Kinderfernsehen:Schluss mit Peter Lustig

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Sie sind zugleich die Expertinnen und Moderatorinnen des Wissensmagazins: Johanna Baehr, Linh Nguyen und Patrizia Elinor Thoma (v.l.). (Foto: Martin Vogel/ZDF und Martin Vogel)

Die Expertinnen von "Princess of Science" wollen mit dem Vorurteil von der Männerdomäne Wissenschaft aufräumen und Mädchen direkt ansprechen. Doch es gibt auch Kritik.

Von Johannes Nebe

Über den Küchentisch gebeugt inspiziert Johanna Baehr ein Handy. Die Rückseite wird aufgeschraubt, zum Vorschein kommt ein technisches Wirrwarr aus Platinen und kleinen Kabeln. Als studierte Elektrotechnikerin hat sie keine Schwierigkeiten bei der Benennung der Komponenten. Neben ihr steht die 13-jährige Hanna, die mehr über ihr Handy erfahren will. Mit einem Schraubenschlüssel in der Hand erklärt Baehr Hanna, wie das Innenleben ihres Smartphones funktioniert. Anschließend schießen die beiden noch Selfies mit Hundefilter.

Baehr ist eine von drei Wissenschaftlerinnen, die das neue Wissensmagazin Princess of Science des ZDF im Kika moderieren und Fragen von Mädchen beantworten. In insgesamt acht Folgen wird gezeigt, wie viel Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (kurz MINT) im Alltag von Kindern und Jugendlichen steckt. Neben der 30-jährigen Baehr untersucht die Biochemikerin Patrizia Elinor Thoma, 35, wie viele Bakterien sich auf der Klobrille im Vergleich zum Handydisplay befinden und nimmt dafür Abdrücke. Physikerin Linh Nguyen,29, fragt bei einer Expertin nach, welche seltenen Erden im Handy verbaut sind. Verewigt werden die wissbegierigen Jugendlichen und Experten dann auf der "Wall of Fame": mit Porträt und jeweils einem Krönchen, das über die Köpfe der Protagonisten geklebt wird. Bei Princess of Science liegt der Fokus anders als bei vergleichbaren Formaten auf Wissenschaftlerinnen und Mädchen, die sich für das Forschen interessieren. "Leider ist MINT ein überwiegend männerdominiertes Feld. Deswegen ist es wichtig, Mädchen direkt anzusprechen", sagt Thoma.

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Aufgewachsen sind Nguyen, Thoma und Baehr mit Löwenzahn und der Sendung mit der Maus. Als Baehr jetzt ihre Tonaufnahmen für die Sendung einsprach, musste sie an die unaufgeregte, sanfte Stimme von Peter Lustig in seinem blauen Wohnwagen denken: "Ich wollte auch immer Wissensfragen stellen und herausfinden, wie Sachen funktionieren. Peter Lustig war mein Idol, und jetzt darf ich sowas selbst machen."

Im eigentlichen Berufsalltag der drei Wissenschaftlerinnen geht es aber nicht darum, Handys aufzubrechen oder zu zeigen, wie sehr sich Schweißgeruch in verschiedenen Stoffen bemerkbar macht. Nguyen forscht gerade an einem Teststreifen, der diverse Krankheiten erkennen soll. Thoma untersucht die Kommunikation zwischen Pilzen und Pflanzen und Baehr setzt sich mit Chips auseinander, die in Geräten verbaut werden. Während sie von ihren Forschungen erzählen, unterbrechen sie sich immer wieder kurz, stellen Nachfragen, wollen mehr wissen - schließlich kommen sie aus verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft. Dieses Zusammenspiel macht auch den Reiz der Sendung aus.

"Wir bedienen nicht das Klischee der Wissenschaftlerin als graues Mäuschen mit Brille"

Die drei Wissenschaftlerinnen lernten sich erst durch die Sendung kennen, davor gab es ein Casting, die Sorge kam auf, nicht "cool" genug für das Magazin zu sein. Was das ZDF letztendlich gesucht hat: drei Frauen, nicht nur aus unterschiedlichen Disziplinen, sondern auch mit unterschiedlichen Temperamenten. "Wir bedienen nicht das Klischee der Wissenschaftlerin als graues Mäuschen mit Brille, sondern bilden ein breites Spektrum an jungen Frauen ab, im Wesen und der Erscheinung", sagt Thoma. Ein ziemlich überholtes Klischee, das die Sendung aber erkennbar vehement vermeiden will: Baehr, mit ihren pinkfarbenen - inzwischen lila - Haaren oder Thoma, mit Sidecut und Zopf.

