Süddeutsche Zeitung

Wikileaks-Gründer talkt im russischen Fernsehen:"Schämen Sie sich, Assange"

Julian Assange wartet in Norfolk mit einer Fußfessel auf seine Auslieferung. Doch die tägliche Meldung bei der Polizeistation hält ihn nicht davon ab, beim Kreml-treuen Sender RT anzuheuern. Dort soll er in einer Interviewserie mit ausgewählten "Bilderstürmern, Visionären und Insidern der Macht" sprechen.

Frank Nienhuysen und Christian Zaschke

Der Wikileaks-Gründer Julian Assange mag in Großbritannien unter Hausarrest stehen, das hindert ihn jedoch nicht daran, sehr aktiv zu sein. Gerade hat er die Tonspur für seinen Gastauftritt in der amerikanischen Zeichentrickserie Die Simpsons eingesprochen, die Episode wird kommende Woche in den USA ausgestrahlt. Zudem hat er mit dem russischen Sender RT eine Interviewserie vereinbart. Assange soll mit von ihm ausgewählten "Bilderstürmern, Visionären und Insidern der Macht" sprechen.

Zunächst sind zehn Folgen à 30 Minuten geplant, die von März an ausgestrahlt werden sollen. Das müsste bedeuten, dass Assange bereits erste Gespräche aufnimmt, denn es ist sehr gut möglich, dass er schon Mitte März nach Schweden ausgeliefert wird.

Die Chefredakteurin von RT, Margarita Simonjan, aber erklärt auf Anfrage, dass bisher noch nichts aufgezeichnet worden sei. "Eine Abschiebung ist ein sehr langer Prozess", glaubt sie, "ich weiß nicht, wie das Gericht entscheidet - aber selbst im Fall einer Abschiebung denken wir, dass die Arbeit bis zu diesem Moment abgeschlossen sein wird." Das hieße, dass diese Arbeit nun recht zügig vorangehen müsste.

Assange kämpft seit mehr als einem Jahr darum, seine Auslieferung nach Schweden zu verhindern. Dort würde ihn ein Prozess wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung in einem minder schweren Fall erwarten. Zwei Schwedinnen haben entsprechende Vorwürfe gegen Assange vorgebracht, eine Staatsanwältin hat daraufhin dessen Auslieferung beantragt. Dem Antrag gab ein Gericht in London im Februar 2011 statt. Assange legte Einspruch ein und verlor. Es wurde ihm jedoch erlaubt, vor den britischen Supreme Court zu ziehen.

Dort wurde Assange Anfang Februar angehört, ein Urteil wird in drei Wochen erwartet. Assange beruft sich auf eine Formfrage - darauf, dass die Auslieferung zunächst von einer Staatsanwältin beantragt wurde, nicht von einem Gericht. Stimmt der Supreme Court (was in London von den meisten Beobachtern erwartet wird) dem Auslieferungsantrag dennoch zu, würde Assange binnen zehn Tagen nach Schweden überstellt. Derzeit lebt er in Norfolk, trägt eine Fußfessel und muss sich täglich bei der örtlichen Polizeistation melden.

Simonjan, die Chefredakteurin von RT, ist entzückt, dass der 40 Jahre alte Australier sich für ihren Sender entschieden hat: "Jeder vernünftig denkende Fernsehkanal der Welt wäre glücklich, Assange für ein Programm oder eine Show zu gewinnen." Er sei derzeit eine der interessantesten Medienpersonen der Welt. "Deshalb ist das für uns ein großer Erfolg."

Kreml-treuer Fernsehsender

Russia Today, das sich heute nur noch RT nennt, wurde 2005 als staatlicher russischer Satellitensender gegründet. Der damalige Medienminister Michail Lessin sagte: "Wir müssen international für Russland werben, sonst sehen wir aus wie herumlaufende, brüllende Bären."

Das Ganze war ein Imageprojekt, und RT erwarb sich schnell den Ruf eines linientreuen Kreml-Organs. "Das Wichtigste ist, wir lieben unser Heimatland tatsächlich innig und sind beunruhigt darüber, dass wir auf einen Strom von Unwahrheiten treffen", sagte Chefredakteurin Simonjan in einem Interview mit dem Magazin Itogi: "Und das wollen wir ändern."

Mit einem geringen Budget hatte RT begonnen, ist aber längst der globale russische Auslandssender schlechthin und zu einer Konkurrenz sogar für CNN und BBC geworden. Im vergangenen Jahr strahlte RT eine Rede der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton aus, in der diese den amerikanischen Kongress um 47 Millionen Dollar bittet, weil Amerika dabei sei, einen Krieg der Informationen zu verlieren. "Al-Dschasira gewinnt an Boden, die Chinesen haben ein mehrsprachiges Netzwerk aufgebaut, und das gilt auch für die Russen", sagte Clinton, "ich habe sie in ein paar Ländern gesehen und ich muss sagen, sie treten reichlich belehrend auf."

Dass RT Assange verpflichtet hat, könnte nach Ansicht von britischen Kritikern daran liegen, dass der Sender auf eine Amerika-kritische Gesprächsführung hofft. Chefredakteurin Simonjan weist dies zurück. "Es wäre ziemlich seltsam anzunehmen, dass das einzige Ziel von RT als ein internationaler Sender sei, ausschließlich Informationen über Russland zu bringen. Wir wollen unserem Publikum auch einen Blick auf Weltereignisse und Probleme vermitteln, die alternativ zum Mainstream sind."

Der steinreiche russische Unternehmer und Miteigentümer der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta, Alexander Lebedew, findet keinen Gefallen an der Interview-Reihe. Auf Twitter schrieb er: "Schämen Sie sich, Assange. Ein bedauernswerteres Finale für einen ,Umstürzler der Weltordnung' kann man sich nicht vorstellen als die Mitarbeiterdienste in dem vom Staat kontrollierten Sender."

Assanges geplantes Engagement bei RT kam auch für seine vormaligen Anwälte überraschend, doch nicht unbedingt im negativen Sinn. Assange hat während des Auslieferungsverfahrens die Kanzlei gewechselt und sieht sich hohen Forderungen seiner ehemaligen Anwälte gegenüber. Die Kanzlei, die ihn zunächst vertrat, klagt nun wegen des "lukrativen Engagements in Russland" auf Begleichung ausstehender Rechnungen.

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SZ vom 17.02.2012/mapo/rela
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