Wie lerne ich mich selber besser kennen? In einem Aufsatz in der Internationalen Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse betonte Sigmund Freud 1914 die Bedeutung, die das "Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten" für die heilvolle Selbsterkenntnis spielten. Diese Therapie sei zwar beschwerlich und könne zu einer Geduldsprobe für den Therapeuten werden. "Es ist aber jenes Stück der Arbeit, welches die größte verändernde Einwirkung auf den Patienten hat."
An diese 100 Jahre alte Empfehlung des großen Psychoanalytikers scheint sich der WDR erinnert zu haben, als er entschied, Frank Plasberg zum zweiten Mal über das Verhältnis der Geschlechter in dessen Talkshow hart aber fair unter dem Sendungstitel "Der Gender Streit - Was darf zu Mann und Frau gesagt werden" diskutieren zu lassen.
Der Therapieaspekt dabei: Geladen wurden dieselben Gäste wie in Plasbergs Sendung vom 2. März mit dem Titel "Nieder mit dem Ampelmännchen - Deutschland im Gleichheitswahn", die damals einen Sturm der Entrüstung bei vielen Zuschauern, aber auch bei Frauenverbänden, Gleichstellungsbeauftragten und im WDR-Rundfunkrat ausgelöst hatte. Die Runde hatte das sensible Thema seinerzeit mit Vergleichen aus dem Tierreich, anzüglichen Bemerkungen über die Frisur des andersdenkenden Diskutanten oder mit chauvihaftem Spott abgehandelt.
Therapieziel Affektreduzierung
War da noch mehr drin? Nun war also "Wiederholen und Durcharbeiten" angesagt für die fünf Heißsporne vom März - die Publizistin Birgit Kelle, die Schauspielerin Sophia Thomalla, die Netzfeministin Anne Wizorek, die Politiker Anton Hofreiter (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) sowie für den Conférencier Frank Plasberg selbst, der sich damals wegen seiner mokanten Moderation Kritik anhören musste. Therapieziel, offenbar nach Freud: Affektreduzierung.
Um die "größte verändernde Einwirkung" auf die Problemgäste im Freud'schen Sinne zu gewährleisten, nahm zudem Sybille Mattfeldt-Kloth vom Landesfrauenrat Niedersachsen teil, eine der Beschwerdeführerinnen gegen die März-Sendung, sowie Jörg Schönenborn.
Die personelle Flankierung durch den WDR-Fernsehdirektor erwies sich als probate Medizin - doch mehr für den Sender in eigener Sache als für die wiederholte Sendung als solche. Denn am überzeugendsten gelang die Läuterung den beiden WDR-Journalisten, die ihre Fehler kurz und schmerzlos einräumten und sich dabei die Bälle zuspielten.
Plasberg lässt die Hosen runter
Plasberg, der sonst seinen Runden zu Beginn gerne einheizt, ließ gleich die Hosen runter und spielte sein inkriminiertes Eingangsstatement vom März ein, bei dem er erklärt hatte, was er unter "Alltagswahnsinn" versteht: 190 Lehrstühle für Genderforschung, davon 180 unter weiblicher und zehn unter männlicher Leitung. Als der Mann, der er ist, hat er inzwischen offenbar gelernt, dass er sich als Moderator einer Talkshow zur Hauptsendezeit über solche Dinge nicht spöttisch wundern kann.
Noch besser spielte WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn die Rolle des Büßers: Nur wegen seiner Entscheidung, die Sendung vom März im August aus der ARD-Mediathek nehmen zu lassen, war der Konflikt um "Nieder mit den Ampelmännchen" wieder hochgekocht.
Eigentlich war "die Diskussion abgeräumt", gab Schönenborn gleich zu. Doch sein Beschluss löste im August eine noch größere Empörungswelle aus als im März, zum einen direkt bei Kubicki, Kelle und Thomalla, die ihn als eine Art Maulkorb empfanden, aber auch im Blätterwald: "TV-Skandal: ARD löscht Plasberg-Sendung", oder "Aktion Löschtaste: Der WDR übt Selbstzensur und sündigt wider Gedankenfreiheit". Plötzlich stand die Frage im Raum, wie standhaft ein Sender gegenüber Lobbygruppen ist, wie in diesem Fall dem Deutschen Frauenrat.
Peinliches Hin und Her
Der WDR-Fernsehdirektor verstand schon in der vergangenen Woche, dass die Löschung ein Fehler war, räumte das öffentlich ein, und ließ die Sendung wieder online stellen. Dass das ein peinliches Hin und Her war, wussten natürlich sowohl Plasberg als auch Schönenborn - entsprechend offensiv gingen sie das Thema an, in einem Dialog, der einstudiert zu sein schien:
Plasberg: "Herr Schönenborn, einmal raus aus der Mediathek, dann wieder rein in die Mediathek - zwei Handlungen, eine Frage: Warum?"
Schönenborn: "Ich glaube, es ist keine Schande, einen Fehler einzugestehen. Ich kann erklären, warum wir die Entscheidung so getroffen haben. Am Ende zählt: Sie war rückblickend nicht richtig."
Beifall des Publikums - und Ende der Debatte?
