Wallraff und die "Bild"-Zeitung:"Das sind doch immer noch Triebtäter"

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"Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil." 1977 filmte Günter Wallraff die "Bild"-Redaktion. Der WDR sperrte die Aufnahmen - bis jetzt Post von Springer kam. Auftakt einer langen "Wallraff-Nacht" am Samstag.

Hans Hoff

"Wenn es so weiter geht, werden Sie eingehen in die Geschichte des Nachkriegs-Deutschen-Rundfunks als ein Mann, der den WDR kaputt gemacht hat." Fritz J. Raddatz war es, der 1977 so schäumte und den damaligen WDR-Fernsehprogrammdirektor Heinz Werner Hübner verbal anschoss. Der hatte verfügt, dass ein Günter-Wallraff-Film nicht im Fernsehen gezeigt werden durfte.

"Die Macht des Blattes ist unheimlich": Günter Wallraffs Erlebnisse als Hans Esser sind weniger ein Knaller als ein Stück Geschichtsfernsehen. (Foto: AP)

Es handelte sich um Der Mann, der bei Bild Hans Esser war, Wallraffs filmischen Report über seinen Undercover-Einsatz in der Hannoveraner Bild-Redaktion. Hübner meinte, dass Wallraffs Methoden "für eine öffentlich-rechtliche Anstalt nicht in Frage kommen".

Nun ist der WDR bekanntermaßen nicht kaputtgegangen, und der Bundesgerichtshof hat 1981 entschieden, dass die Methoden durchaus rechtens waren. Trotzdem wirkt Hübners Verfügung bis in die Jetztzeit und stürzt die Kölner Anstalt immer wieder mal in Verwirrung. Das zeigte sich dieser Tage noch einmal deutlich. Hübners erlassener Sperrvermerk war im August 2010 endlich aufgehoben worden. Warum dies nicht früher geschah, kann im Sender niemand sagen.

Das ist so ein schwerfälliger Laden, da weiß die Rechte nicht, was die Linke tut", sagt Wallraff über den WDR und wundert sich sehr über den Auslöser der Freigabe: "Es musste erst Mathias Döpfner schreiben, damit der einstige ,Rotfunk' WDR reagiert", sagt er. Wallraff hatte beim Springer-Chef angefragt, ob man eigentlich noch etwas gegen den Film habe und die Antwort erhalten, dass Springer niemals juristisch gegen den Film vorgegangen sei und dies auch nicht vorhabe.

Auslöser des Briefwechsels war ein Beitrag für die WDR-Reihe NRWs Beste, der Wallraff im vergangenen Jahr eigentlich ehren und auch Szenen aus dem Esser-Film zeigen sollte. Prompt gab es Ärger innerhalb des WDR. Die Szenen aus der Bild-Redaktion wurden mit dem Verweis auf den Sperrvermerk herausgeschnitten - und Wallraff schrieb an Döpfner.

Das allein mutet schon skurril an. Noch skurriler wird es, wenn man weiß, dass der gesperrte und 2010 vom WDR offenbar immer noch nicht verstandene Film schon zweimal im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelaufen ist. Ohne Beanstandungen, aber weitgehend unbemerkt. Einmal bei Arte am 16. Juli 1992, einmal im WDR im Juni 2002. Die Turbulenzen um das, was Wallraff 2010 als Selbstzensur betitelte, wären also gar nicht nötig gewesen.

Am Wochenende läuft nun erneut der eigentlich bis 2010 gesperrte Film, der bei Arte und im WDR zu sehen war, in genau der gekürzten 32-Minuten-Form, die Wallraff und alle anderen Beteiligten damals schon abgesegnet hatten - nur dass diesmal Mathias Döpfner sich im Anschluss zum Fall Esser äußern darf. Er ist der Auftakt einer langen "Wallraff-Nacht". Zu der kam es, weil die ARD an diesem Freitag erstmals Wallraffs bislang letzten Kinofilm Schwarz auf Weiß von 2009 zeigt.

Nun ist der so lange gesperrte Hans-Esser-Film keineswegs ein Knaller, eher ein Stück Geschichtsfernsehen. Er zeigt im Stile von 1977, als noch viel im Fernsehen geraucht wurde, wie sich Wallraff auf seine Bild-Aktion vorbereitet, wie er sie durchführt. Und einmal fällt der Satz, der auch als Motiv seiner Vorgehensweise gelten kann: "Die Macht des Blattes ist unheimlich."

Fragt man ihn, wie er das inzwischen sieht, kommt er zu einem durchaus differenzierten Urteil. "Das Unheimliche ist heute, dass sich so viele dem Blatt unterwerfen oder anbiedern. Es gibt zu wenige, die Bild noch die Stirn bieten. Aber die Macht funktioniert nicht mehr in allen Gesellschaftsbereichen", sagt er.

In der 15-minütigen Neuproduktion mit Döpfner, die direkt nach dem Esser-Film gezeigt wird, lobt dieser Wallraff dafür, dass er damals die journalistische Form des Undercover-Journalismus etabliert habe. Zudem sieht er die damalige Bild-Truppe nicht durchweg als Ansammlung von Unschuldigen. "Und es ist ja sicher auch so, dass Bild aus heutiger Sicht damals nicht alles richtig gemacht hat", sagt er.

Zudem verspricht er Aufklärung bei einer Aktion des Bundesnachrichtendienstes, bei der Wallraffs Telefon angezapft wurde und alle Gespräche auch in der Kölner Bild-Redaktion gehört werden konnten. Das wolle man aufklären, sagt Döpfner. "Wir sind gerade mitten dabei, das minutiös zu ergründen. Und dann auch transparent zu machen."

Fragt man Wallraff, ob ihm Döpfners Aussagen eine Befriedigung sind, antwortet er ungewohnt diplomatisch: "Ich nehme ihn beim Wort und bin gespannt auf das Ergebnis", sagt er und bescheinigt dem Vorstandsvorsitzenden durchaus den Willen zur Wende. "Ich habe den Eindruck, er möchte aus dieser ganz stramm konservativen Ecke raus, und das sollte man ernst nehmen."

Unverändert bissig haut Wallraff indes auf Bild ein. In einem für die Otto-Brenner-Stiftung geführten Interview nennt er Bild einen "therapieverweigernden Triebtäter". Fragt man ihn, ob das nicht eine Nummer zu hart formuliert sei, ist Wallraff wieder auf den Barrikaden. "Die haben es doch immer mit den Triebtätern. Ich bleibe da nur im Bild. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil".

Schwarz auf Weiß. ARD, 23.30 Uhr; Die lange Günter-Wallraff-Nacht, Samstag, WDR, von 23.30 Uhr an, beginnend mit Der Mann, der bei Bild Hans Esser war.

© SZ vom 18.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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