Wahl im Fernsehen:"Warum ratzfatz bei der AfD?"

Wahl 2017: Bundestagswahl 2017; Bundestagswahl Fernsehen ARD

Nicht nur Tina Hassel und Caren Miosga im Ersten zwangen ihre Gesprächspartner zu gestanzten Antworten. Inhaltliche Aussagen blieben die Gäste schuldig.

(Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Axel Berger)

Der Wahlabend im Fernsehen wird inhaltlich bestimmt vom Einzug der AfD ins Parlament. Wie die Republik weiterregiert wird, ist dagegen kaum ein Thema.

TV-Kritik von Paul Katzenberger

Es war ein regelrechter Ausbruch: Die Berichterstattung über die Bundestagswahl dauerte bereits knapp vier Stunden an, als der bayerische Innenminister Joachim Herrmann in der traditionellen TV-Elefantenrunde die Sache auf den Punkt brachte: "Die Hälfte der Sendezeit beschäftigt sich nur mit der AfD. Darüber wird in den nächsten Wochen noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmaß die beiden öffentlich-rechtlichen Sender massiv dazu beigetragen haben, die AfD nicht klein zu machen, sondern sie groß zu machen."

Das mag aus dem Munde eines CSU-Politikers, dessen Partei sich auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 ähnlich alarmistisch wie die AfD geäußert hatte, heuchlerisch wirken. Doch in einem Punkt hatte Herrmann recht: Die Sondersendungen in den Sendern ARD, ZDF und Phoenix an diesem Abend beschworen allzu sehr den Schock, den der Einzug der AfD in den Bundestag auslöst. Der Schock darüber, dass zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren wieder eine rechtsradikale Partei im Parlament sitzt. Darüber, dass die Rechtspopulisten drittstärkste Kraft wurden, dass sie in Sachsen sogar mehr Stimmen holten als jede andere Partei.

Ein nachvollziehbarer Schock. Aber keiner, der für die Programmmacher der Öffentlich-Rechtlichen wirklich überraschend gewesen sein dürfte. Da wäre die deutsche TV-Öffentlichkeit ein guter Ort gewesen, um mit der Ursachenforschung anzufangen. Zu fragen, was nun geschehen muss, in Deutschland, im Parlament.

Doch die Sender gerierten sich über weite Strecken als schnappatmende Schockverstärker. Als wäre AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland nun zu einer bestimmenden Größe der deutschen Politik geworden, speisten die Sender seine provokativen Äußerungen im Viertelstundentakt in ihre Meldungen ein: "Wir werden Frau Merkel jagen." Die AfD wolle sich "unser Land und unser Volk zurückholen". Worte wie "jagen", "Land" und "Volk" gehen nicht zusammen mit dem, was bisher als Kodex im demokratischen Diskurs gilt. Doch musste das öffentlich-rechtliche Fernsehen dabei noch als Verstärker wirken?

Ging es nicht viel mehr um die Frage, wie es mit dem Land weitergeht? Wer dazu Antworten haben wollte, wurde von der TV-Berichterstattung dieses Abends eher spärlich bedient: Da wurde viel über die Frage debattiert, ob die SPD nicht doch die Pflicht hätte, wieder in die Regierung einzutreten, ob Angela Merkel guten Mutes sei, Kanzlerin zu bleiben, ob es Neuwahlen geben werde, oder ob sich die AfD an die Geschäftsordnung des Bundestages halten werde.

Alles anstehende Themen, doch keines, das an diesem Abend abschließend zu beantworten gewesen wäre. Warum also auf Fragen dazu insistieren? Doch ob es nun Caren Miosga und Rainald Becker von der ARD waren, Bettina Schausten und Peter Frey vom ZDF, Michaela Kolster von Phoenix, oder später am Abend dann Anne Will in ihrer Talkrunde - sie alle zwangen die Gesprächspartner mit ihren Fragen immer wieder zu gestanzten Antworten.

Wie es konkret weitergeht? Keine Antworten

Da war dann die Rede vom "Bollwerk der Demokratie", das Martin Schulz (SPD) in der Opposition gegen die AfD bilden will, von dem Umstand, dass dies kein "guter Tag für die Demokratie" sei, wie Cem Özdemir für die Grünen konstatierte, oder einer "Zäsur" für die Republik, die Thomas Oppermann in der Runde der Fraktionsvorsitzenden für die SPD ausrief.

In der Talkshow bei Anne Will gaben sich die Moderatorin als Vertreterin der Medien und die Politiker dann schließlich gegenseitig die Schuld dafür, dass die AfD zu sehr im Mittelpunkt des Gesprächs stehe. "Warum sind Sie ratzfatz bei der AfD?", fragte Anne Will ihre Gäste nach einer halben Stunde Gesprächsführung, "da waren wir noch gar nicht."

Wenn diese Wahl eines gezeigt hat, dann, dass die Wähler von inhaltsleeren Politikerphrasen die Nase voll haben. Da musste der jeweilige Sender schon Glück haben, auf einen versierten und gleichzeitig ehrlichen Gesprächspartner zu treffen. Jürgen Trittin von den Grünen - inzwischen ohne Amt - beschrieb bei der ARD den Inhalt der anstehenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen so pointiert wie kaum ein anderer an diesem Abend. Damit es zu Jamaika kommen könne, müsse die CDU ökologischer, die FDP sozialer und die CSU liberaler werden, sagte Trittin.

Und selbst aus der AfD gab es eine Stimme, die sich bei allem Siegesgeheul der Spitzenkandidaten Alexander Gauland und Alice Weidel unerwartet differenziert anhörte. Parteichefin Frauke Petry gab sich in der ARD selbstkritisch, was den Ton der AfD angehe. Sie wies aber auch darauf hin, dass die Medien immer nur die lauten Töne aus ihrer Partei wiedergäben, aber nicht die Meinungen, die aus ihrer Sicht vernünftig und gemäßigt seien.

Vielleicht müssen auch die Medien im Umgang mit der neuen Partei im Bundestag dazulernen, und nicht nur das Parlament.

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