Süddeutsche Zeitung

WDR:Angriff als Verteidigung

Der Kölner Sender kommt nicht zur Ruhe. Nun wurde auch Fernsehspielchef Gebhard Henke wegen Belästigungs­verdachts freigestellt. Der Beschuldigte wehrt sich und fordert seine Chefs auf, die Vorwürfe zu konkretisieren.

Von Hans Hoff

Vielleicht sollte Monika Wulf-Mathies das mit dem lange geplanten Urlaub im Mai noch einmal überdenken. Schließlich wurde die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende gerade gerufen, um als unabhängige Instanz aufzuklären, ob der WDR bei der Aufklärung der Vorwürfe sexueller Belästigung in der Anstalt angemessen reagiert hat. Selbstredend braucht so etwas Zeit, man sichtet in Ruhe die Akten und befragt die Beteiligten in feiner Ausführlichkeit. Sorgfalt heißt das Gebot der Stunde. Da könnte man denken, dass es auf ein bisschen Urlaub nun auch nicht ankommt. Aber die Fakten sind nun mal nicht alles, es geht auch um die Wirkung nach außen. In dieser Hinsicht wird der am Donnerstag überraschend verpflichteten 76-jährigen die Rolle einer Feuerwehrfrau zugeschrieben, die jetzt schlecht sagen kann, dass sie erst mal in Ruhe ein Bier trinken geht. Denn was den Ruf des WDR angeht, brennt die Hütte gerade lichterloh.

In dieses Feuer wurde am Montag noch einmal Öl gegossen, als Gebhard Henke mit dem Schreiben der Kanzlei seines Anwalts Peter Raue an die Öffentlichkeit ging. Der Leiter des Programmbereichs Fernsehfilm, Kino und Serie im WDR machte bekannt, was bei den löchrigen Geheimhaltungsstrukturen eines Betriebs mit 4111 Mitarbeitern ohnehin bald Gesprächsthema geworden wäre. Am Sonntag hat ihn Fernsehdirektor Jörg Schönenborn freigestellt, weil, so der Vorwurf, zwei konkrete Verdachtsmomente in Fällen sexueller Belästigung vorlägen.

Henke ist nicht irgendwer. Der Tatort-Koordinator gilt als bestens vernetzt in der deutschen TV-Szene, ihm und seinem Team ist zu verdanken, dass die WDR-Fernsehspiele einen so guten Ruf genießen. Lange betreute der 63-Jährige, schon seit 1984 beim WDR beschäftigt, die Lindenstraße und Kinofilme wie Kleine Haie und Good Bye, Lenin!.

Die von Henke beauftragte Kanzlei fordert den WDR nun auf, die Vorwürfe bis zum 10. Mai zu konkretisieren, damit ihr Mandant dazu Stellung nehmen könne - oder aber die Freistellung aufzuheben. Henke bestreitet, sich jemals so verhalten zu haben, wie ihm dies vorgeworfen wird.

Im WDR äußert man sich zu dem Vorgang eher allgemein. "Wir haben verschiedene ernstzunehmende Hinweise, denen wir derzeit sehr sorgfältig nachgehen. Während dieser Überprüfung halten wir es für notwendig, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden", sagte Unternehmenssprecherin Ingrid Schmitz mit Bezug auf Henke.

Die Außenwirkung ist verheerend. Der Eindruck: Die WDR-Chefs haben ihren Laden nicht im Griff

Damit hat aus Sicht des WDR offenbar alles seine bürokratische Ordnung. Nachdem man sich bei vorhergehenden Fällen der Kritik ausgesetzt hat, mit senderintern auffällig gewordenen Männern zu lasch umgegangen zu sein, wollen Intendant Tom Buhrow und Schönenborn so vermutlich beweisen, was sie, wie alle in der ARD inzwischen bei jeder Gelegenheit behaupten: Sexuelle Belästigung wird im WDR nicht geduldet und mit allen arbeitsrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln aufgearbeitet. Dazu zählt auch, dass für die Aufarbeitung der Vorwürfe mittlerweile drei Anwaltskanzleien tätig sind. Zwei dienen zudem als Anlaufstelle für Geschädigte, eine unterstützt Wulf-Mathies.

