"Washington Post":Jeff Bezos kauft der Branche Hoffnung
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Stunde Null: Die Übernahme der "Washington Post" durch Amazon-Gründer Jeff Bezos weckt Hoffnungen auf den Beginn einer Renaissance der gebeutelten US-Printmarken. Gelingt es dem Revolutionär der Handelsbranche, die Branche zu revitalisieren - oder verleibt sich Bezos nur einen weiteren Teil der Verwertungskette ein?
Von Johannes Kuhn
Wie der Stromschlag eines Defibrillators durchfuhr die Nachricht die siechende US-Medienbranche: Wo sonst häufig das Wehklagen über den eigenen Niedergang vorherrscht, erwuchsen nun wieder Fantasien über eine wenn nicht goldene, doch zumindest bessere Zukunft.
Jeff Bezos kauft die Washington Post. Der Mann, der aus dem Online-Buchversand Amazon mit viel Geduld und noch mehr Geschick die auf absehbare Zeit wichtigste Verkaufsplattform der Welt gemacht hat. "The ultimate disrupter" hat ihn einst das Magazin Fortune genannt. Der Kern dieser Bezeichnung liegt irgendwo zwischen Veränderung und Zerstörung - was ungefähr auch den Prozess beschreibt, den die Branchen des gedruckten Wortes von Verlagen bis zu Buchhändlern seit dem Aufstieg Amazons zu einem ernsthaften Monopol-Anwärter durchlaufen mussten.
Das Geschäft ist ein gewaltiger Einschnitt für die traditionelle amerikanische Medienbranche. "Der Eisberg hat gerade die Titanic gerettet", titelte das Portal Salon.com. Für 250 Millionen Dollar übernimmt mit Bezos erstmals ein Internet-Unternehmer eine bedeutende Printmarke. Der Preis sei "für die moderne Zeit großzügig", merkt New-Yorker-Chef David Remnick an und ergänzt nüchtern: Vor zehn Jahren hätten die Eigentümer allerdings ein Vielfaches erhalten.
Keine Antworten auf die Fragen
In einem Brief an die Belegschaft schreibt der Aufsichtsratsvorsitzende Donald Graham, dessen Familie 1933 die damals zahlungsunfähige Zeitung ersteigerte, über die vergangenen Jahre: "Als das Zeitungsgeschäft weitere Fragen aufwarf, auf die wir keine Antworten hatten, begannen Katharine [Weymouth, seine Nichte, Verlegerin und Vorstandsvorsitzende der Post, d. Red.] uns zu fragen, ob unsere kleine Aktiengesellschaft noch das beste Zuhause für die Zeitung war." Ein bemerkenswertes Eingeständnis für einen Mann, der als gut vernetzt im Silicon Valley gilt und unter anderem im Aufsichtsrat von Facebook sitzt.
Die Familie behält vorerst Kaplan sowie einige weitere Marken wie Slate, Foreign Policy und das ansehnliche Immobilien-Portfolio. Bezos übernimmt neben der Washington Post noch einige Regionalableger. Amazon, so betonen die Beteiligten, ist an dem Deal nicht beteiligt. Damit sinkt die Gefahr, dass ungeduldige Aktionäre Bezos dazu drängen, das Traditionsunternehmen möglichst schnell auf Profitabilität zu trimmen und möglicherweise bald wieder abzustoßen. Und genau das ist es, was die Hoffnung in Belegschaft und Branche nährt.
"Das ist kein Geschäft im klassischen Sinne, das ist ein kulturelles Statement", frohlockt die bekannte Medienanalystin Emily Bell. "Unterm Strich bin ich hoffnungsfroh", schreibt der omnipräsente Neue-Medien-Guru Jeff Jarvis. Und selbst Alan Mutter, dessen pessimistische Prognosen für das Printgeschäft noch stets eingetreten sind, kommt zu dem Schluss: "Seine Bilanz legt nahe, dass Bezos kühn dorthin gehen wird, wo sich noch kein Herausgeber zuvor hingewagt hat."
