W&V: Plagiate in TV und Werbung:Ideenklau in den Medien

Auch in der Werbe- und Medienbranche werden schamlos Ideen geklaut und vermarktet. Die komplizierte Rechtslage schützt das Urheberrecht kreativer Köpfe kaum und gefährdet damit ihre Geschäftsgrundlage.

Thomas Nötting, Sigrid Eck, Peter Hammer, Leif Pellikan

Benjamin von Stuckrad-Barre dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als er im Juli 2009 die Ausgabe 30 des Magazins Stern in den Händen hält. In einem Bericht über den Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit kommt ihm einiges bekannt vor. Ganze Passagen und Sätze sind nahezu wörtlich identisch mit einer Reportage, die der Schriftsteller und Journalist selbst zweieinhalb Jahre zuvor in der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Tempo veröffentlicht hatte. Stuckrad-Barres Wowi-Porträt wurde 2007 für den renommierten Egon-Erwin-Kisch-Preis nominiert - pikanterweise vergeben vom Stern-Verlag Gruner + Jahr.

Bauer sucht Frau

Zwei Originale oder doch Copy+Paste? Auch bei der Erfolgssendung Bauer sucht Frau und ähnlichen Formaten gibt es Diskussionen um die kreative Urheberschaft.

(Foto: RTL/StefanGregorovius)

Stern-Autor Tilman Gerwien hatte etwas getan, über das derzeit heiß diskutiert wird: Kopieren ohne zu Zitieren. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kostete das erst seine Doktorwürde, dann sein Amt. Im Journalismus ist das Copy-Paste-Verfahren jedoch allgegenwärtig. "Wir erleben immer wieder, dass exklusive Geschichten an die Agenturen gemeldet werden und dann beim Nachdruck die Quelle nicht mehr genannt wird", ärgert sich der ehemalige Capital-Chefredakteur Ralf-Dieter Brunowsky. "Der allgegenwärtige Google-Journalismus unterscheidet sich von plagiierten Doktorarbeiten nur im wissenschaftlichen Anspruch. Manche Medien verhalten sich hier heuchlerisch."

Das Xerox-Prinzip ist überall, nicht nur im Journalismus. Copy-Cats streunen in allen Winkeln der Kommunikationsbranche: Artikel werden ebenso abgekupfert wie Kampagnenideen und Werbe-Slogans. Eine erfolgreiche Zeitschrift, eine Fernsehshow oder eine Website zieht in kürzester Zeit Kohorten von Klonen nach sich. Das Internet bietet dabei ein nahezu unerschöpfliches Reservoir, aus dem Nachahmer schöpfen können. Texte, Bilder, Designs und Ideen - alles ist im Netz für jedermann verfüg- und kopierbar. "Die technische Entwicklung war sicher schneller als die menschliche", analysiert Anselm Bilgri , Unternehmensberater und wirtschaftsaffiner Ex-Prior des Klosters Andechs.

Der Journalist Markus Peichl sieht sogar "die gesamte Gesellschaft von diesem Virus infiziert". Der einstige Gründer und Chefredakteur des Magazins Tempo und Veranstalter des Zeitschriftenpreises Lead-Awards findet: "Das Plagiat ist zum Primat geworden." TV-Produzent Borris Brandt glaubt, dass "heute viel selbstverständlicher geklaut wird". Der Ex-Endemol-Deutschland-Boss stellt einen schwindenden Respekt vor Kreativität fest. "Man regt sich nur nicht mehr auf und nennt es dann Inspiration."

