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"Wenn die Stille einkehrt" bei Arte:Geschlossene Gesellschaft

Die dänische Serie "Wenn die Stille einkehrt" erzählt aus dem Leben von acht Menschen vor und nach einem Attentat - berührend, erschütternd und absolut sehenswert.

Von Lena Reuters

Das Restaurant in Kopenhagen ist am Freitagabend voll besetzt. Im gemütlichen Kerzenlicht berichtet eine Frau ihrer Freundin vom letzten Date, an einem anderen Tisch erzählt ein Sohn seinem Vater von seinen Zukunftsplänen mit der eigenen Band. Ein Geburtstagskuchen wird durch die Menge zur fast neunjährigen Marie getragen. Da fällt der erste Schuss. Dann noch einer. Und noch einer. Der Bildschirm wird schwarz, Schrecken und Panik gehen weiter.

Man könnte meinen, die dänische Serie Wenn die Stille einkehrt handele von Terror. Bereits nach 75 Sekunden der ersten Folge kündigt ein Anschlag eine unausweichliche Neuberechnung im Leben der Figuren an. Doch es geht nicht um Gewalt und Waffen oder die Menschen, die diese in der Hand halten. Sie stehen nicht im Fokus der Erzählung. Es geht um acht Personen und ihre Familien, für die nach diesem Abend nichts sein wird, wie zuvor. Der Zuschauer begleitet sie neun Tage vor und neun Tage nach dem Anschlag - wissend, was passiert ist und passieren wird. Um das Netz aus Personen zusammenzuhalten, das über Kopenhagen aufgespannt wird, reduziert sich die Serie auf das Wesentliche. Die Regie (Milad Alami, Iram Haq, Jeanette Nordahl) fokussiert sich auf die Figuren, isoliert sie oft in Großaufnahme vor einem schlichten Hintergrund. In schnellen Schnitten gleitet ein Bild ins nächste und zeigt, wie ein Handlungsstrang in den nächsten greift.

Das Drama erzählt vom Zusammenhalt einer Gesellschaft

Da ist zum Beispiel Justizministerin Elisabeth Hoffmann (Karen-Lise Mynster), die kurz vor ihrem Rentenantritt auf eine erfolgreiche Politkarriere zurückschaut. Mit einem ambitionierten Gesetz möchte sie ihr Vermächtnis der Toleranz und Integrationspolitik manifestieren. Dass ihre Lebenspartnerin am besagten Abend im Restaurant saß, ändert alles - ihre Haltung, ihren Charakter, ihre Politik. Ihre Entscheidungen wirken in das Leben von Jamal (Arian Kashef). Der wird ebenso wie der Rest der Familie von seinem tyrannischen älteren Bruder drangsaliert. Jamals Möglichkeiten, seine Homosexualität offen auszuleben, sind begrenzt, seine Fluchtwege abgeschnitten, und die einzige Person, die sich wirklich für ihn zu interessieren scheint, entpuppt sich als der örtliche Verbrecherboss.

In zehn Stunden lassen die Drehbuchautorinnen Dorte W. Høgh und Ida Maria Ryden eindringlich die Verbindungen zwischen den Figuren hervortreten. Die Charaktere von Elisabeth und Jamal stechen in der Serie besonders hervor, denn sie lassen einen Mikrokosmos entstehen. Gerade bei der mächtigen und dennoch menschlichen Elisabeth stellt sich die Frage nach dem kollektiven Verantwortungsgefühl. Die acht Kopenhagener sind einander zum Teil fremd, leben aber nicht unabhängig voneinander in der dänischen Hauptstadt. Sie bewegen sich auf einer Achse zwischen Macht und Perspektivlosigkeit, zwischen Reichtum und Armut und zwischen sozialer Anerkennung und Ausgrenzung. Wenn die Stille einkehrt ist keine Serie über Terror. Das Drama erzählt vom Zusammenhalt einer Gesellschaft und klingt wie ein Appell gegen die radikal restriktive Einwanderungspolitik Dänemarks.

Arte, 29. Juli, ab 22.00 Uhr und in der Mediathek

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