeiterschwund

Spricht man Weimer auf diese Entwicklung an, verweist er auf die Zahlen, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Der Einzelverkauf habe im vierten Quartal 2010 sogar "leicht über dem Vorjahresniveau gelegen", sagt er. Und das trotz eines gestiegenen Heftpreises (auf 3,50 von 3,20 Euro). Weimers Fazit: "Wir haben den Trend fallender Kiosk-Auflagen gestoppt." So kann man es sehen.

Man kann sich aber auch die Zahlen eines anderen Wochenmagazins anschauen, gegen das der Focus antritt oder, besser, gerne antreten würde. Der Spiegel, nach Münchner Lesart immer noch der Rivale auf Augenhöhe, hat im vergangenen Halbjahr Montag für Montag im Einzelverkauf drei, auch vier, einmal sogar fast sechs Mal so viele Hefte abgesetzt.

In der Woche, in der das Hamburger Magazin zusammen mit dem Guardian, der New York Times und anderen Medien exklusiv die ersten Geheimdepeschen amerikanischer Diplomaten präsentierte, entschied sich der Münchner Konkurrent für einen kruden Titel zum Thema globale Erwärmung ("Prima Klima!").

Der Eisbär auf dem Cover, dem die Redaktion allen Ernstes eine Sonnenbrille aufsetzte, lockte am Kiosk 84.225 Käufer (mit Abos und sonstigen Verkäufen: 536.416). Der Spiegel kam im Einzelverkauf auf 481.355 Exemplare (gesamt: 1.113.981).

Zum Lesermangel kommt der Mitarbeiterschwund. Weil die Geschäfte so mager liefen, mussten beim Focus kürzlich 80 Mitarbeiter die Redaktion verlassen. 150 sind geblieben - und haben entsprechend gut zu tun. Auch, weil Weimer offenbar deutlich mehr Texte einfordert, als ins Blatt passen.

Früher, sagt einer, der das Heft kennt, seien die Titel oft auf Monate vorgeplant gewesen. Heute, hört man, herrsche ein anderes Klima. Was Weimer nicht mehr aktuell genug oder schlicht nicht gut genug sei, fliege raus, heißt es. Der Stern lässt grüßen.

Vielleicht hat die Hektik auch etwas damit zu tun, dass Weimer immer mehr um sein publizistisches Konzept ringen muss; um das, was er als Wandel von einem "Nachrichten- zum Orientierungsmagazin" begreift. So etwas kann der neue Chefredakteur gut: Überschriften finden. Das Problem ist, dass längst nicht mehr alle an die große Blattreform hinter Weimers Slogan glauben.

Es gibt zwei Fraktionen, und wenn es stimmt, was sie im Verlag sagen, dann reichen sie bis an die Spitze. Die eine Seite, angeführt von Weimer, steht für den neuen Kurs: mehr Debattenstoffe, mehr Anspruch, weg vom alten, hemdsärmeligen "Nutzwert".

Die andere Seite, zu ihr gehört dem Vernehmen nach auch Co-Chefredakteur und Heftveteran Uli Baur, soll das, was sich ihrer Meinung nach bewährt hat, um jeden Preis bewahren wollen. Sogenannte news to use, eher praktische Themen. Welche Seite die Oberhand gewinnt, ist offen. Aber mit jedem Titel ohne Nutzwert, der schlecht läuft, hat Weimer ein Argument weniger.

"Sie werden von mir keinen Kommentar hören"

Fragt man den Burda-Vorstand und Focus-Verantwortlichen Philipp Welte nach der Positionierung des Hefts, erhält man eine offene, in der Tendenz jedoch eher konservative Antwort: "Wir setzen auf Relevanz, aber man darf die DNA des Heftes nicht vergessen. Der Nutzwert gehört zu Focus, und er wird als wichtiges journalistisches Element bleiben."

Fragt man Helmut Markwort, der mit seiner Rauschemähne und dem Bäuchlein unterm Maßanzug immer noch wie ein medialer Silberrücken durch die Republik springt ("Ich spiele im Kino bald einen Kardinal, eine kleine Rolle"), dann erhält man: nichts. "Sie werden von mir keinen Kommentar zu meinen Nachfolgern hören, kein Wörtchen", sagt er. "So etwas macht man nicht."

Später sagt er noch, dass ihm der erste Titel 2011 - "Asien macht uns reich" - gefallen habe: "Geldanlage, das ist doch wichtig. So etwas will man wissen am Jahresanfang."

Für andere Dinge ist es noch zu früh. Weimers Relaunch, falls er ihn beenden darf, ist umfassend. Die Zeit, die er bisher hatte, um von den alten Lesern akzeptiert zu werden und neue zu gewinnen, ist zu knapp bemessen, um ein Urteil zu fällen.

Abgesehen von ein paar seltsamen Titelseiten hat sich im Heft viel getan - vieles auch, was all die Leser, die den Focus in den vergangenen Jahren nicht mehr ernst genommen haben, dort gar nicht erwarten würden.

Das Debatten-Ressort etwa, unter Leitung des knochenkonservativen, aber wunderbar witzigen Michael Klonovsky. Oder das neue Investigativ-Ressort, das hier und da ordentliche Geschichten ins Blatt gebracht hat.

In wenigen Tagen läuft eine große Werbekampagne an: Focus wird 18. Es wird einen Kampfpreis und jede Menge Bohei geben. Burda wird sein Magazin als junges, knackiges Angebot darstellen. Man kann dem Verlag nur wünschen, dass er sich dabei nicht zu sehr vom Schönheitsideal im vierten Stock des Arabellaparks leiten lässt.

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