Nachsitzer fallen über Schönenborn her
Natürlich nicht. Das Thema hätte erledigt sein können, wären da nicht noch die Nachsitzer gewesen. Von denen waren Sophia Thomalla, Wolfgang Kubicki und Birgit Kelle ja vor allem gekommen, um über Schönenborn herzufallen.
Das macht man im deutschen Fernsehen inzwischen am besten, indem man drastische Parallelen zieht: Wolfgang Kubicki verglich das Vorgehen des WDR etwa mit diktatorischer Zensur: "Mit den Argumenten unausgewogen, niveaulos, geschmacklos lassen die Zensoren in Russland und China Sendungen nicht mehr zu, die dort produziert werden."
Birgit Kelle fühlte sich hingegen an George Orwell erinnert, während Sophia Thomalla betonte, dass in Deutschland Meinungsfreiheit herrsche.
Zustände wie in China? Orwell? Das klang dann doch wieder sehr nach dem Krawall der März-Sendung, zumal die Gegenpartei der Frauenrechtlerinnen, bestehend aus Anne Wizorek und Sybille Mattfeldt-Kloth, ebenfalls polarisierten: Sie sprachen Thomalla und Kelle pauschal den Sachverstand in der Frauenthematik ab.
Doch immerhin hatte Plasberg dieses Mal verinnerlicht, dass er kein Animateur sondern ein Therapeut zu sein hatte.
"Wenn Sie auf die Beschwerden reagiert haben, dass unseriöse Menschen zu der letzten Sendung eingeladen waren, dann frage ich mich, warum wir hier wieder sitzen", fragte Kubicki den Moderator hinterhältig, doch der nahm ihm liebenswürdig den Wind aus den Segeln: "Weil wir lieber mit Ihnen als über Sie reden."
Am Beifall war außerdem abzulesen, dass man ein Publikum auch ohne reißerische Parolen gewinnen kann, zuweilen sogar auch durch Nachdenklichkeit.
Schwierige Debatten
Ob die Debattenkultur leide, hänge seiner Meinung nach nicht an der Kompetenz der Gäste oder am Einfluss von Lobbygruppen, sagte Schönenborn: "Ich habe Frau Kelle bei einer Presseclub-Sendung kennengelernt, als es um das Erziehungsgeld ging, wo es für den Presseclub auch ungewöhnlich heiß herging." Er habe sich nach der Sendung gefragt, warum Debatten so schwierig seien, wenn persönliche Befindlichkeiten eingebracht würden.
"Wenn es ums Erziehungsgeld geht, ist jeder Kind oder ist Mutter, jeder ist betroffen. Doch wir müssen bei solchen Debatten lernen zu fragen: 'Was ist meine persönliche Befindlichkeit, und was betrifft alle?'
Für eine Sendung mit Therapiecharakter war das ein ausgesprochen guter Slogan, doch leider war Schönenborn kein echter Nachsitzer - er wurde nach der Hälfte der Sendung vom Moderator entlassen. Kelle hingegen musste wie die anderen Nachsitzer bleiben, was der Sendung nicht unbedingt guttat.
"Das ist auch eine Unterhaltungssendung"
Denn kaum war das alte Format (bereichert um Mattfeldt-Kloth) hergestellt, flogen erneut die Fetzen. "Was soll's, was war der Mehrwert von Frau Thomalla?", fragte Mattfeldt-Kloth provokativ, um festzustellen: "Das ist auch eine Unterhaltungssendung."
Thomalla, die weit weniger grimassierte als im März, bedingte sich wiederum als vermeintlich "doofe" Frau das Recht aus, "mich zu diesem Thema zu äußern".
Von Weinerlichkeit war viel die Rede, mehrfach fiel das Wort "albern", zwischen Feministinnen und Antifeministinnen ging es wild hin und her, die Diskutanten warfen sich offen gegenseitig Inkompetenz vor und stellten ansonsten häufiger mal unbelegte Tatsachenbehauptungen auf ("Frauen wollen gar nicht in führende Positionen").
Einzig Anton Hofreiter, der sich auffallend zurückhielt, wohl weil er merkte, dass die Debatte immer wieder neue Tiefpunkt erreichte, trug zur Versachlichung der Diskussion ab und zu bei.
Gehaltslücke immer noch groß
Dafür reichten ein paar Begriffserklärungen und trockene Zahlen aus: 4,4 Prozent der Posten in deutschen Vorständen seien durch Frauen besetzt, rechnete der Chef der Grünen-Fraktion im Bundestag vor. Die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen betrage noch immer 20 Prozent, bereinige man die Zahl um den Effekt, dass Frauen häufig schlechter bezahlte Berufe wählten, betrage der Abstand immer noch sieben Prozent.
Für einen therapeutischen Durchbruch reichte das nicht aus. Die Lehre für die ARD: Sendungen, die ohnehin bei Youtube zu sehen sind, in der Mediathek so lange stehen lassen wie vorgesehen. Und Gäste einladen, die jenseits eigener Befindlichkeiten darüber nachdenken, was alle angeht. Dann muss man auch keine Talkshows wiederholen.