80. Jahrestag der Wannseekonferenz im ZDF:Ein vollkommen erstaunlicher Film

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Ein Film, der davon handelt, wie eine Diktatur funktioniert: Geschonneck zeigt die Organisatoren des Holocaust als Vertreter ihrer Ministerien und nicht als Monster. Das macht sie so monströs. In der Mitte Philipp Hochmair als Reinhard Heydrich. (Foto: Julia Terjung/ZDF)

Matti Geschonneck zeigt die Frühstücksbesprechung zum Genozid an den Juden im ZDF: "Die Wannseekonferenz" ist ein ruhiges, giftreiches, fesselndes Meisterwerk.

Von Alexander Gorkow und Joachim Käppner

Für einen Moment, einen Augenblick nur scheint so etwas wie Licht in diesen Film zu fallen. Endlich, so hofft man, steht immerhin einer auf, um zu fragen: Was machen wir hier eigentlich? Gibt es keine Regeln mehr, keine Normen? Es erhebt auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 Dr. Wilhelm Stuckart Widerspruch, Staatssekretär im Reichsinnenministerium. Was hier beraten werde, sei mit der bisherigen Gesetzeslage nicht vereinbar. Skrupel? Stuckart hat offenkundig keine Angst vor den obersten Vertretern des Terrorapparates, wie Gestapo-Chef Heinrich Müller und Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Beraten wird das Schicksal der europäischen Juden, genauer die Organisation des Schicksals, das ihnen das nationalsozialistische Deutschland längst zugedacht hat: den Tod. Gewünscht werden elf Millionen tote Juden, und eben die Masse ist für die Anwesenden das Problem: logistisch. Aber ersichtlich sind Probleme wie dieses für die Herrschaften kein Grund, die Contenance zu verlieren, denn Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden. Dazu gab es damals Lachsschnittchen und Filterkaffee. Die Einladung zum 20. Januar 1942 lautete: "Besprechung mit anschließendem Frühstück".

Regisseur Matti Geschonneck: Ein Film ohne Trost. (Foto: Jörg Carstensen/picture alliance)

Je länger Stuckart spricht, argumentiert, debattiert, desto klarer wird: Dies ist ein Film ohne Trost. Der Spitzenbeamte will lediglich die Interessen seines Ministeriums durchsetzen, die Gesetzgebung verteidigen, die zwischen Viertel- und Halbjuden unterscheidet, aber er tut das nicht, um die Menschen zu retten. Es ist keine Empathie zu erwarten. Stuckart hatte schon die Nürnberger Rassengesetze 1935 mitgestaltet. Es geht an diesem Morgen am Wannsee um Rangkämpfe unter Abteilungsleitern, um Kompetenz- und Verantwortungsfragen unter Behörden. Es ist - in dieser Hinsicht - eine ganz normale Konferenz. Es gibt kein Licht in dieser Runde. 15 Männer in Anwesenheit einer Sekretärin diskutieren, wie sie möglichst viele Menschen möglichst schnell ermorden lassen können. Der ZDF-Film "Die Wannseekonferenz" zeigt sie nicht als Monster. Das macht sie so monströs.

Hier sind aufstrebende Männer mit Fachwissen am Werk, das sie jetzt mal einbringen wollen

Geschonneck hatte seinen Schauspielern, die die 15 Teilnehmer der Wannseekonferenz vom Januar 1942 spielen, eingeschärft: Sie sollen keine Nazis spielen. Sondern Männer, die auf einer Konferenz miteinander ringen um Lösungen, um Rangstreitigkeiten, Kompetenzabgrenzungen, Eigeninteressen der Ressorts - es ist das, was die meisten Menschen aus dienstlichen Besprechungen kennen werden, man darf sich da erschrecken. Nur dass es hier nicht um neue Produkte geht. Es geht stattdessen um den größten Massenmord der Geschichte, für den die geballte Macht des kriegführenden Deutschen Reiches gewaltige Ressourcen mobilisierte. Das Ziel: möglichst alle Juden Europas zu töten einschließlich der Neugeborenen, aus keinem Grund als dem, dass sie Juden waren.

Wie dies passieren soll, darüber wird in diesem Film in Ruhe diskutiert. "Die Wannseekonferenz" im ZDF dauert so lang wie die Wannseekonferenz vor 80 Jahren, etwa 90 Minuten. Geschonneck hat einen tiefgründigen Film inszeniert - ruhig, beherrscht, ordentlich. Grauenerregend.