Gemeinsam haben sie aber die Begeisterung für die Wissenschaft. Baehrs Eltern sind beide Biologen, Theorien wurden beim Abendessen diskutiert, das wissenschaftliche Interesse schon immer gefördert: ihren 17. Geburtstag hat sie damit verbracht, Milben im Regenwald zu bestimmen. Thoma liebte als Kind Naturkundemuseen und Nguyen hat ihr Faible für Chemie und Physik erst so richtig im Studium entwickelt. Die drei wirken entspannt, authentisch und bodenständig. Vielleicht gerade weil sie keine erfahrenen Moderatorinnen sind.

Doch Kritik gibt es, vor allem auf Twitter. Nicht für das Format an sich, sondern für den Titel Princess of Science. Ein typischer Fall von Geschlechterstereotype liege vor: Mädchen würden sich erst für Wissenschaft interessieren, wenn Forschung in pinkfarbener royaler Aufmachung daherkommt, wie der Name der Sendung impliziere. Doch der Titel ist laut ZDF bewusst provokativ gewählt, um mit dem typischen Bild der Prinzessin zu brechen.

Die drei Wissenschaftlerinnen wollen zeigen, wie viel MINT im Alltag von Kindern und Jugendlichen steckt. (Foto: Martin Vogel/ZDF und Martin Vogel)

Die E-Technikerin Baehr will Vorbild sein, sagt sie, aber viel wichtiger sei es, dass Frauen einfach ganz normal wissenschaftliche Berufe ergreifen.

Über Normalität oder nicht entscheidet bereits die Kindheit: Thoma wollte immer einen Chemiebaukasten. Während ihr Wunsch als kindliche Spinnerei abgetan wird, bekommt der Bruder ein Metallbau-Set. In den Schulen gebe es immer noch nicht überall Informatikunterricht, oder er werde zu spät eingeführt, grundlegend fehle oft die Technik oder die Expertise der Lehrer und Lehrerinnen, sagt Baehr. Außerschulische Angebote seien nur spärlich vorhanden, und auch dort seien es meistens die Jungen, die sich angesprochen fühlen.

Wissenschaftlerinnen müssen sichtbarer gemacht werden, gerade im medialen Bereich

Selbst im Studium setzt sich das Missverhältnis fort. Nguyen hatte an der LMU München gerade mal eine Professorin während des Studiums, der Frauenanteil in den MINT-Studiengängen ist ähnlich gering wie der Frauenanteil der Dozenten. Nur in Biologie überwiegen die Studentinnen. Thoma hat als Biochemikerin eine Erklärung: "Bei Biologie denken viele erstmal an Tiere und Pflanzen. Damit wird eher weiblicher Zuspruch verbunden. Und was ist der Traumberuf von vielen Mädchen? Tierärztin."

Wissenschaftlerinnen müssen sichtbarer gemacht werden, gerade im medialen Bereich. Ein prominentes Beispiel ist die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim. Sie betreibt den Youtube-Kanal MaiLab und wurde vom Deutschen Fernsehpreis für ihren hervorragenden Wissenschaftsjournalismus geehrt. "Wir als Forscher bleiben in unseren Labors verborgen. Wir brauchen Menschen wie sie, die Wissenskommunikation vorantreiben", sagt Nguyen. Dafür genüge aber nicht nur ein weibliches Vorbild, sondern es müsse normal werden, den Fernseher anzumachen und Wissenschaftlerinnen zu sehen, findet Baehr.

Wofür sich die Wissenschaftlerinnen wie in der Sendung eine Krone geben würden? Für Nguyen ist es ihr Durchhaltevermögen, immer wieder gäbe es Rückschläge in der Forschung. Baehr für ihre Ambitionen, die Wissenschaft mehr im Alltag zu verankern. Darauf spielt auch Thoma an. Sie ist stolz darauf, ihrem sechsjährigen Neffen erklärt zu haben, dass alles aus Atomen besteht, warum Schmerzen für den Menschen wichtig sind und wieso Steine nicht leben. "Sich durch Forschung bewusst zu machen, was für unsere Augen im Verborgenen liegt, finde ich toll und macht mich demütig. Für mich ist das die beste wissenschaftliche Leistung, die man erbringen kann: Wissen weitergeben."

Princess of Science, Kika, jeden Samstag um 20.10 Uhr, und in der ZDF-Mediathek .

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