Süddeutsche Zeitung

Wandel in ARD-Krimis:Wenn Kommissare fremdgehen

  • In den Sonntagabend-Krimis treten immer öfter die Kommissare in den Vordergrund. Zerbrechende Ehen, Alkoholprobleme oder persönliche Schicksalsschläge werden über mehrere Folgen hinweg thematisiert.
  • Serielles Erzählen soll sowohl beim Tatort als auch beim Polizeiruf für mehr Abwechslung sorgen - und die Teams einzigartiger machen.
  • Aber nur noch seriell zu erzählen, darin sehen Drehbuchautoren, Verantwortliche und Wissenschaftler keine Perspektive.

Von Carolin Gasteiger

Alexander Bukows Ehe ist kaputt. Wirklich kaputt. Im vorletzten Polizeiruf "Familiensache" hatte es sich schon angedeutet, in "Sturm im Kopf" wird es klar. Mit einem klaren "Es ist aus" erstickt seine Noch-Ehefrau Bukows letzte Hoffungen. Aber ist das endgültig? Kommt Vivian nicht vielleicht doch zurück? Wie auch immer, fest steht: Allein Bukows Eheprobleme könnten einen ganzen Film füllen. Im Polizeiruf sind sie aber nur Nebensache. Eigentlich geht es um korrupte Geschäfte und Offshore-Windkraftanlagen.

Auch beim neuen Tatort-Team aus Berlin lauten die drängendsten Fragen nach der Premiere: Geht die Kommissarin notorisch fremd? Hat ihr neuer Kollege seinen Partner wirklich erschossen? Und der Fall an sich? Ach so, irgendwas mit Drogen im Bauch.

Hauptsache, der Zuschauer bleibt dran

Rostocks Polizeiruf und die Tatorte aus Dortmund und Berlin zeigen einen Trend im Sonntagabend-Krimi: Die Kommissare werden zu Hauptfiguren, haben ihre eigene Geschichte und ermitteln nicht mehr nur einen Fall. Vorbild für dieses Erzählkonzept sind, mal wieder, Serien wie True Detective oder The Wire. Spannungsbögen dauern über mehrere Episoden hinweg und lassen schließlich offen, wie viele Folgen noch kommen können. Hauptsache, der Zuschauer bleibt dran.

Tut er das nicht eh, bei Formaten wie dem Tatort oder dem Polizeiruf, die für Millionen von Fans ein fester Termin am Sonntagabend sind? Sollen sich diese Krimis nun US-Serien hinterherhecheln? Oder wollen sie einfach mit der Zeit gehen? Bestimmt. Aber Gebhard Henke, WDR-Fernsehspielchef und Tatort-Koordinator, sieht noch einen anderen Grund. Angesichts von immer mehr Teams müssten sich die Autoren kreative Konzepte überlegen, um die Qualität zu bewahren. Serielles Erzählen ist eines davon. Und es tue der Abwechslung gut, meint Henke.

Auch bei Peter Faber wird erst nach ein paar Folgen klar, dass er nicht aus irgendeiner Laune heraus ein Waschbecken zerschlägt oder mit einem Baseballschläger auf ein Autowrack eindrischt. "Faber ist ein Verzweifelter", erklärt Jürgen Werner. Der 52-Jährige schreibt die Drehbücher für den Dortmunder Tatort und wollte die Geschichten um Faber und sein Team von Anfang an breiter und epischer erzählen als gewohnt.

Inzwischen kommt der Kommissar auch bei den Zuschauern an. Denn: "Anfangs haben wir Faber vielleicht ein bisschen zu kaputt gezeichnet", räumt Drehbuchautor Werner im Nachhinein ein. Vielen war der Haudrauf-Cop zu verrückt. Aber man kann ja nachbessern. "Die zeitliche Überlappung von Produktion und Rezeption macht den Kern seriellen Erzählens aus", sagt Professor Daniel Stein, der sich an der Universität Siegen mit dem Phänomen "populäre Serialität" befasst. Das bedeutet, noch während eine Serie läuft, schreiben die Autoren am Drehbuch weiter und können dabei die Reaktionen der Zuschauer miteinbeziehen. Im Dortmunder Tatort wurde Kommissar Faber also nach und nach weicher.

An den festen Elementen Mord, Verhör, Täter halten jedoch sowohl Polizeiruf als auch Tatort fest. Das ist WDR-Mann Henke zufolge entscheidendes Kennzeichen einer Reihe. Und daran wolle man festhalten, alles andere widerspreche den Sehgewohnheiten derer, die hin und wieder mal einen Sonntagabend-Krimi ansehen. Auch die sollen schließlich noch mitreden können.

Aber drumherum wird immer mehr ausprobiert. Mal steht der Täter von Anfang an fest, mal fehlt die Leiche; in Kiel wird bald die Psychopathen-Figur von Lars Eidinger zurückgeholt, beim Polizeiruf suchen zwei Teams zusammen den Mörder. Serielles Erzählen passt zu den Versuchen, immer wieder etwas Neues zu liefern. Und wo wäre Herumprobieren leichter als am Sonntagabend, bei der Fangemeinde und dem Budget? Jürgen Werner sieht im Tatort jedenfalls "die beste Plattform im deutschen Fernsehen, um zu experimentieren".

