Da stehen sie nun also, die Damen und Herren Wirtschaftsprüfer aus Deutschland, eingekeilt zwischen Schreibtischen und Stellwänden in einer abgewetzten, stickigen Bank in Manila. Die Raiffeisen-Filiale in Aschheim bei München verströmt Wall-Street-Feeling im Vergleich. Aber genau hier, in einem neongrauen Eck der philippinischen Hauptstadt, soll das Wirecard-Geld liegen, 1,9 Milliarden Euro, so behaupten das wenigstens die Unternehmenschefs. Die Prüfer, die sich von der Existenz dieser Summe überzeugen wollen, lauschen fassungslos einem immerhin hervorragend gelaunten Bankmitarbeiter, dessen Fremdsprachenkenntnis sich auf genau zwei Wendungen beschränkt, allerdings die wesentlichen: "Macht euch keine Sorgen, das Geld ist da."
Zu einem Betrug gehören immer zwei, der Betrüger und der Betrogene. Die Hauptfiguren des etwas anglophil betitelten Dokudramas Der große Fake - Die Wirecard-Story sind die Betrüger: Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und dessen rechte und womöglich auch linke Hand Jan Marsalek, zwei höchst unterschiedliche Österreicher, Superhirn und Ein-Mann-Drückerkolonne, die nur die abgebrühte Dreistigkeit ihres Milliardenschwindels eint. Doch es sind die Betrogenen, von denen in den knapp 95 Minuten die beinahe noch größere Faszination ausgeht, weil sie so unbedingt an die wunderbare Fabel vom neuen deutschen Tech-Giganten aus Aschheim glauben wollen.
Die Rechtsberater haben der Fantasie vermutlich Grenzen gesetzt
Da ist Brauns Chauffeur, der nach allem Erspartem auch noch seine Lebensversicherung in Aktien des Zahlungsdienstleisters steckt und dessen Augen glühen, als Braun ihm von der Rückbank empfiehlt: "Kaufen Sie!" Und da sind natürlich die Wirtschaftsprüfer, die zwei Drittel des Films direkt vor dem Mount Everest des Finanzverbrechens stehen und beflissen darüber diskutieren, ob da irgendwo ein Hügel sein könnte. Glaube versetzt Berge nicht bloß, er versteckt sie auch. "Macht euch keine Sorgen", sagt der strahlende Bankmensch in Manila, und fürs Erste folgen alle seinem freundlichen Rat.
"Der große Fake", geschmeidig inszeniert vom Dokudrama-Spezialisten Raymond Ley, der mit seiner Frau Hannah Ley auch das Drehbuch schrieb, erzählt im Kern nur die letzten Wochen vor dem großen Knall der Wirecard-Insolvenz im Sommer 2020, eine dramaturgisch kluge Selbstbeschränkung auf jene Phase, in der sich die Spirale des Wahnsinns am schnellsten dreht. Seine bleibenden Momente hat der Film in den Spielszenen, und das obwohl die Rechtsberater der Produzenten der Fantasie bestimmt enge Grenzen gesetzt haben.
Das liegt allein schon mal daran, dass man inzwischen doch so einige Wirecard-Reportagen gesehen hat. Manche Interviewpartner dürften zumindest dem geneigten Publikum arg vertraut vorkommen, etwa Fahmi Quadir, die glamouröseste aller Aktienhändlerinnen, die erfolgreich gegen Wirecard wettete. Dass Braun-Nachfolger James Freis und Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing auftreten, sind gewiss kleine Coups; was Sewing am Anfang eines Satzes sagt, hat der Finanzlaie jedoch an dessen Ende schon wieder vergessen.
Die Sache ist so komplex, dass man sich gerne auf die Schauspieler konzentriert
In der Sache ist das Geschäfts- und Illusionsmodell der Wirecard-Abzocker ohnehin so komplex, dass man fast erleichtert ist, sich im Spielteil auf die psychologischen Fallstudien zu Braun (heute in Untersuchungshaft) und Marsalek (heute auf der Flucht) konzentrieren zu können. Christoph Maria Herbst ( Stromberg) verortet seinen Braun wunderbar und ganz ernst auf halbem Weg zwischen Steve Jobs und Bond-Bösewicht. Franz Hartwig ( Der Pass) gibt den Marsalek als verdammt groß gewordenen Kleinkriminellen. Gleich zu Anfang winkt er die Kamera zu sich heran und wendet sich an die Zuschauer: "Wenn man einmal gespürt hat, wie es ist zu fliegen, dann gibt es kein Zurück."
Im wahren Leben waren es der hartnäckige Reporter Dan McCrum mit einem Team der Financial Times aus London, der die Wirecard-Überflieger auf den harten Boden der Tatsachen holte. Im Film ist es eine fiktive deutsche Journalistin, in der sich die Arbeit vieler Kolleginnen und Kollegen verdichtet, die sich hierzulande Verdienste um die Aufdeckung des Wirecard-Skandals erworben haben. Nina Kunzendorf, ehemalige Frankfurter Tatort-Kommissarin, ist eine wohltuend unsentimentale Heldin, nicht viel gesprächiger als ihr Gegenüber Markus Braun, und in den entscheidenden Augenblicken so kühl, dass man als Zuschauer auf der Couch die Wolldecke besser griffbereit hält. Der große Fake dürfte nicht die einzige Adaption des Stoffes bleiben, unter anderem soll der deutsche Hollywood-Regisseur Robert Schwentke eine eigene Version planen. Und wahrscheinlich filmt es sich auch leichter, wenn die juristische Aufarbeitung abgeschlossen ist. Raymond Leys Film ist der erste dramatische Blick auf Wirecard, und dafür ein sehr guter.
Der große Fake - Die Wirecard-Story , auf TV Now.