"Weinberg" auf TNT:Zu viel Kunstnebel

Lesezeit: 2 Min.

Das geht ja gut los: Der junge Mann (Friedrich Mücke), der eines Morgens desorientiert im Weinberg erwacht, hat sein Gedächtnis verloren. (Foto: Martin Rottenkolber/TNT Serie)

Alle deutschen Sender gieren nach einer Serie, die mithalten kann mit den amerikanischen Vorbildern. "Weinberg" zeigt: Darin könnte das Problem liegen.

Von David Steinitz

Der Erwartungsdruck, der derzeit auf neuen deutschen Serienproduktionen lastet, ist eine fiese Angelegenheit. Die Gier nach einer wilden, aufregenden, eigenwilligen Serie, die mit der internationalen Konkurrenz mithalten kann, ist mittlerweile so groß, dass sie letztlich selbst maßgeblich zu genau jener kreativen Impotenz beitragen könnte, die der deutschen Serienlandschaft in den letzten Jahren so oft attestiert wurde.

Ein Musterbeispiel für dieses Problem ist die sechsteilige Mystery-Serie Weinberg des deutschen Pay-TV-Senders TNT, die schon seit Wochen von TNT selbst als der neue Heilsbringer beworben wird. In der ersten Folge wacht ein junger Mann (Friedrich Mücke) im Morgennebel eines Weinbergs auf. Er hat sein Gedächtnis verloren, und über ihm, in den Reben, hängt hübsch aber tot die örtliche Weinkönigin. Der Mann stolpert desorientiert den Berg hinunter, in den geheimnisvollen Ort Kaltenzell, wo er im Intrigen-Wirrwarr der Dorfbewohner herausfinden will, wer er ist. Und warum die Weinkönigin, deren Blut eben noch auf ihn hinabtropfte, plötzlich wieder fidel durchs Dorf marschiert.

Schräges Figurenkabinett

Ausgedacht haben sich diese Geschichte Philipp Steffens, Arne Nolting und Jan Martin Scharf, von denen die letzteren beiden auch als Drehbuchautor beziehungsweise Regisseur bei der Umsetzung mitgewirkt haben. Und die Idee ist wahrlich eine feine, weil der wahre Horror und die großen menschlichen Untiefen gerne in der Provinz zu finden sind. So lehren es die amerikanischen Kino- und TV-Vorbilder von Alfred Hitchcock bis David Lynch, die dieser Serie wohl zugrunde liegen.

Um den Mann ohne Gedächtnis haben die Weinberg-Macher ein dem Thema angemessen schräges Figurenkabinett erfunden: ein aggressiver, pornoaffiner Dorfwirt, ein vietnamesischer Pfarrer, der kaum Deutsch kann, eine dosenbierbeseelte Teenie-Punk-Truppe, intrigante Wein- und Immobilienspekulanten sowie einen stummen Jungen und eine hilfsbereite Psychologin, die beide gewillt sind, dem Mann, der nicht mehr weiß, wer er ist, zu helfen.

Die neurotischen und erotischen Irrungen und Wirrungen, die sich aus dem Eintritt des Fremden in die Dorfgemeinschaft entwickeln, bieten bestes Potenzial für Dramatik und Komik vor herbstlich gefärbter Kulisse, und in manchen Szenen schöpfen die Macher das auch voll aus.

Schade für die tollen Schauspieler

Aber: In ihrer ganzen Twin-Peaks-Haftigkeit verharrt die Serie insgesamt doch in einer enttäuschenden Schockstarre ob anderer großer US-Vorbilder. Etwas zu viel Kunstnebel kriecht über die Weinhänge und das Kopfsteinpflaster der trostlosen Dorfgassen; etwas zu viele bedeutungsschwangere Blicke werfen sich die Protagonisten zu, um Spannung zu suggerieren, die gar nicht da ist. Trotzdem sollte man wegen Weinberg nicht wieder das gesamte deutsche Serienfernsehen infrage stellen. Halb gare Serien gibt es auch in Amerika mehr als genug - sie schaffen es nur meist nicht erst ins europäische Fernsehen, weshalb man hier hauptsächlich die brillanten Star-Exporte zu sehen bekommt.

Dass Weinberg den Thrill, der hier versprochen wird, nicht einhalten kann, ist besonders schade für die tollen Schauspieler. Friedrich Mücke ist einer der besten deutschen Theater- und Filmschauspieler und wurde zuletzt schon im zum Glück bereits eingestellten Erfurter Tatort unter Wert verheizt. Ganz so peinlich wie dieses TV-Desaster ist Weinberg nicht - aber man hätte Mücke doch einen besseren Fernseh-Neustart gewünscht.

MDR
:Erfurter "Tatort" wird eingestellt

Nach nur zwei Folgen ist der "Tatort" aus Erfurt schon Geschichte. Doch nicht nur die heftige Kritik an den bisherigen Episoden hat den Sender zu dem Entschluss bewogen.

Auch dem sonstigen, toll besetzten Ensemble - zum Beispiel Arved Birnbaum als Wirt oder Gudrun Landgrebe als Psychologin - sieht man anfangs gern beim Intrigieren zu. Doch legt sich auch über diese Figuren schnell ein dichter, dramaturgischer Nebelschleier, der in eine dunkle Welt locken will, an der man leider schon das Interesse verloren hat.

Weinberg , TNT Serie, 21.10 Uhr.

© SZ vom 06.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: