Wolf Schneider zum 85.:Ein Leben für den starken Satz

Wenn es um Sprache geht, kommt in Deutschland keiner an ihm vorbei: Wolf Schneider, der Konservator, wird 85.

Hans-Jürgen Jakobs

Wenn einer "Sprachpapst" ist, und zwar der deutsche, dann stellt sich als Erstes nicht die Frage nach Unfehlbarkeit. Sondern es drängt sich vielmehr das Problem auf, wie jemand all die Jahre, ja Jahrzehnte, den Deutschen ihr schlechtes Deutsch vorhält, und doch keine sprachpäpstliche Schreibblockade folgt. Obwohl das deutsche Volk weiter Fehler macht, und zwar mit Lust dieselben.

Wolf Schneider, Foto: dpa

Journalisten-Lehrer Wolf Schneider. Der Sprachpapst wird 85.

(Foto: Foto: dpa)

Wolf Schneider hat sich allem Anschein nach damit abgefunden, dass alle Welt über eine Summe von "über 10.000 Euro" schreibt, wenn "mehr als ..." gemeint ist. Oder es heißt: "ab zwölf Uhr", wo doch "von zwölf Uhr an" gemeint ist. Schneider hat's getrommelt und gepfiffen, genutzt hat es so wenig wie seine seinerzeitigen Proteste gegen die Rechtschreibreform.

Vielleicht kann sich ein Sprachpapst einfach nicht unterkriegen lassen. Er muss einfach weiter gegen die Endlichkeit korrekter Sätze kämpfen. Aufgeben wäre profan.

So verfasst der Lehrer vieler Journalistenschulen, der Autor von rund 30 Sachbüchern, der einstige Korrespondent (Süddeutsche Zeitung), Verlagsleiter (Stern), Chefredakteur (Welt) und Fernsehmoderator (NDR Talkshow) einfach weiter aus seinem Vatikan am Starnberger See Enzykliken gegen den Zeitgeist der Schludrigkeit. Für sueddeutsche.de veröffentlicht er das populäre Videoblog Speak Schneider.

Überhaupt diese Welt des Internets, mit ihren Blogs, Tweets, Foren und Einträgen! Vor einigen Wochen widmete Schneider mit Deutsch für junge Profis dieser Szene ein weiteres Hilfsbuch. Was Wunder: Die Spache wird weiter verhunzt. Es gibt hohen Schulungsbedarf.

Warum sollte im Internet gelingen, was schon in der alten Papierwelt misslingt?

Mit seiner Leitdevise: "Was ein guter, starker Satz ist, das hat sich in tausend Jahren nicht geändert", hat der Autor schon früh biblisches Niveau erreicht. Schneider fordert auch vom gewöhnlichen Blogger den starken ersten Satz und die Verdichtung einer Geschichte, konkrete Schilderungen, das Vermeiden von Füllwörtern, einen bildhaften Ausdruck, Yes-we-can-Kürze, klare Verben, das Ende von Termini wie "aufoktroyieren" und "vorprogrammieren" - kurz alles, was sich schon in der Schneider-Bücherei reichlich findet.

Allwissender im Wirtschaftswunderland

Und dennoch: In jeder deutschen Redaktion wird täglich das Verb "vorprogrammieren" redigiert, wenn, ja wenn redigiert wird.

"Der ideale Satz strebt vorwärts wie ein Pfeil", noch so ein Schneider-Satz. Der Consultant für kraftvolles Deutsch sieht überall Krampf und Blähung. Internet und Zeitung, Amateurschreiber und Profis würden enger zusammenrücken, analysiert Schneider, der sich in anderen Buchwerken mit Großphänomenen wie Glück, Soldaten, Metropolen, der Erde oder dem Menschen allgemein beschäftigt hat.

"Unsere Erde treibt durchs All in unvorstellbarer Einsamkeit", formuliert Schneider in Der Mensch - eine Karriere, das kürzlich in einer Taschenbuchausgabe erschienen ist, aber wenigstens ist es auf diesem Planeten dank seiner Deutsch-kann-schön-sein-Mission nicht ganz so langweilig.

"Ja, wir sind ein Schiff voller Narren", ruft er den Mitreisenden im All zu. Die Botschaft: Da ist nicht mehr viel zu retten, aber lasst uns wenigstens schön darüber schreiben und reden.

Der in Erfurt geborene Wolf Schneider ist, auch wenn man's nicht päpstlicher als der Papst nehmen sollte, eine Art Institution des deutschen Journalismus geworden. Ein Durchbeißer der ersten Nachkriegsjahre, der als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet hat und sich einmal so erinnerte: "Ich war ein Arbeitsloser mit Abitur, für den an ein Studium nicht zu denken war."

Im Wirtschaftswunderland wurde er Allwissender. Ein Universal-Gelehrter, für den das Wörtchen "irgendwie" in Texten ein Grauen ist. Mit Filzstiften in drei Farben pflegt er auf Manuskripten seine Anmerkungen zu machen, und gelegentlich schreibt er ein "Bäh" auf oder malt gleich einen Galgen neben missglückte Metaphorik.

Die Eleven der Hamburger Journalistenschule (Henri-Nannen-Schule), denen er für Gruner + Jahr den journalistischen Schliff in 16 Jahren beibrachte, wissen viele Geschichten von den Marotten des Meisters zu erzählen. "Qualität kommt von Qual", dieser Spruch ist Teil ihrer DNS geworden.

Gesegnet mit einem gewissen polemischen Talent repräsentiert Schneider in der Öffentlichkeit den grauhaarigen Wertkonservativen alter Schule, der im Talkfernsehen die Lernfähigkeit der Jugend kritisiert und die Schuld der allgegenwärtigen "Spaßpädagogik" gibt. Er ist unbeugsam, bis ins Dogma hinein.

An diesem Freitag wird Wolf Schneider, der Konservator, 85 Jahre alt.

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