Texter, Journalisten, Fotografen und Designer beklagen dasselbe Problem: Das Internet ist zum Selbstbedienungsladen für Kreationen geworden. Laut dem Juristen Eberhardt Kolonko hat der Siegeszug des Webs die Zunahme von Urheberrechts-Verletzungen beschleunigt. Doch selten landen Fälle wie der des Autors Stuckrad-Barre, bei dem sich der Stern inzwischen entschuldigt hat, vor Gericht. Dabei wäre die Rechtslage bei dreisten Direkt-Übernahmen eigentlich klar. Das Urheberrecht schützt Texte, Slogans, Grafiken oder Fotos. Dass sich Urheber oft dennoch nicht juristisch wehren, hat viele Gründe. Sei es Angst, als Streithansel auf einer schwarzen Liste zu landen. Oder man klärt die peinliche Sache im Stillen und ohne Anwalt.

"Ideen nicht im Schutz des Urheberrechts"

Egal ob Werber, TV-Produzent oder Zeitschriften-Entwickler: Sie alle leben von der Vermarktung ihrer Kreativität. Ihre Geschäftsgrundlage sind Ideen. Aber diese sind mit Paragrafen noch schwerer zu schützen als die Rechte an Bildern, Texten und Tönen selbst. Versuche, die Urheberschaft für ein kreatives Konzept vor Gericht durchzusetzen, scheitern in der Regel quer durch alle Branchen.

"Eine Idee selbst ist nicht geschützt", erklärt der Münchner Rechtsprofessor Johannes Kreile . "Wenn in einer Werbeagentur drei Leute zusammensitzen und eine kreative Kampagne entwickeln, nützt das nichts", erläutert der Medienund Urheberrechtsexperte. "Ein vierter, der nur zuhört, dies aber mit eigenen Worten zu Papier bringt, kann als Urheber gelten." Aber auch dieser vermeintliche Urheber, der mit der Niederschrift das vollzogen hat, was Juristen "körperliche Fixierung" nennen, käme womöglich vor Gericht nicht durch. Entscheidend sei, "ob es sich um eine eigenständige kreative Schöpfung mit urheberrechtlicher Qualität handelt", betont Kreile. An dieser Hürde, im Rechtsjargon "Schöpfungshöhe" genannt, scheitern immer wieder Klagen zu Kreativ-Themen.

Beispiel Werbung. In Pitches sind Agenturen "ständig in der Situation, Ideen preisgeben zu müssen, ohne dass Geld fließt", sagt Ralf Nöcker, Geschäftsführer des Gesamtverbands Kommunikationsagenturen (GWA). Oft werden die dort präsentierten Konzepte zwar umgesetzt - jedoch von einer anderen Agentur. So geschehen im letzten Jahr bei den Freyersbacher Schwarzwaldquellen . Dort präsentierte die Kölner Agentur Counterpart eine Kampagne, die später vom Stuttgarter Konkurrenten Orange City ausgeführt wurde. Für kleines Geld hatte das Unternehmen mit dem Pitch-Honorar die Rechte für die sogenannte Kampagnenmechanik erworben. Am Ende wurden aber auch bildliche und grafische Darstellung übernommen. Counterpart-Chef Michael Maasmeier fühlte sich betrogen, verzichtete aber auf den Gang vors Gericht. Weil der Sachverhalt komplex ist, aber auch, weil Agenturen generell nur selten den Rechtsweg beschreiten.

Auch Zeitschriften- und Fernsehmacher haben ein Pitch-Problem. "Jeder, der mit einer wirklich guten Idee zu einem Verlag geht, muss damit rechnen, dass dieser sie selbst macht", sagt Ex-Chefredakteur Brunowsky, inzwischen Inhaber einer PR-Agentur. Auch TV-Produzenten beklagen Ideenklau. Derzeit prozessiert etwa der britische Produktionsriese Fremantle gegen den Schweizer Sender 3+. Vorwurf: Die Eidgenossen sollen ihre Kuppel-Show Bauer, ledig, sucht bei The Farmer Wants a Wife abgekupfert haben. Fremantle hatte präsentiert, 3+ aber keine Lizenz erworben. "Die Senderleute laden zum Pitch, lassen sich inspirieren und sehen in einer Idee keinen Wert mehr", schimpft TV-Mann Brandt.

