Wechsel beim WDR:Der Wille zum Guten

Alexander Bickel wird neuer Fernsehfilmchef

Will dem Fernsehfilm eine Zukunft sichern: Alexander Bickel.

(Foto: WDR/Annika Fußwinkel)

Alexander Bickel leitet den WDR-Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie. Nachdem sein Vorgänger wegen "Me Too"-Vorwürfen gehen musste, ist das Ziel: ein Kulturwandel.

Von Stefan Fischer

Wenn Alexander Bickel aus dem Fenster seines nüchternen Büros schaut, sieht er das pralle Leben. Kölner Innenstadt, zum Dom hinüber sind es 500 Meter. Bis vor ein paar Monaten hat er noch auf einen Parkplatz geblickt und auf Windräder. Damals war der 50-Jährige beim ZDF, auf dem einsam am Rand von Mainz gelegenen Lerchenberg, als stellvertretender Leiter der Hauptredaktion Fernsehfilm-Serie. "Wichtig ist, dass Fernsehen etwas mit unserer Wirklichkeit zu tun hat", sagt Bickel. Er will den Lerchenberg nicht schlecht reden und schon gar nicht das ZDF. Aber in seinem Alltag bekommt er am neuen Arbeitsplatz von der Wirklichkeit definitiv einen größeren Ausschnitt mit. "Nah dran sein" an der Realität, gerade auch mit den fiktionalen Angeboten, das soll eine Stärke des WDR sein. Da hilft es, unter Leute zu kommen.

Seit Mitte Mai leitet der Familienvater Alexander Bickel den Programmbereich Fernsehfilm, Kino und Serie bei der größten Landesrundfunkanstalt der ARD, unter anderem ist er damit auch für die drei Tatorte in Münster, Köln und Dortmund verantwortlich. Er und sein Team haben zwei große Aufgaben: dem unter Druck geratenen Fernsehfilm eine Zukunft zu sichern und überdies ein unseliges Kapitel der Vergangenheit endgültig abzuschließen. Alexander Bickel ist der Nachfolger von Gebhard Henke. Der musste seinen Posten im Juni 2018 räumen, nachdem er mehrfach der sexuellen Belästigung beschuldigt worden war. Sechs Frauen, darunter Schriftstellerin Charlotte Roche und Schauspielerin Nina Petri, hatten gesagt, Henke sei aus seiner professionellen Rolle gefallen. Er habe "betatscht und begrapscht".

Henkes Fehlverhalten hat den WDR und speziell den Fernsehbereich für Fiktionales schwer beschädigt. Eine unabhängige Untersuchung durch die frühere Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies war angebracht, um festzustellen, wie der Sender mit Hinweisen auf sexuelle Belästigung umgeht. Der hatte da, gelinde gesagt, Defizite. Inzwischen gibt es eine Beschwerde- und eine Clearingstelle, und es gibt externe Anlaufstellen. Eine bestehende Dienstvereinbarung, in der geregelt ist, was als Übergriff - nicht nur sexueller Natur - gilt, wurde verschärft. "Es gibt einen Kulturwandel", sagt Bickel, und er lässt keinen Zweifel daran, dass er das Thema Machtmissbrauch sehr ernst nimmt.

Die wichtigste Aufgabe von Andrea Hanke, Frank Tönsmann und Nina Klamroth war denn auch, Vertrauen zurückzugewinnen, speziell bei den Autorinnen, Regisseurinnen, Produzentinnen sowie Schauspielerinnen. Und daraus ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Bickels Posten ist naturgemäß mit viel Macht verbunden, der WDR ist der wichtigste Auftraggeber hierzulande für Fernsehproduktionen und hat in vielen Gremien und Institutionen maßgeblichen Einfluss. Anders als unter Henke möchte Bickel nicht alle Stühle in der Branche selbst besetzen. Er tritt uneitel auf, offen und verbindlich. Er steht für einen neuen, zeitgemäßen Führungsstil. Für ihn ist die Verteilung der Kompetenzen zudem auch eine inhaltliche Frage: "Es kommt etwas Besseres dabei heraus, wenn das ganze Team teilhat an den Entscheidungen und transparent ist, was im eigenen Bereich passiert."

