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"Wall Street Journal" in Erklärungsnöten:Einen Cent das Stück

Die ehrwürdige Traditionszeitung "Wall Street Journal" soll ihre Auflage geschönt haben. Es geht um angebliche Gegengeschäfte mit einer dänischen Firma.

Das amerikanische Wall Street Journal (WSJ) berichtete an diesem Donnerstag von einem Vorfall im eigenen Haus. Unter der Überschrift "WSJ Europe Faces New Scrutiny" (WSJ mit Untersuchung konfrontiert) ging es in dem Artikel um den Rücktritt von Andrew Langhoff, seit drei Jahren Herausgeber des Wall Street Journal Europe.

Hintergrund der Kündigung sind offenbar Geschäfte des Herausgebers, mit denen er die Auflage der von ihm verantworteten europäischen Ausgabe steigern wollte. So soll dem Bericht zufolge eine kleine dänische Firma zwei Jahre lang täglich 12.000 Exemplare der Zeitung gekauft haben und dafür nur einen Cent pro Stück bezahlt haben.

Insgesamt verkauft die Zeitung dem Bericht zufolge circa 75.000 Stück pro Tag in Europa. Als Gegenleistung erschienen in der traditionsreichen Qualitätszeitung offenbar Artikel, in denen die Aktivitäten der besagten Firma gelobt wurden.

Aufgedeckt hat den Fall einmal mehr die britische Zeitung The Guardian. Am Mittwochabend veröffentlichte sie auf ihrer Website die Geschichte der angeblich manipulierten Auflagenzahlen. Dem Bericht zufolge hatte ein Whistleblower aus dem Unternehmen bereits im vergangenen Jahr den Verantwortlichen im Verlag Dow Jones, der zu Rupert Murdochs Gruppe News Corp gehört, von den Vorgängen unterrichtet. Aktiv geworden sei man dort aber nicht, stattdessen forderte man, so heißt es, den Informanten auf, Stillschweigen über sein Wissen zu bewahren, und entließ ihn im Januar dieses Jahres.

Über den Fall informiert gewesen sein soll auch der ehemalige Dow-Jones-Chef und Murdoch-Vertraute Les Hinton. Dieser war vor wenigen Monaten aus dem Unternehmen ausgeschieden, als der Skandal um abgehörte Telefone bei der inzwischen eingestellten britischen Zeitung News of the World einen Höhepunkt erreichte. Auch bei der britischen Verlagstochter News International war Hinton tätig gewesen. An der Aufarbeitung des Abhörskandals hatte der Guardian ebenfalls eine maßgebliche Rolle gespielt.

"Vollgestopft mit Unwahrheiten"

Dow Jones reagierte noch am Mittwoch auf die Enthüllungen der britischen Zeitung. In einer Pressemitteilung hieß es, der Bericht sei vollgestopft mit Unwahrheiten und bösartigen Interpretationen.

Andrew Langhoff habe nicht wegen der Auflagenzahlen gekündigt, sondern weil er "eine Lücke in der herausgeberischen Integrität" wahrgenommen habe. Worin die bestehe, wurde nicht erläutert. Stattdessen wies man darauf hin, dass die Auflagenzahlen immer transparent und beglaubigt gewesen seien, man aber trotzdem auf eine weitere Zusammenarbeit mit der dänischen Firma verzichte. Auch Whistleblower habe es keinen gegeben.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2011/pak
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