Die deutschen Produzenten hadern mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs. 2003 befanden die Richter, dass "das Format für eine Fernsehshowreihe im Allgemeinen nicht urheberrechtlich schutzfähig ist". Ein Urteil mit weitreichenden Folgen. Das einstige Gentlemen's Agreement, TV-Formate nur nach Kauf einer Lizenz zu übernehmen, war fortan nicht mehr viel wert. Seit 2004 häufen sich in Deutschland Prozesse um TV-Plagiate. "Das große Problem beim Formatgeschäft ist, das Ideen nicht im Schutz des Urheberrechts stehen", sagt Ute Biernat, Chefin der Fernsehproduktion Grundy Light Entertainment.

Komplizierte Rechtslage

Auch Zeitschriften können leicht ohne Lizenz kopiert werden. Es reicht ein anderer Titel sowie Logo und Layout leicht zu verändern - schon ist jede Adaption vor Gericht quasi unangreifbar. Das Urheberrecht schützt ein Zeitschriftenkonzept ebenso wenig wie ein TV-Format. Zoffen sich Verlage um echte oder vermeintliche Plagiate, wie aktuell im Fall der Mama-Magazine, sind dies in der Regel Stellvertreter-Kämpfe um Marktanteile.

Interessenverbände versuchen deshalb, mit eigenen Initiativen die Lücken im Gesetz zu füllen. Die TV-Produzenten gründeten vor zehn Jahren die internationale Formatschutz organisation Frapa. Diese betreibt eine Online-Datenbank, in der jedes Mitglied seine Idee eintragen kann. Rechtliche Konsequenzen hat dies zwar nicht. Eine Registrierung kann jedoch als Beweis vor Gericht dienen.

Ähnlich funktioniert der Ideentresor des Kommunikationsverbands. Dort hinterlegen Kreative gegen Gebühr Konzepte, Scribbles, Storyboards und Ideen. Mit mehreren Projekten versucht der Agenturverband GWA den Selbstschutz seiner Mitglieder zu stärken. Auf Initiative des Verbands verabschiedeten die Mitglieder der IHK Frankfurt im Frühjahr 2010 einen Ehrenkodex zum Konzeptschutz. Zusammen mit dem Münsteraner Medienrechtler Thomas Hoeren arbeitet der GWA außerdem an Muster-AGB, die Vertraulichkeitsabsprachen in Pitches regeln.

Das Internet ist nicht nur Fundgrube und Treiber des Xerox-Prinzips. Die Branche selbst kopiert fleißig und schamlos. Abgekupfert werden auch hier Ideen, allerdings in Gestalt ganzer Business-Modelle. Allein der Coupon-Anbieter Groupon hat inzwischen mehrere Hundert Klone. Solche Ideen, egal ob Geschäftsmodell oder Produkt - werden seit jeher kopiert, meint Daniel Waterhouse. Der Managing Partner des Investors Wellington sieht darin folglich auch "nichts Verwerfliches".

Einen wirksamen Schutz gegen Klone gibt es nicht. Auch hier ist die Rechtslage kompliziert. Firmen wie Facebook, die gegen Nachahmer wie StudiVZ vorgehen, bleiben die Ausnahme. In der Regel sind es Patente, die Ideenklau verhindern sollen. Aber auch sie halten rechtlich nur selten gegen Übernehmer stand. Jahrelange juristische Anmelde-Prozesse und etwaige Klagen verschlingen zudem viel Geld und Zeit.

Letztlich, sagt Waterhouse, hilft nur der Erfolg gegen Kopien und Klone: "Ein gutes Management, eine starke Marke und ein guter Ruf." Das sieht Journalist Peichl ähnlich. "Gute Ideen sind dadurch geschützt, weil sie sonst niemand hatte." Das sei "wie bei Michelangelo. Der wurde auch hundertausendfach plagiiert, und bleibt dennoch einzigartig".

Mehr zu W&V unter www.wuv.de

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