Westerwelle bei Jauch:"Da kommt die Schönheit im Menschen wieder hervor"

Guido Westerwelle

Ja, der Ex-FDP-Chef hat jetzt rote Augen. Aber das ist nicht das Thema. Sondern der Mut, den Westerwelle hat.

(Foto: REUTERS)

Guido Westerwelle talkt bei Günther Jauch über seine lebensgefährliche Blutkrebserkrankung. Er ist nicht mehr der Alte - und das ist gut so.

Von Ruth Schneeberger

Viel wird in diesen Tagen darüber geredet, dass der ehemalige Bundesaußenminister rote Augen hat. Dass sein Gang nicht mehr so forsch sei, die Aussprache ihm Mühe mache. Auch vom Wesen her sei er fast ein neuer Mensch, wundert sich Günther Jauch am Sonntagabend in seiner ARD-Talkshow über die "180-Grad-Wende" von Guido Westerwelle: so sanft, gar nicht mehr arrogant.

Westerwelle selbst scheinen solche Analysen nicht besonders zu interessieren. Für ihn ist wichtig, dass er überhaupt noch am Leben ist. Denn das ist das Erstaunliche. Eine zehnprozentige Chance, die aggressive Leukämie zu überleben, an der er kurz nach seinem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Amt 2013 erkrankte, hatten ihm die Ärzte eingeräumt. Die Chemo reichte nicht aus, eine Stammzellentransplantation musste her. Der erste Spender sprang ab.

Dankbar, wieder im TV zu sein - und unter Menschen

Aber nun sitzt "Mister 18 Prozent" wieder in einem Fernsehstudio und strahlt übers ganze Gesicht. Diesmal ist es kein freches Grinsen, kein widerborstiges "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab". Diesmal zollt das Saalpublikum dem Ex-Politiker Respekt, denn hier sitzt einer, der dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen ist. Und mit dem man sich aus ganzem Herzen darüber freuen kann, dass er sich darüber so freut: über den bunten Herbstwald, darüber, dass er überhaupt wieder auf die Straße kann, in die Oper, unter Menschen. Und dann auch noch zurück auf die Bühne, ins TV. Man merkt, wie tiefenerfüllt und ehrlich dankbar er dafür ist.

Stimme und Ausdrucksform des 53-Jährigen sind noch dieselbe, aber jetzt ist eine Herzlichkeit dazugekommen, die Westerwelle sich früher nicht in der Öffentlichkeit erlaubt hat. Er war ja der herausragende Vertreter einer Partei, die für viele für das Ego schlechthin stand. Jetzt ist das anders. Über Politik reden will Westerwelle nicht, nicht mal über die öffentlichen Verwerfungen zwischen Merkel und Seehofer oder über die Flüchtlingskrise. "Das sollen die jetzt mal machen", sagt er.

Die einzigen politischen Äußerungen, die er sich erlaubt, betreffen sein eigenes Wirken: Dass er Deutschland aus Kriegen herausgehalten habe, die unter anderem für die Flüchtlingskrise mit verantwortlich seien, will er betonen. Und als er von den Politikerkollegen erzählt, die ihm guten Zuspruch geleistet hätten, da fällt auf, dass er nach wie vor die Unterscheidung macht zwischen "politischen Konkurrenten" und "Politikern von konkurrierenden Parteien."

"Der Krebs macht alle gleich"

Es heißt, er habe mit Angela Merkel zu Mittag gegessen, als die Nachricht von seinem neuen Stammzellenspender kam. Es heißt außerdem, sein Ehemann Michael Mronz habe den behandelnden Arzt am Tag vor der Transplantation besorgt um die Zusage gebeten, dass dadurch nicht "wesentliche Grundlagen" seiner Ehe infrage gestellt würden: "Ich will nur sicher sein, dass Guido nicht ab morgen mit den Krankenschwestern flirtet." Michael Halleks Antwort: "Versprochen."

Professor Hallek aus Köln ist ebenfalls bei Jauch zu Gast und erklärt brav, dass es in Krankenhäusern keinen Unterschied gebe zwischen Privatpatienten oder gar Prominenten und Kassenpatienten. "Der Krebs macht alle gleich, genau wie der Tod alle gleich macht", bestätigt Westerwelle. Schließlich seien auch ihm die Haare ausgefallen und wenn einer, den man aus dem Fernsehen kennt, im Bademantel über den Krankenhausflur laufe, dann sei er ein Patient wie alle anderen.