Die muss nun auch prüfen, ob es tatsächlich zutrifft, dass sexuelle Belästigungen im WDR offenbar jahrelang keine nennenswerten Konsequenzen hatten. Wenn nun auch noch einer der wichtigsten Mitarbeiter des Senders ohne genaue Begründung freigestellt wird, ist das in der Außenwirkung verheerend, weil der Eindruck entsteht, die Chefs hätten ihren Laden nicht im Griff. Besucht man den Sender, ist die Verunsicherung der Belegschaft mit Händen zu greifen. Nicht wenige fragen sich, in was für einem Betrieb sie da täglich ihrem öffentlich-rechtlichen Auftrag nachgehen, was mit dem größten ARD-Sender - Jahrestat 2018 laut Haushaltsplan 1,41 Milliarden Euro - eigentlich gerade los ist.

Zudem ist offen, was nun aus Henkes Programmbereich wird. Weil auch die 1953 geborene Barbara Buhl, die dort neben Henke starke Impulse setzt, in Kürze das Rentenalter erreichen wird, könnte der WDR bald ohne nennenswerte Fernsehspielabteilung dastehen. Selbst wenn Henke von allen Vorwürfen entlastet würde, bleibt schwer vorstellbar, wie er im Sender weiterwirken soll. Klare Verhältnisse sehen anders aus.

Man kann aber auch sehr leicht durcheinandergeraten bei den vielen Fällen, den vielen Vorwürfen. Erst ging es nur um einen Auslandskorrespondenten, der offenbar sehr lange und sehr ausdauernd Mitarbeiterinnen mit sexuellen Offerten in die Enge getrieben hat. Dem wurde ein Vermerk in die Personalakte geschrieben, verbunden mit der Drohung, er müsse mit Kündigung rechnen, wenn weitere Vorwürfe auftauchen. Seine Arbeit konnte er indes weitermachen. Als die Vorwürfe dann samt der eher sanft anmutenden WDR-Reaktion öffentlich wurden, meldeten sich weitere Mitarbeiterinnen. Nun wurde der Korrespondent freigestellt. Man möge Verständnis haben, dass der WDR aus arbeitsrechtlichen Gründen und wegen des Persönlichkeitsschutzes nicht mehr sagen könne, lautet die immer gleiche Antwort der Pressestelle auf Fragen nach Details.

Auch weitere Vorwürfe, den Programmbereich Ausland betreffend, werden untersucht. Oder sie wurden untersucht im Jahre 2010. Vom damaligen Chefredakteur Jörg Schönenborn, der seit 1. Mai 2014 Fernsehdirektor ist. Schönenborn vermittelt den Eindruck, akribisch zu arbeiten und Gesetzen Genüge zu tun. Leider sei die bekannte Faktenlage zum Zeitpunkt der Vorwürfe eher dürftig gewesen, entgegnet er denen, die ihm halbherzige Aufklärung vorwerfen. "Ich hätte mir gewünscht, dass ich die Informationen, die uns heute vorliegen, schon damals gehabt hätte. Denn mit dem Wissen von heute hätte man damals andere Entscheidungen getroffen", sagt er. Wie diese anderen Entscheidungen ausgesehen hätten, erfährt man nicht.

Im Fall Henke ergeben sich allerdings Fragen. Wenn es nämlich stimmt, dass Schönenborn ihm gegenüber mehrfach die Konkretisierung der Vorwürfe verweigert hat, wie es Henke in der Presseerklärung seiner Anwälte behauptet, möchte man zumindest wissen, ob solch ein Vorgehen zum üblichen Ablauf interner Ermittlungen gehört. Der WDR äußert sich dazu wie folgt: "Dem Mitarbeiter ist bekannt, dass ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen wird, die wir als schwerwiegend einstufen. Jetzt wird geprüft und dabei gilt: Sorgfalt vor Schnelligkeit. Selbstverständlich wird der Mitarbeiter sich auch zu den konkreten Vorwürfen äußern können. Die Freistellung erfolgte, um Raum und Zeit für die sachliche Aufklärung zu schaffen."

Dieser Tage wird den Abonnenten wieder Print zugestellt. In der WDR-Hauszeitschrift ist unter dem Buhrow-Zitat "Wir dulden das nicht" von den sexuellen Belästigungen und dem Umgang damit die Rede. Darunter findet sich vorsichtshalber der Hinweis "Stand: 23. April 2018". Offenbar ist man sich im Sender sehr wohl bewusst, dass da noch mehr kommen kann.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2018
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