"Was passiert, wenn aus dem gesprochenen Wort Aktion wird?" fragt Oliver Berben, Produzent von der Constantin: "Das ist keine historische Frage." Nicht in den Zeiten verbaler Radikalisierung wie in unseren oft hysterischen Tagen. Die Wannseekonferenz 1942 wäre noch zwanzig, auch zehn Jahre zuvor unvorstellbar gewesen - doch der Ungeist, der Hass, die verkommene Sprache: All das gab es da längst. Diese Worte waren schon lange Tat geworden, als die Herren in ihrer Besprechung über die weitere Organisation der Vernichtung debattierten.

Geschonnecks Film handelt davon, wie eine Diktatur funktioniert - nein, wie genau diese Diktatur funktionierte. Die ja nur zu einem geringen Teil aus Befehlshabern und Henkern bestand. Sie brauchte die vielen Menschen des Unterbaus - und, wie in diesem Film, die immer noch relativ zahlreichen Menschen des Mittelbaus, aus den preußischen (Militär-)Akademien und Abteilungen. Skrupellose, Tatkräftige, Feiglinge, Buchhalter, Menschen aller Art, einige ganz eloquent, nach oben gespült oder eben immerhin in die Mitte, Menschen, die noch mehr werden wollen oder immerhin keine Abreibung kriegen, die willens sind, ihr Fachwissen jetzt mal einzubringen, ihre Expertise. Sie alle sind im Rahmen des von ihnen zu organisierenden Massenmords überaus gewissenhafte Führungskräfte, immer wieder bis hin zum Naseweisen konstruktiv in ihrer Kritik, ist doch alles für die Sache. Und so drehen sich die Räder der Maschine.

Zusammenspiel eines Ensembles als dunkles Ballett: Von links Fabian Busch als Gerhard Klopfer, Thomas Loibl als Friedrich Wilhelm Kritzinger, Godehard Giese als Wilhelm Stuckart, Simon Schwarz als Martin Luther, Matthias Bundschuh als Erich Neumann und Arnd Klawitter als Roland Freisler. (Foto: JULIA TERJUNG/ZDF und JULIA TERJUNG)

Für Matti Geschonneck ist dies die vielleicht persönlichste Annäherung an die Zeit der Diktatur, die das Leben seiner Familie zutiefst prägte. Sein Vater Erwin Geschonneck, der später in der DDR ein erst bekannter, dann legendärer Schauspieler war, überlebte als kommunistischer Widerstandkämpfer aus dem künstlerischen Kreis um Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht drei Konzentrationslager sowie auch noch die tragische Versenkung des mit Häftlingen überfüllten Passagierschiffs Cap Arcona durch britische Jagdbomber in der Lübecker Bucht 1945. Dieser Vater, der mit 101 Jahren erst 2008 starb, blieb Zeit seines Lebens überzeugter Kommunist, er billigte auch nicht, dass sein Sohn Matti (benannt nach dem Knecht aus Brechts Stück über "Herrn Puntila") 1978 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR eintrat und in die Bundesrepublik ging.

Der Film ist eine Ensembleleistung von unschätzbarem Wert, samt Kamera, Drehbuch

Was für den 1952 geborenen Regisseur Matti Geschonneck noch Gegenwart war, die Zeit der Ideologien und ihre fortwirkenden Traumata, ist für Jüngere heute oft unvorstellbar fern. Friederich Oetker, ein weiterer Produzent des Films, sieht das Problem, dass "junge Menschen heute ein Problem mit der klassischen Form des Doku-Dramas im Fernsehen haben", dieser Mischung aus Dokumentarfilm und nachgespielten Szenen, die bei den öffentlich-rechtlichen Sendern sehr beliebt ist und verlässlich lächerlich wirkt, weshalb angemerkt sei, dass nicht nur Jüngere damit ein Problem haben: Fast sicher trifft in diesen Formaten dokumentarische Beflissenheit auf schlechte Kunst, miserable Dialoge auf kuriose Kostüme, Stadttheaterlicht und zu viel Schminke.

