"Bei allem Respekt, es muss nicht sein, sechs- und achtjährige Kinder einzuladen": Am vergangenen Sonntag erschien im ostwestfälischen Anzeigenblättchen OWL am Sonntag eine Kolumne der freien Autorin Barbara Eggert. Darin rät die Diplom-Soziologin einem Familienvater, seine Töchter nicht mit auf die Hochzeit seines schwulen Bruders zu nehmen.
Seitdem der Beitrag im Netz publik wurde, wird die 64-Jährige angefeindet. Die Westfalen-Blatt-Gruppe trennte sich von ihr als Kolumnistin. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt sie sich.
SZ: Frau Eggert, Sie sind nun bekannt, vor allem im Internet. Wie geht es Ihnen damit?
Barbara Eggert: Mir geht es nicht gut. Ich kann die Aufregung und die Reaktionen auf die Kolumne nicht nachvollziehen. Ich bin der Meinung, dass der Text weder mit Homosexualität noch mit Homophobie etwas zu tun hat. Ich habe mich für dieses Thema persönlich auch nie interessiert. Die Überschrift der Kolumne ("Töchter schützen", Anm. d. Red.) stammt nicht von mir. Auch zwei weitere Textpassagen - unter anderem aus der Frage des Vaters - wurden gestrichen. Es ging in dieser Situation darum, die Kinder vor der Auseinandersetzung mit Sexualität zu schützen, nicht etwa vor homosexuellen Männern. Der Vater hat versäumt, die Kinder entsprechend aufzuklären.
Zwischenzeitlich gab es sogar das Gerücht, dass es Sie gar nicht gibt.
Ich habe auch schon vorher Leserbriefe bekommen, in denen ich gefragt wurde: "Gibt es Sie wirklich?" Ich beantworte alle Zuschriften persönlich. Die Leserbriefe zu der besagten Kolumne hält die Redaktion allerdings zurück, um mich zu schützen. Ich habe mir jedoch einige Online-Kommentare durchgelesen. Ich werde darin unter anderem als "Faschistenschwein" bezeichnet. Dabei bin ich eine völlig harmlose, unbekannte, unwichtige Person. Die OWL am Sonntag kennt eigentlich niemand.
Sie sind diplomierte Soziologin, keine Psychologin. Wie kamen Sie zu Ihrer Ratgeber-Kolumne?
Ich schreibe seit elf Jahren für verschiedene, meist überregionale Zeitungen Ratgeber-Kolumnen. Unter anderem auch schon für ein kanadisches Blatt. Die Kolumne in der OWL am Sonntag schreibe ich seit sieben oder acht Jahren. Zuvor hatte ich eine Praxis für Beratung bei Alltags-, Ehe- und Partnerschaftsproblemen. Bevor ich selbst angefangen habe zu schreiben, habe ich viele Ratgeber gelesen.
Nun sind Sie Ihren Job beim Westfalen-Blatt los. Welche Vorwürfe machen Sie der Redaktion?
Der Redaktion mache ich überhaupt keine Vorwürfe, das steht mir nicht zu. Was mich allerdings befremdet hat, war, dass ich gemeinsam mit Herrn Windolph (Ulrich Windolph ist einer von zwei Chefredakteuren des Westfalen-Blattes, Anm. d. Red.) unter relativem Zeitdruck die erste Stellungnahme verfasst habe. Bereits kurze Zeit nachdem die Erklärung im Netz war, wurde Herr Windolph über die sozialen Netzwerke und per Telefon fürchterlich beschimpft. Ich selber habe davon nichts mitbekommen. Er erkundigte sich zweimal täglich nach meinem Zustand und sagte, ich solle eventuelle Anfragen abblocken und stets auf das Westfalen-Blatt verweisen. Von der zweiten Stellungnahme des Blattes, in der sich Herr Windolph von mir distanziert, habe ich dann am Mittwochabend aus den Lokalnachrichten im WDR-Fernsehen erfahren.
Sie wussten bis dato nichts davon?
Nein. Das waren völlig andere Töne, die mich regelrecht vom Sofa gehauen haben. Am Donnerstagmorgen habe ich Herrn Windolph gefragt, wie er mich als alleinigen Sündenbock darstellen und mein Leben so zerstören könne. Er sagte mir, dass der WDR in dem Bericht Tatsachen verdreht habe. Die Krisenkommunikation der Zeitung war unmöglich. Ich habe auch zu Herrn Windolph, der ja als Chefredakteur entsprechend Einfluss hat, gesagt, dass diese Shitstorms vorübergehen. Ich hätte mich nicht erpressen lassen und mit der Kolumne weitermachen wollen.
Erpressung - Sie spielen auf die heftigen Reaktionen im Netz an?
Man beugt sich dem Diktat von Facebook und Twitter, dafür habe ich kein Verständnis. Der Schreibstil in den sozialen Netzwerken - ich bin dort nicht aktiv - hat mich schockiert. Ich habe das Gefühl, dort wird einer pöbelnden Gruppe die Hand gereicht. Dieselbe Kolumne stand vier Wochen vorher in einer anderen Zeitung, darauf habe ich keinen einzigen Leserbrief bekommen. Nun habe ich das Gefühl, wenn ich auf einem Marktplatz stünde, würde ich gelyncht.
Wie erklären Sie sich die Wut?
Man darf heute nicht sagen, was man meint. Vor einiger Zeit habe ich in einer Wochenzeitung den Artikel eines Autors gelesen, der schrieb: Bald käme die Zeit, da man sich dafür entschuldigen müsse, wenn man nicht homosexuell sei. Da habe ich auch nach Luft geschnappt. Aber der Mann hat dafür sehr viel Zustimmung bekommen. Vorgestern habe ich ein Interview mit Andreas Gabalier gesehen. Er sagte sinngemäß: Er fände es immer noch gut, wenn er als Mann eine Frau liebe. Für diese Aussage ist er ausgepfiffen und beschimpft worden.
Würden Sie dem Familienvater heute wieder das Gleiche raten?
Ich habe mir die Kolumne inzwischen 20 Mal durchgelesen und kann nichts finden, was daran schlimm sein soll. Der Text richtet sich nicht mit einem einzigen Satz gegen Homosexuelle. Es geht um die Frage, ob zwei konservativ erzogene Kinder, sechs und acht Jahre alt, die ein traditionelles Familienbild im Kopf haben, korrigiert werden sollen. Wenn ein Vater dazu gezwungen wird, kann das doch nicht gut sein! Der Ratgeber richtet sich aber keinesfalls gegen Homosexuelle. Die Situation des Vaters ist auf viele Beispiele des Alltags übertragbar. Ich muss mich in die Situation der Person hineinversetzen, die meinen Rat sucht. Aber ich dränge den Menschen meine Meinung nicht auf.