Denn nicht nur im Umgang miteinander soll sich vieles verändern, auch die Filme und Serien, die der WDR produziert, sollen anders werden. "Wir müssen uns fragen", sagt Bickel, "ob wir in unserem Angebot noch die richtige Mischung haben für Menschen, die es gewohnt sind, jederzeit auf die Inhalte unterschiedlicher Plattformen zuzugreifen." Die Antwort dürfte lauten: eher nicht. Alexander Bickel selbst schiebt nach: "Wir wollen den Fernsehfilm wieder lebendiger gestalten. Überraschender, diverser, mit Themen, Erzählweisen und in Milieus spielend, die bisher nicht sehr im Fokus standen." Kurz: mutiger sein.

Dem in den vergangenen Jahren abspenstig gewordenen Publikum mit Sack und Pack spornstreichs hinterher zu wandern in die digitale Welt der Plattformen und Mediatheken, ist für den WDR allerdings keine Option. Zwar darf Bickels Bereich inzwischen Programme produzieren, die zuvorderst oder sogar ausschließlich für die Online-Nutzung konzipiert sind, was immens hilft, von dieser wachsenden und eher jungen Zuschauergruppe als relevant wahrgenommen zu werden. Aber die überwiegende Mehrheit sieht öffentlich-rechtliche Inhalte nach wie vor im linearen Programm. "Deswegen geht unser Blick derzeit nach wie vor da hin", sagt Bickel.

Abgedreht ist etwa der Dreiteiler Unsere wunderbaren Jahre, der 2020 im Ersten zu sehen sein wird. Eine Familiengeschichte, die mit der Währungsreform 1948 einsetzt und dem damit verbundenen Neustart. In Hauptrollen werden Katja Riemann, Anna Maria Mühe, Elisa Schlott sowie Thomas Sarbacher zu sehen sein. Denkbar sei, so Bickel, dass man das Projekt später fortsetze. Eine Art Heimat von Edgar Reitz im Kleinen, oder auch - als Beobachtung des gesellschaftlichen Alltags über Generationen hinweg - eine Fortsetzung der Lindenstraße mit sehr anderen Mitteln. Die Entscheidung, die Lindenstraße einzustellen, ist noch vor Bickels Amtsantritt gefallen.

Nächstes Jahr wird überdies Marc Elsbergs Bestseller Zero verfilmt, ebenfalls fürs Erste - ein Thriller über eine nahe Zukunft, die in China schon Realität ist und in der Apps als Mittel der sozialen Kontrolle dienen. Gemeinsam mit TV France schließlich entsteht Das Parlament. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden mit vielen Sprachen und Untertiteln konfrontiert werden in dieser satirischen Beschäftigung mit dem Europaparlament.

"Es ist im Kern keine Geldfrage, wie es uns gelingt, dass Zuschauer wieder bei uns einschalten."

Gleichzeitig gilt es, bei stagnierenden Budgets, attraktive Angebote fürs Netz zu realisieren und den Anteil dessen, was primär für die Mediatheken produziert wird, Jahr für Jahr zu erhöhen. Speziell das Feld der Serien will Bickel nicht den Streamingdiensten überlassen. "Wir sind auch gar nicht neu bei dieser Party. Der WDR hat erfolgreich ambitionierte Serien gemacht, lange bevor die Streamingdienste auf den Plan getreten sind. Wir müssen selbstbewusst eine Form für uns finden und die passenden Inhalte." Er erinnert an Rainer Werner Fassbinders Adaption von Berlin Alexanderplatz und an Dominik Grafs Im Angesicht des Verbrechens. Speziell mit der Thriller-Serie sind die Senderverantwortlichen damals 2010 allerdings alles andere als selbstbewusst umgegangen. Nachdem die ersten Quoten nicht den Erwartungen entsprochen haben, wurde die Serie ins Nachtprogramm verklappt. Auch das sieht Alexander Bickel als eine Aufgabe an: die Erfolgskriterien zu definieren, vor allem bei der non-linearen Nutzung.

Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Mediathek ist ihre technische Wettbewerbsfähigkeit. Eine umfassende Suchfunktion, eine Personalisierung und die Möglichkeit, nach einer Unterbrechung dort weiterschauen zu können, wo man aufgehört hat - was Streamingdienste längst anbieten, muss auf der ARD-Plattform erst noch geschaffen werden.

Technische Herausforderungen und finanzielle Spielräume dürften jedoch nicht vom Wesentlichen ablenken, sagt Alexander Bickel: "Es ist im Kern keine Geldfrage, wie es uns gelingt, dass Zuschauer, die vor fünf Jahren noch unsere Mittwochsfilme geschaut haben und inzwischen bei Netflix Kunde sind, wieder bei uns einschalten."

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