W&V: Investigativer Journalismus:Recherche zu verkaufen!

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Nach vielen Sparrunden entdecken Verlage den investigativen Journalismus. Doch investieren Verlage tatsächlich oder etikettieren sie nur vorhandene Ressourcen PR-trächtig um?

Judith Pfannenmüller

Es gibt Begriffe, die klingen enorm bedeutungsvoll, sind aber schwer zu fassen und werden gerade deswegen gerne benutzt. "Qualitätsjournalismus" ist so einer. Er erfährt eine bemerkenswerte Renaissance ausgerechnet jetzt in Zeiten der grausam über die Redaktionen hinwegfegenden Sparwellen. Aus dem Munde von Verlagsmanagern klingt das mitunter so, als könne nun endlich wieder ordentlicher Journalismus gemacht werden, wo man die ganzen Luschen in den Redaktionen losgeworden ist.

Washington, 1974: Carl Bernstein (links) und Bob Woodward, die großen Vorbilder des investigativen Journalismus, der in Deutschland jetzt wieder aufgegriffen wird. (Foto: ag.ap)

Derzeit schwingen sich viele Medienhäuser öffentlichkeitswirksam in neue Qualitätsjournalismushöhen - den investigativen Journalismus. Rechercheteams bei Welt, WAZ, der Nachrichtenagentur DAPD, Stern und bald auch bei Focus. Der Beobachter reibt sich die Augen und fragt sich: Wo haben sich die Top-Rechercheure all die Jahre bloß versteckt? Und: Wird jetzt wieder recherchiert?

Fragen über Fragen

Grundsätzlich ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn Verlage in Recherche investieren. Vorausgesetzt, sie tun es wirklich. "Man muss abwarten, was Symbolik ist und was ehrliches Bekenntnis", sagt Thomas Leif, 1. Vorsitzender des Netzwerks Recherche. Ein paar Kriterien gibt es aber schon jetzt, um die Reporterteams daraufhin abzuklopfen, ob sie mehr sind als PR-Geklingel. Wer sitzt in den Teams? Werden vorhandene Redakteure umbesetzt oder neue Rechercheure eingestellt? Gibt es einen zusätzlichen Etat, oder wird er aus der Breite abgezogen und umverteilt? Aus welchen Ressorts kommen die Reporter und werden ihre bisherigen Positionen neu besetzt? Wenn nur umgruppiert wird, wo liegen die Vorteile zur bisherigen Organisation? Und wie zapft man als Springer-Redakteur Teile der Extra-Million für investigative Recherche an, die Vorstandschef Mathias Döpfner im Frühjahr in Aussicht gestellt hat?

Wo man in die Springer-Redaktionen auch hineinhorcht: Die Redakteure haben keine Ahnung, dazu wurde bislang "nichts kommuniziert". Ob investigative Projekte bereits aus dem Sonderetat gespeist werden - unbekannt. Für das Investigativ-Team der Welt um Jörg Eigendorf steht die Extra-Million aber auch nicht zur Verfügung, die wird Welt-intern finanziert.

Drei von insgesamt sieben Reporterstellen sind schon besetzt. Tina Kaiser, zuletzt Wirtschaftskorrespondentin in London, soll dazugehören, Stasi-Spezalist Uwe Müller sowie ein weiterer junger Wirtschaftsredakteur. Springer mag das nicht bestätigen, und Chefredakteur Jan-Eric-Peters lässt alle anderen Fragen vorerst unbeantwortet. Man wird also abwarten müssen.

WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz will das Kunststück vollbringen, die WAZ zur Autorenzeitung zu machen, obwohl er sehr viele Autoren entlässt. Doch auch die WAZ hat seit einem Jahr ein intern besetztes Rechercheteam, das mit David Schraven kürzlich einen neuen Chef bekommen hat. Schraven will vor allem "gute Geschichten aus der Region machen". Zusammen mit Lokalreporter Matthias Bolsmann deckte Schraven kürzlich zum Beispiel einen Hamas-Helferverein aus Köln auf. Das insgesamt fünfköpfige Rechercheteam, zu dem auch die Polit-Reporter Heike Lanwert und Jürgen Polzin gehören, hat sich allerdings noch nicht zu voller Blüte entfaltet. Das liege daran, dass die Rechercheure viel zu sehr in der tagesaktuellen Berichterstattung eingebunden seien, um tatsächlich Zeit zum investigativen Wühlen zu haben, heißt es in der Essener Redaktion.