Dabei kam Werner zugute, dass er gleich zu den ersten fünf Fällen der Dortmunder das Drehbuch schreiben konnte. Und das birgt eine besondere Herausforderung: Es sind vier Kommissare. "Alle vier wollen gleich bedient werden", so Werner. Zudem soll auch die Handlung eines Falles nicht in den Hintergrund geraten. Ein Balanceakt für den Drehbuchautor. Aber genau da wollte der Serienfan (aktueller Favorit: The Newsroom) mit seiner Idee schließlich hin. Trotzdem warnt Werner davor, zu sehr nach Amerika zu schielen und den Tatort den dortigen Serien nachzuempfinden. "Wir müssen unseren eigenen Weg und Stil finden."

Vielleicht mit Krimis wie "Im Schmerz geboren"? Das Shakespeare inspirierte Spektakel mit Ulrich Tukur und Ulrich Matthes war einer der ungewöhnlichsten Tatort-Fälle überhaupt, fast schon künstlerisches Theater. Auch Werner schwärmt von der hr-Episode und warnt zugleich vor möglichen Nachahmern: "Man muss aufpassen, dass man nicht nur noch verrücktes Zeug macht." Solange sich solide erzählte Tatorte und außergewöhnliche abwechselten, halte das die Marke am Leben. Und dass auch Fälle begeistern können, in denen die Ermittler eben nur Ermittler sind, zeigte zuletzt der Bremer Fall "Die Wiederkehr".

Auch Florian Oeller sieht im seriellen Erzählen kein Allheilmittel für den Sonntagabend. Der 35-Jährige hat das Drehbuch für "Sturm im Kopf" geschrieben und hält die Macher des Rostocker Polizeirufs für "die wahren Pioniere der horizontalen Erzählkunst". Aber Drehbücher so zu schreiben, berge die Gefahr, sich zu sehr den Kommissaren zu widmen, gibt Oeller zu. Von "Im Schmerz geboren" ist auch er begeistert. Aber das allein könne es auch nicht sein. Vielmehr sollten sich Drehbuchautoren öfter fragen: "Wie berühre ich mein Publikum?" Egal, ob es um einen packenden Mordfall oder den ermittelnden Kommissar geht.

Die Sonntagabend-Krimis seriell zu erzählen ist also schwierig, weil es zu viele Zuschauer ausschließt, die nur gelegentlich Tatort oder Polizeiruf sehen. Um den Handlungssträngen folgen zu können, muss man ja regelmäßig einschalten. Wenn aber zwischen den einzelnen Mordfällen eines Teams Monate vergehen, wird das schwierig. In Hannover ging das schon mal schief. Als Charlotte Lindholms Freund erschossen wurde, war die Kommissarin in ihrem nächsten Fall davon noch sehr mitgenommen. Obwohl "nur" drei Monate zwischen den beiden Krimis lagen, konnten sich viele Zuschauer nicht mehr erinnern, was eigentlich passiert sei, erzählt Henke. Vielleicht war das Publikum noch nicht soweit; vielleicht sind die Drehbücher inzwischen auch daraufhin ausgetüftelter. Jedenfalls gewinnen die Komissare durch ihre persönlichen Verwicklungen mehr Profil und Charakter. Auf harte Typen wie Bukow oder Faber hat das deutsche Fernsehen doch lange gewartet. Aber wie der Berliner Auftakt "Das Muli" gezeigt hat: Je mehr unterschiedliche Handlungen angedeutet, je mehr Päckchen also aufgerissen werden, desto unübersichtlicher wird der Fall.

Spin-Off mit Bukow?

Und was wäre, wenn man den Serienfans unter den Sonntagabend-Guckern ein Spin-Off zum Krimi bescheren würde? Eine ausgekoppelte eigene Serie also über einzelne Ermittler, warum nicht "Better Call Bukow"? Autor Oeller sieht da kein Problem. Allerdings würde das nur funktionieren, wenn es um den Kommissar selbst gehe und darum, wie er zu dem wurde, der er ist. Wenn er also keine Fälle lösen muss, meint Oeller. Überraschenderweise zeigt sich auch Tatort-Mann Henke einer solchen Idee aufgeschlossen, bis er auf die Rechte hinweist. "Sie müssen den Kommissar ja erstmal aus dem Tatort rauskriegen."

Popkulturforscher Stein hält es für unwahrscheinlich, dass die Sonntagabend-Krimis von ihrem gewohnten Schema abweichen werden. Dafür seien sie zu sehr der festen Krimi-Formel (was Henke als Merkmal der Tatort-Reihe bezeichnet) verhaftet. Als Beispiel führt er den Münchner Tatort "Am Ende des Flurs" an, in dessen letzter Szene Franz Leitmayr angeschossen wurde. Die Aufregung unter den Fans war groß. Hat der Münchner Kommissar den Angriff nicht überlebt? Der BR musste schleunigst entwarnen und beruhigen. "Viel spannender wäre es gewesen, das nicht aufzuklären", meint Stein, "und die Leute stattdessen bis zum nächsten Münchner Fall warten zu lassen. Aber das traut man sich hier noch nicht." Vieles andere aber schon.

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