Bezos gilt als Geschäftsmann mit stoischer Geduld, wie er in den Jahren bewies, als sein Unternehmen nur langsam wuchs und die Aktionäre ihn zu einem Kurswechsel drängen wollten. Mit einem geschätzten Vermögen von 25 Milliarden Dollar dürfte er kurzfristige Defizite erst einmal hinnehmen. "Die Werte der Post müssen sich nicht verändern", kündigte er bereits in einem Brief an die Belegschaft an. Soweit die Aspekte, die jene erfreuen dürften, denen Berechenbarkeit wichtig ist.
Doch schreibt Bezos auch: "Es wird in den nächsten Jahren Änderungen bei der Post geben. Das ist essentiell und wäre mit oder ohne neue Eigentümer passiert." Diese Sätze lassen die Progressiven träumen: Wer, wenn nicht einer der größten Digitalstrategen der Gegenwart könnte neue Herangehensweisen jenseits aller Verleger-Denkweisen finden und ein Produkt entwickeln, das die Wünsche des Kunden in den Mittelpunkt stellt?
Wer, wenn nicht der Herrscher über schmalste Gewinnmargen könnte dem Journalismus beibringen, wieder Geld zu verdienen? Wer, wenn nicht der Erfinder einer digitalen Amazon-Verkaufsmaschine in Tablet-Form (Kindle Fire) könnte verstehen, wie ein Medienkonzern das Flachcomputer-Zeitalter angehen muss? Und welches Medienunternehmen hätte nicht Interesse an der Infrastruktur, die Amazon bietet - von den Nutzervorlieben bis zu den Lesegeräten?
Wie steht es um Interessenskonflikte?
Doch auch die Skeptiker finden in Bezos die Projektionsfläche für die Angst vor einem Medienwandel, der in die falsche Richtung geht: Was ist mit dem Interessenskonflikt, den die Washington Post künftig in der Berichterstattung über Amazon, den Einzelhandel oder die Techbranche eingeht? Wer verhindert, dass die Zeitung zum Washingtoner Lobbyorgan für die Vorstellungen des Eigentümers wird? Genügt die Zusage, dass Bezos sich aus dem aktuellen Geschäft heraushält?
Und was passiert, wenn Amazon und die Post doch gemeinsame Sache machen, zum Beispiel mit vorinstallierten Digitalabos auf Kindle-Lesegeräten? Wird dann aus dem vermeintlichen Mäzen nicht wieder der rücksichtslose Revolutionär, der sich ein weiteres Stück der digitalen Verwertungskette einverleibt?
Dass Geschäftsmänner in den USA zu Verlegern werden, ist kein Novum, sondern hatte im 20. Jahrhundert Tradition: John Whitney verdiente sein Geld mit Schwefelminen und Filmrollen, bevor er die New York Herald Tribune kaufte. Ohne den Finanzinvestor Raoul Fleischmann hätte es den New Yorker nie gegeben. William Randolph Hearst profitierte beim Aufbau seines Medienimperiums von den Bergbau-Millionen seines Vaters.
Ist nun also die Zeit gekommen, in der Medienunternehmen wieder das Hobby von Milliardären werden? Immerhin ist es bereits der zweite Deal dieser Art in wenigen Tagen: Erst am Wochenende kaufte der Milliardär John Henry den Boston Globe.
Ende einer Ära
Bereits seit 2007 fördern die kalifornischen Immobilien-Milliardäre Herbert und Marion Sandler investigativen Journalismus mit der nichtkommerziellen Plattform ProPublica. Und selbst Facebook-Mitgründer Chris Hughes leistet sich im Alter von 29 Jahren mit dem Traditionsmagazin New Republic ein teures Hobby.
Mit dem Verkauf der Washington Post scheint zumindest die Ära der Familienverleger in den USA zu Ende zu gehen: Vor den Grahams verabschiedeten sich bereits renommierte Eigentümer wie die Chandlers ( Los Angeles Times) oder die Bancrofts ( Wall Street Journal) aus dem Geschäft. Einziges Überbleibsel dieser Ära ist die Sulzberger-Familie, der die New York Times gehört. Wenn man so möchte, ist das Duell der beiden bekanntesten Tageszeitungen künftig auch das des Verleger-Establishments gegen die Silicon-Valley-Generation.