Wahlwerbespots:Die am Gemüsestand sind die Guten, oder?

Bio-Käufer, tiefe Bässe und ein Typ im Hoodie: Auch kleine Parteien machen derzeit Wahlwerbung im Fernsehen.

Von SZ-Autoren

1 / 5

Die Urbane. Eine Hip-Hop-Partei

Die Urbane die Hip Hop Partei Wahlwerbung Wahlwerbespot

Quelle: Die Urbane via Youtube

Was man sieht: Eine derbe smoothe HipHop-Gang spielt im Wahlwerbespot der selbsternannten "HipHop-Partei" derbe smoothe Musik. Plötzlich unterbricht sie ihr Konzert. Das macht das Publikum wütend. Sie kündigt an, über Deutschland zu reden. Das macht das Publikum glücklich. Dann erzählen verschiedene Menschen mit unterschiedlichsten Hüten, Tattoos und Hautschattierungen, dass sie für Toleranz und gegen Diskriminierung sind.

Was rüberkommt: Jeder soll dieselben Rechte haben, egal woher er kommt. Nette Botschaft, das Problem ist nur: Man will schon nach dem ersten "Yo" aus Fremdschamgründen ausschalten. Denn das Ganze wirkt, als hätte ein Sozialarbeiter einige unmotivierte Teenager dazu gezwungen, dem Dorfbürgermeister zu zeigen, was für freche Projekte das örtliche Jugendzentrum so auf die Beine stellt.

Luise Checchin

2 / 5

Bergpartei - die Überpartei

Bergpartei Wahlwerbung

Quelle: Bergpartei via Youtube

Was man sieht: Großstadtlichter, die im Zeitraffer an der Kamera vorbeirasen. Was man hört: leicht aggressiven House mit extrem tiefem Bass. Die Nacht im Berghain war offenbar mal wieder lang. Da ist es nicht so einfach, auf der Mitte des Rasenstreifens zwischen den mehrspurigen Straßen zu bleiben. Das Bild zuckt leicht hin und her. Zum Glück ist da vorne der Fernsehturm, zur Orientierung. Um den herum geht die Fahrt, zwischendurch wird es Tag, dann wieder Nacht. Menschen sieht man nicht.

Was rüberkommt: Hey, Partypeople, wir sind keine spießigen Berufspolitiker, sondern coole Clubgänger, die ihre besten Gedanken in den frühen Morgenstunden auf dem Weg nach Hause haben, bei Döner und Wegbier, "die Überpartei" eben. Außerdem fordern wir - weil's schön entschlossen klingt - einen klar antifaschistisch ausgerichteten Verfassungsschutz.

Kathleen Hildebrand

3 / 5

Die Partei

Die Partei Wahlwerbung

Quelle: Die Partei via Youtube

Was man sieht: Ein schläfrig dreinblickender Brillenträger mit schwarzem Hoodie sitzt mollig zugedeckt im Bett und nuschelt vom Blatt ab, dass seine Partei mit dem so sinnfälligen Namen sich als einzige "glaubhaft für die Interessen der Nichtwähler einsetzt". Sein Appell: "Wenn es euch egal ist, wer im Bundestag sitzt - wäre es dann nicht schön, von jemandem vertreten zu werden, dem es egal ist, dass er im Bundestag sitzt?"

Was rüberkommt: Der Spot mit Kabarettist Nico Semsrott, "Demotivationstrainer" und Berliner Spitzenkandidat, versucht Nichtwähler zu mobilisieren, jene also, die es vorziehen, am Wahltag mollig zugedeckt im Bett zu bleiben. Mit Inhalten behelligt er sie nicht. Weil man sich nicht zu mehr bekennt als zu Demokratie und Wahlrecht, ist der pseudo-anarchische Aufruf eine Zierde für jedes Facebook-Profil und kann getrost geliket werden.

David Denk

4 / 5

Bayernpartei

Bayernpartei Wahlwerbespot

Quelle: Bayernpartei via Youtube

Was man sieht: Einen gestandenen Bayern in kariertem Hemd, der vor einer unscharfen Bergkulisse kariert daherredet. Jeder Schachtelsatz des Parteivorsitzenden Florian Weber - der sich Landesvorsitzender nennt, ganz so, als ob eine Expansion in andere Bundesländer anstünde - ist eingekastelt in der konzentrierten Bemühung, sich bei Wörtern wie "Lösungsansätze" nicht zu verhaspeln. Später sieht man noch malmende Stallkühe, Solaranlagen und einen Opa mit seinem Enkel, die gemeinsam einen Tablet-Computer bestaunen. Was man nicht sieht: Webers Augen, die von den schweren Lidern verdeckt werden.

Was rüberkommt: Bayern soll endlich sich selbst überlassen werden. So könne der Freistaat bestens in der Welt bestehen. Voll digitalisiert, mit eigener Stromversorgung, Bio-Landwirtschaft und gut integrierten Nicht-hier-Geborenen.

Stefan Fischer

5 / 5

ÖDP

ÖDP Wahlwerbung

Quelle: ÖDP via Youtube

Was man sieht: Männer in Anzügen, die mit entschlossenem Gesicht in Bürogebäuden Geschäfte machen. Und als Gegensatz ein lächelndes Pärchen mit Papiertüten beim Einkaufen am Gemüsestand, Körbe mit Gewürzen auf einem sonnigen Markt. Eigentlich denkt man beim Anblick des Wahlspots der Ökologisch-Demokratischen Partei dann doch: Das sind doch diese Clips, die man so ähnlich aus dem täglichen Werbefernsehen kennt. Einer für, sagen wir, erschwingliche formschöne Männermode, und einer für etwas sicher ganz Natürliches mit ausgesuchten Zutaten. Aber dann: Tote Bienen! Milchgroßbetrieb! Tote nackte Hühnchen in automatischer Produktion. Kriegsruinen. Und dramatisch klagende Streichinstrumente.

Was rüberkommt: Grübel, grübel. Die am Gemüsestand sind die Guten, oder?

Claudia Tieschky

© SZ vom 02.09.2017/khil
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: