W&V: Nachwuchs für Chefpositionen:Wo sind die jungen Entscheider?

Der Fernsehbranche fehlt es an jungen Leuten in den Entscheiderpositionen. Dort sitzen seit Jahren dieselben Manager. Unverbrauchte Talente steigen nicht auf oder gehen gleich ins Online-Business.

Sigrid Eck

Zu Tausenden drängen sie ins Fernsehen. Junge Menschen wollen zu Shows wie Deutschland sucht den Superstar (RTL), oder zu Popstars (ProSieben). Ihr Ziel ist der glanzvolle Auftritt vor der Kamera. Aber dahinter? Wo sind der 28-jährige Produzent und die 30-jährige Programmchefin, die ihren Weg nach oben gemacht haben? Wo ist das Talent, das kürzlich eine neue Show konzipiert hat?

German director Florian Henckel von Donnersmarck poses with his Oscar for Best Foreign Language Film for 'The Lives of Others' at the 79th Annual Academy Awards in Hollywood, California

Jung und erfolgreich: In so mancher Branche selbstverständlich - z.B. wie Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck - aber wo bleiben die jungen Produzenten und Programmleiter?

(Foto: REUTERS)

Es gibt sie nicht. Stattdessen dominieren Mittvierziger bis Mittfünfziger die deutsche Fernsehlandschaft. "Wir sind so alt wie in den 70er-Jahren, als es noch kein Privatfernsehen gab", stellt einer der deutschen Top-Produzenten lapidar fest.

In anderen Branchen ist Erfolg keine Frage des Alters: Als Lars Hinrichs das Social-Netzwerk Xing gründete, war er 27 Jahre alt. Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck gewann mit 34 Jahren den Oscar. Dabei sind die Ausbildungswege in die Medien kaum noch zu zählen - keine deutsche Uni, Hochschule oder sogar Berufsschule, die nicht einen Medienstudiengang im Angebot hätte. Der Nachwuchs wird offiziell gehegt, gepflegt und mit Preisen belohnt. Aber was kommt danach, wenn die Gehätschelten ein bisschen älter geworden sind? Praktikantenverträge oder befristete Stellen.

Senderchefs, Programmverantwortliche, große Produzenten und Ehemalige konstatieren, wenn auch gerne hinter vorgehaltender Hand: In den Entscheidungsetagen arbeiten seit zehn bis 15 Jahren die gleichen Leute. Die etablierten Bosse machen ihren Job, keine Frage. Aber sie bleiben unter sich. Sechs Thesen, warum es an der Spitze der TV-Branche kein Talent gibt, das jünger als 40 Jahre alt ist.

These 1: Das Nutzungsverhalten verändert sich. Und damit auch die Vorstellung, wo man arbeiten möchte. Die meisten brauchen gar keinen klassischen Fernsehsender mehr, beobachtet Christoph Caesar, Lehrbeauftragter an der Fresenius Medien FH in Köln und Partner bei der PR-Agentur Brunomedia. Große Events wie DSDS oder Schlag den Raab werden zwar live und oft mit Freunden gesehen, viele Inhalte aber kommen aus dem Internet via iTunes oder On-Demand-Portale. Der klassische Couch-Potato wächst nicht mehr nach. "Und damit schwindet auch die Begeisterung für das Medium Fernsehen", bilanziert Caesar.

Kein Sex-Appeal mehr

These 2: TV hat keinen Sex-Appeal mehr. Das Medium Privatfernsehen ist erwachsen geworden, es gelten die Gesetze der Wirtschaftlichkeit. "In den Anfangszeiten durften wir Fehler machen und Geld verprassen, weil es in Strömen reinfloss", erinnert sich Tele5-Geschäftsführer Kai Blasberg. "Das ist heute nur noch aus Erzählungen aus dem Paradies bekannt."

Bis zum Jahr 2000 ging es ja immer aufwärts. Doch dann kamen die beiden großen Konjunktureinbrüche: das Platzen der Dotcom-Blase vor zehn Jahren und der Konjunktureinbruch Ende 2008. Damit verbunden waren negative Schlagzeilen über Werbeumsätze und TV-Unternehmen. Das habe, meint Knut Foeckler, heute Berater bei der Münchner Agentur St. Elmo's, in den 90er-Jahren Sat.1-Programmchef, "dem Medium TV seinen Sexappeal genommen".

Heute sind die Sender entweder börsennotiert (ProSiebenSat.1, RTL Group), gehören großen Konzernen (Discovery, Viacom) oder stehen unter Sparzwang (ARD, ZDF). Man kann es ihnen nicht verübeln, dass sie sich vorrangig ums Überleben der Krisen kümmerten und Risikoreiches nach Möglichkeit vermieden. Die Folge: "Beim Fernsehen wird nicht mehr nach Leistung, Innovation, Kraft, Ideen, Mut bezahlt, sondern nach ,keine Fehler machen'", flucht ein ehemaliger Manager, der in eine andere Branche gewechselt ist.

Auf Produzentenseite registriert Ute Biernat, Chefin von Grundy Light Entertainment (Köln), was das bedeutet: "Die jungen Leute haben keine Lust mehr auf Fernsehen, sie gehen lieber in die Werbung oder entwerfen Computerspiele." Unterhaltung habe, sagt die Managerin, "derzeit mal wieder keinen guten Ruf."

These 3: Andere Kreativbranchen sind attraktiver. Die Frage nach dem Wunscharbeitgeber wird immer mehr zugunsten von Digitalunternehmen beantwortet, stellt auch FH-Dozent Caesar fest. Der Einstieg bei Sendern und insbesondere Produktionsfirmen verliere zunehmend an Attraktivität. Die Studenten schnuppern gerne in die TV-Produktion hinein. Aber wenn sie mit den Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten konfrontiert werden, winken sie oft dankend ab. Die Produzenten spüren seit Jahren den Kostendruck der Sender. "Wenn ich heute etwas Kreatives machen möchte, gehe ich dahin, wo ich noch etwas bewegen kann. Diese Perspektive vermitteln viele TV-Häuser nicht mehr", weiß Jörg Blumtritt, der lange Jahre bei verschiedenen TV-Häusern arbeitete und heute European Operations Officer bei dem Bewegtbildvermarkter Tremor Media ist.

Die Digital-Branche habe derzeit die Nase vorn, meint RTL-Group-Berater, Hans Mahr: "Neues kommt vor allem aus dem Bereich New Media, also IPTV, Online und Mobile TV." Dort passiere sehr viel. "Und dort müsste man sich, wenn man im Fernsehen arbeitet, auch mehr umschauen."

Wo sind die Vorbilder?

These 4: Fernsehen ist eher ein Männerthema, findet Tele5-Chef Kai Blasberg. Klingt zunächst wie eine Provokation, hat aber einen wahren Kern. "Jungs haben früher mehr angesehen, sich mehr interessiert", sagt Blasberg. Das zahle sich beim Fernsehen aus. Damals habe es eine gemeinsame Vergangenheit gegeben, Sportschau, Dallas oder Formel 1 mit Stefanie Tüking und Ingolf Lück. Heute seien die Jungen durch Multimedialität sozialisiert. "Die große Spannung, das Machen von großem Fernsehen gibt es heute ja gar nicht mehr, und wenn, machen es wir Alten", stellt Blasberg, 45, fest. "Die Jungen kamen nie ran und müssen jetzt weniger Spektakuläres machen." Dadurch sei alles nicht mehr so reizvoll wie früher.

These 5: Der Chefsessel ist nicht einfach zu erreichen. Sowohl öffentlich-rechtliche Sender als auch Private stellen oft nur noch befristet ein. Wer sich hocharbeiten will, hat es schwer. Da nur größere Player im Markt überleben, führt das dazu, dass die Unternehmen personell gesättigt sind. Wer bei den Privatsendern in den Boomjahren anfing, war damals Mitte 20 und ist heute Mitte 40 oder älter. Da wechselt man nicht so einfach.

Auch seien die Vorbehalte gegenüber ehrgeizigen Neulingen groß, erzählt ein Produzent. "Wenn ich heute jemand Neuen ans Set bringen will, heißt es erst einmal: Das geht nicht, der hat noch keine Erfahrung. Bis sich jemand, der unter 40 ist, ein Standing erarbeitet hat, dauert das ewig."

These 6: Es gibt keine Vorbilder. An wem können sich Nachwuchskräfte orientieren? Wer lebt ihnen vor, dass Fernsehen sexy ist? Wer spricht ihre Sprache, wer ist dort, wo die Jungen sind? Jemand wie Produzent Stefan Raab ist eine Ausnahme - und nebenbei auch schon über Vierzig. Mahr mag den Optimismus nicht aufgeben: "Nachdem wir die Krise großteils überwunden haben, habe ich die Hoffnung, dass wieder mehr Risiko gewagt wird und dadurch auch mehr kreative junge Kräfte nachkommen."

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