Wie der Stromschlag eines Defibrillators durchfuhr die Nachricht die siechende US-Medienbranche: Wo sonst häufig das Wehklagen über den eigenen Niedergang vorherrscht, erwuchsen nun wieder Fantasien über eine wenn nicht goldene, doch zumindest bessere Zukunft.
Jeff Bezos kauft die Washington Post. Der Mann, der aus dem Online-Buchversand Amazon mit viel Geduld und noch mehr Geschick die auf absehbare Zeit wichtigste Verkaufsplattform der Welt gemacht hat. "The ultimate disrupter" hat ihn einst das Magazin Fortune genannt. Der Kern dieser Bezeichnung liegt irgendwo zwischen Veränderung und Zerstörung - was ungefähr auch den Prozess beschreibt, den die Branchen des gedruckten Wortes von Verlagen bis zu Buchhändlern seit dem Aufstieg Amazons zu einem ernsthaften Monopol-Anwärter durchlaufen mussten.
Das Geschäft ist ein gewaltiger Einschnitt für die traditionelle amerikanische Medienbranche. "Der Eisberg hat gerade die Titanic gerettet", titelte das Portal Salon.com. Für 250 Millionen Dollar übernimmt mit Bezos erstmals ein Internet-Unternehmer eine bedeutende Printmarke. Der Preis sei "für die moderne Zeit großzügig", merkt New-Yorker-Chef David Remnick an und ergänzt nüchtern: Vor zehn Jahren hätten die Eigentümer allerdings ein Vielfaches erhalten.
Keine Antworten auf die Fragen
In einem Brief an die Belegschaft schreibt der Aufsichtsratsvorsitzende Donald Graham, dessen Familie 1933 die damals zahlungsunfähige Zeitung ersteigerte, über die vergangenen Jahre: "Als das Zeitungsgeschäft weitere Fragen aufwarf, auf die wir keine Antworten hatten, begannen Katharine [Weymouth, seine Nichte, Verlegerin und Vorstandsvorsitzende der Post, d. Red.] uns zu fragen, ob unsere kleine Aktiengesellschaft noch das beste Zuhause für die Zeitung war." Ein bemerkenswertes Eingeständnis für einen Mann, der als gut vernetzt im Silicon Valley gilt und unter anderem im Aufsichtsrat von Facebook sitzt.
Die Familie behält vorerst Kaplan sowie einige weitere Marken wie Slate, Foreign Policy und das ansehnliche Immobilien-Portfolio. Bezos übernimmt neben der Washington Post noch einige Regionalableger. Amazon, so betonen die Beteiligten, ist an dem Deal nicht beteiligt. Damit sinkt die Gefahr, dass ungeduldige Aktionäre Bezos dazu drängen, das Traditionsunternehmen möglichst schnell auf Profitabilität zu trimmen und möglicherweise bald wieder abzustoßen. Und genau das ist es, was die Hoffnung in Belegschaft und Branche nährt.
"Das ist kein Geschäft im klassischen Sinne, das ist ein kulturelles Statement", frohlockt die bekannte Medienanalystin Emily Bell. "Unterm Strich bin ich hoffnungsfroh", schreibt der omnipräsente Neue-Medien-Guru Jeff Jarvis. Und selbst Alan Mutter, dessen pessimistische Prognosen für das Printgeschäft noch stets eingetreten sind, kommt zu dem Schluss: "Seine Bilanz legt nahe, dass Bezos kühn dorthin gehen wird, wo sich noch kein Herausgeber zuvor hingewagt hat."