Wie um das zu bekräftigen, ist ein weiterer Gast geladen: Die 26-jährige Eva Fidler, Mutter einer kleinen Tochter, erzählt ihre bewegende Geschichte. Auch bei ihr wurde Leukämie festgestellt, auch ihre Prognose war schlecht. Doch sie gebar kurz nach der Chemotherapie eine gesunde Tochter. Dann kam der Krebs zurück, noch aggressiver, sie musste wieder um ihr Leben kämpfen, brauchte ebenfalls eine Stammzellentherapie, sie wandte sich an die Öffentlichkeit. Jetzt scheint sie über den Berg zu sein, genau wie Westerwelle, doch genau weiß man das nie.

Wirklich gleiche Behandlung?

Dass Westerwelle ein paarmal zu oft betont, sie hätten genau dasselbe Schicksal, zeigt die Krux solcher Sendungen. Nicht jeder ist begeistert, wenn sich Prominente im TV über ihre gemeisterten Erkrankungen äußern. Denn nicht jeder kann sich die besten Ärzte leisten, bekommt so viel Zuspruch und Unterstützung, nicht bei jedem schaut die Öffentlichkeit so genau hin. Und will nicht Westerwelle auch sein neues Buch verkaufen, das am Dienstag erscheint, "Zwischen zwei Leben"?

Das stimmt. Und es ist beileibe eben nicht so, dass alle Patienten gleich aufmerksam behandelt würden, egal wer sie sind. Und trotzdem ist es wichtig, dass jene, die die Aufmerksamkeit haben, sie auch nutzen - für die anderen. Dass ausgerechnet jemand wie Westerwelle, der früher von spätrömischer Dekadenz bei Hartz-IV-Empfängern schwafelte, heute so ehrlich seine eigene Leidenszeit beleuchtet, das kann eben auch Leute wachrütteln, die bisher von solcherlei Leid verschont blieben.

Zu Recht bittet der Ex-Vizekanzler nun die Bevölkerung darum, sich über eine Stammzellenspende Gedanken zu machen, denn "die Wahrscheinlichkeit, dass Sie jemals als Spender in Betracht kommen, ist sehr gering. Aber es kann passieren - und dann haben Sie ein Leben gerettet. Das ist doch schön."

Lernen, was wichtig ist

Auch sein Arzt hat zum Schluss noch etwas Schönes beizusteuern: Er glaube nicht, dass der Mensch sich grundlegend ändere unter einer solchen existenziellen Krankheit. Aber er habe schon oft bemerkt, dass viele unnötigen Ballast abwerfen und erkennen würden, was wichtig sei und was nicht: "Da kommt die Schönheit im Menschen wieder hervor", sagt Hallek. Er lerne sehr viel von seinen Patienten.

Und deshalb ist es eben doch wichtig, dass Menschen mit ihrem schweren Schicksal immer wieder in die Öffentlichkeit gehen. Weil auch das Publikum sich davon berühren lassen kann - und vielleicht sogar ein bisschen die Scheu vor dem ablegt, was in unserer Gesellschaft als so fürchtenswert gilt: Krankheit und Verletzlichkeit.

500 000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Krebs. Viele haben immer noch mit Vorurteilen zu kämpfen, zum Beispiel damit, dass es "Krebspersönlichkeiten" gebe, oder dass sie selbst durch Rauchen, Essen oder Trinken dazu beigetragen hätten. "Das ist nicht hilfreich", stellt der Mediziner in der Runde nüchtern fest.

Angelina Jolie hat es vorgemacht: Sie machte öffentlich, dass sie sich ihre Brust amputieren ließ, um nicht an derselben Krebserkrankung zu sterben wie ihre Mutter. Auch die Eierstöcke ließ sie sich vorsorglich entfernen. Nachweislich interessieren sich seitdem mehr Frauen weltweit für die Erkrankung und Vorsorgemöglichkeiten.

Wenn nun Westerwelle hierzulande an die Öffentlichkeit geht, kann man das aus medizinischer wie medialer Sicht eigentlich nur begrüßen. Vor allem dann, wenn dieses Engagement von jemandem kommt, der als politischer Mandatsträger einst sagte: "Nächstenliebe kann keine staatliche Dienstleistung sein."

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