Vom täglichen Routine-Graubrot sollen die DAPD-Rechercheure komplett freigestellt sein, dies sei "eine Prämisse" des Chefredakteurs und Ex-dpa-Manns Cord Dreyer gewesen, heißt es bei DAPD. Mit Steffen Mayer und Ulrich Kraetzer hat Dreyer immerhin zwei zusätzliche Rechercheure ins insgesamt sechsköpfige Team geholt. Die Stellen der vier umbesetzten Rechercheure werden intern wieder besetzt. Das Team sei "ausdrücklich nicht der Tagesaktualität verpflichtet" und werde auch "nicht bei Großereignissen oder Katastrophen als Verstärkung eingesetzt, wie dies bislang bei den meisten Agenturen üblich ist", versichert Sprecher Wolfgang Zehrt. Außer der Erwartung "mit Augenmaß zu kalkulieren" gebe es "keine Etatbegrenzung".

Ressortübergreifende Arbeit statt Sonderstatus der Rechercheure

Die Phantomschmerzen im Investigativarm des Stern nach dem Verlust von Markus Grill an den Spiegel will Chefredakteur Andreas Petzold durch die Konzentration verschiedener Recherchetugenden wettmachen. Ähnlich wie bei der Süddeutschen Zeitung sollen die Rechercheure in dem Team um Oliver Schröm die Ressorts als Dienstleister unterstützen. Zum Service zählen eine zentrale Datensammlung, Schulungen für alle Redakteure, ein Spezialist für Aktenbeschaffung und Analyse sowie ein Spezialist für Internet-Rechereche, wie ihn auch SZ-Rechercheur Hans Leyendecker gerne hätte. Petzold will keine abgehobene Elitetruppe, die andere Redakteure paralysieren könnte: "Da ist kein Gartenzaun um die Truppe. Die Ressorts können das Rechercheteam in Anspruch nehmen, haben aber bei ihren Themen den Hut auf." Rechercheetats sollen in der Breite nicht abgezogen werden. Petzold: "Jeder Redakteur kann so lange recherchieren, wie er es braucht." Die freigewordene Dokumentarsstelle teilen sich nun zwei Pauschalisten, die anderen Stellen werden nicht neu besetzt.

Skeptiker befürchten, die zentralen Rechercheteams könnten im ein oder anderen Fall Luft schaffen für weitere Rationalisierungseffekte in den einzelnen Ressorts. Zu ihnen zählt Günther Nonnenmacher. Der FAZ-Herausgeber hält fix installierte "Recherche-Kompanien" für überflüssig. Wenn große Themen anstehen, stellen die Frankfurter flexible Teams mit Kollegen von FAZ und FAS zusammen, die gemeinsam recherchieren. Nonnenmacher: "Die Sonntagszeitung mit ihrem längeren Atem hat uns Möglichkeiten erschlossen, die man auch auf die Tageszeitung übertragen kann." Sonst teile sich die Redaktion in "Rechercheure - die Allergrößten, Edelfedern und Galeerensklaven, die die tägliche Routine bewältigen". Ein Motivationskiller.

Wie ambivalent die Sache mit den Elite-Teams ist, zeigt der Tagespiegel. Um investigative Kräfte zu bündeln, hatte Chefredakteur Lorenz Maroldt im Sommer 2008 eigens den Wächterpreisträger Ewald Schulte vom Ortskonkurrenten Berliner Zeitung abgeworben. Der Wirtschaftsjournalist sollte ein dreiköpfiges Team aufbauen und den investigativen Nachwuchs im Blatt fördern. Glücklich war diese Liaison nicht, denn trotz eines gut dotierten Dreijahresvertrags wurde Schulte in diesem Frühjahr geräuschlos freigestellt. Auch die damalige Teamkollegin Dagmar Rosenfeld ist schon längst nicht mehr an Bord. Die Chemie zwischen dem Recherche-Zampano und der Redaktion - vor allem dem Wirtschaftsressort - soll nicht gestimmt haben. Das Beispiel zeigt: So ein Recherche-Nukleus entfaltet nicht automatisch positive Kräfte in die Redaktionen hinein.

© W&V 30/2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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