Die Lösung: Nicht schlechte, sondern große Kunst. Geschonneck nun weiß um die Gewalt, um die schiere, ja erschütternde Lautstärke, die exakt in der akkuraten, effektiven, dabei stets vergifteten Ruhe tobt während dieser kleinen Führungskräftetagung am blaugrauen Wannsee. Und obwohl es sich also um ein reines Kunstwerk handelt, das Geschonneck gedreht hat (kein Dialog ist gesichert überliefert, es basiert alles auf Adolf Eichmanns Protokoll oder Äußerungen der historischen Figuren bei anderer Gelegenheit), wird erst dadurch ein so großes Kunstwerk daraus, dass alles, dass jede Sekunde dieses vollkommen erstaunlichen Films der Genauigkeit untergeordnet ist. Natürlich ist das effektreich, man soll sich da nicht täuschen - aber ein Effekt ist ja eben was anderes als der plumpe Glanz eines Effekts.

Adolf Eichmann, fast schon verblüffend roboterhaft gespielt von Johannes Allmayer, und Protokollantin Ingeburg Werlemann (Lilli Fichtner). (Foto: JULIA TERJUNG/ZDF)

Geschonneck geht dem unvergleichlichen Grauen des Themas also nie auf den Leim: Theo Bierkens' Kamera saugt stattdessen jedes Detail auf, Mimik, Bleistifte, die geometrische Ordnung der Utensilien wie der Uniformen, gleichmäßig gleitet sie über die ordentlichen Verbrecherköpfe. So stellt diese meisterhafte, sich förmlich durch die Schichten mikroskopierende Kamera tatsächlich ein Adagio her, mitunter gar ein Largo, da man nämlich tatsächlich erst nach einer Weile merkt, lange nachdem Matthias Brandt als Sprecher aus dem Off zu Beginn ins Konferenzgeschehen eingeführt hat: Dies ist ein Film, in dem Kamera und Schnitt (Dirk Grau) alleine die Musik besorgen. Wir hören sonst nur die knappen Monologe und spitzen Dialoge, die die Drehbuchautoren Magnus Vattrodt und Paul Mommertz den Herren zugeschrieben haben; bilanzierend, aufrechnend, zur Abwägung freigebend, das aus zahllosen Korrespondenzen bekannte Horrordeutsch der Nazi-Verwaltungs-Superstars, in dem Menschen zum Abtransport "einwagoniert" werden - mitunter spitzfindig und veilchenduftend tückisch Verantwortung rüberreichend auf die andere Seite des Tisches und ganz andeutungshaft nur naserümpfend, wenn einem wer doof kommt oder es versucht.

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Es ist ein Film, den man nicht wieder los wird, den man nicht abgeschüttelt bekommt - eine Ensembleleistung, und das Ensemble meint hier nicht nur die Darsteller, sondern das Ensemble meint das Zusammenspiel aller an diesem dunklen Ballett Beteiligten. Der umwerfende Thomas Loibl in seiner immer leicht frappierten Darstellung des beflissenen Staatssekretärs Kritzinger, der phantastische Johannes Allmayer in seiner fast schon verblüffend roboterhaften Darstellung des fleißigen Eichmann . . . all diese Schauspieler, unter ihnen etwa auch Arnd Klawitter, Jakob Diehl, Maximilian Brückner, Philipp Hochmair ergeben eine hoch akkurate Runde aufstrebender Männer; es ist eine, auch dies, durchweg brillante Schauspielerleistung, aber eben auch wegen dieses Drehbuchs, dieser Kamera - dieser Regie.

Einmal nehmen sich Stuckart und Heydrich eine kleine Auszeit. Da stehen sie am Fenster, der Vordenker und der Exekutor des Genozids, und sehen hinaus auf das winterliche Idyll des Großen Wannsees. Nichts ist hier im Januar 1942 zu spüren vom Krieg, den Gruben voller Leichen, den Massenerschießungen, den Killertruppen der SS in der Sowjetunion. Die beiden Männer sinnieren: Hier könnte man wohnen, sich im Sommer besuchen, die Kinder würden am See spielen.

"Ein schöner Gedanke", sagt Heydrich. Wenn dann einmal Frieden wäre. Nach dem "Endsieg". Dann gehen sie zurück in die Besprechung.

Die Wannseekonferenz, ZDF, 24. Januar, 20.15 Uhr, und bereits jetzt in der ZDF-Mediathek. Am Montag läuft anschließend eine Doku zur Wannseekonferenz , die ebenfalls bereits in der Mediathek abrufbar ist.

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