Süddeutsche Zeitung

W&V: Gewinnspiele im Fernsehen:Call-in ist out

Die goldenen Zeiten für Gewinnspiele im Fernsehen und Radio sind vorbei. Medienhäuser setzen deshalb das Geschäftsmodell immer seltener ein.

Sigrid Eck

Früher war Sonntag ein guter Tag. Da wählten in Spitzenzeiten mehrere Hunderttausend Menschen die Nummer des Fernsehsenders 9Live. Sie wussten die Antwort auf die Frage, wie viel Dreiecke man auf einem Bild sehen kann, und wollten dafür ein bisschen Geld gewinnen. Früher, das war vor gut acht Jahren. Heute ist Call-in auf dem Rückzug. So verzichten die Fernsehsender MTV Networks und Tele 5 schon seit Längerem auf diese Art der Einnahmen.

In den Boomzeiten machte die Branche einen jährlichen Umsatz von 350 Millionen Euro. Es gab Prognosen, die Callmedia im Fernsehen im Jahr 2009 bis zu 900 Millionen Euro erwirtschaften sahen. Die letzte Zahl, die es öffentlich gibt, hat das Institut WIK Consult in Bad Honnef im Auftrag der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) errechnet: Anfang 2009 waren 255 Millionen Euro im Markt.

Heute gibt niemand mehr Studien in Auftrag, die Landesmedienanstalten schätzen nur noch, und die Fernsehsender schweigen über ihre Einnahmen. 9Live gibt lediglich die nebulöse Auskunft: "Nach der Einführung der Gewinnspielsatzung im März 2009 ist es uns gelungen, Call-TV auf einem neuen Niveau zu stabilisieren."

Der Rückgang des Geschäftsmodells hat drei Gründe: Der Markt ist übersättigt, es gab Mitte der Nuller-Jahre zu viele Gewinnspiele. Die Landesmedienanstalten drängten - aufgrund massiver Zuschauerbeschwerden - auf transparente Regeln. Und drittens: Die Rätselrater haben durchschaut, dass für sie das schnelle Geld nicht zu machen ist.

Was für die Sender ein Einnahmeverlust ist, verbucht Thomas Fuchs als Plus. Fuchs ist bei der ZAK der Beauftragte für Programm und Werbung: "Wir werten den Rückgang der Gewinnspiele als Beispiel für erfolgreiche Regulierung." Die Landesmedienanstalten hätten auf Transparenz bestanden "und damit Erfolge erzielt".

Und die Aufsichtsbehörden lassen auch weiterhin nicht locker. Erst vor wenigen Tagen schloss 9Live einen Vergleich mit den Landesmedienanstalten. Der Sender verpflichtet sich, dass "die Sendungen nach klaren, für die Nutzer nachvollziehbaren und verständlichen Regeln ablaufen müssen". Auch nimmt 9Live Einsprüche gegen neun erlassene Bußgeldbescheide zurück und zahlt 100.000 Euro an Strafgeldern. Im Gegenzug dazu stellen die Landesmedienanstalten zehn Verfahren ein.

Wie geht es nun weiter? "Call-in wird eine tragende Säule des Programms von 9Live bleiben", kündigt Ralf Bartoleit, Geschäftsführer des Senders, an. Mit dem jüngst erzielten Vergleich habe 9Live "einen großen Schritt für die Nachhaltigkeit dieses Geschäftsmodells getan". Doch Bartoleit weiß auch, dass dringend neue Modelle her müssen. Deshalb arbeitet er "Zug um Zug daran, den Sender auf weitere Säulen zu stellen". In den vergangenen Monaten wurden verschiedene Konzepte getestet, darunter eine Finanzberatungssendung (Finanzen.de) und verschiedene 50-Cent-Spieleformate. Je nach Entscheidung der Länder beim Glücksspielvertrag "werden wir uns verschiedene neue Formate fürs TV anschauen", sagt der Manager.

Einen anderen Weg geht Sport 1. Momentan finden noch Gewinnspiele am Schirm statt, doch "langfristig" will der Münchner Sender "die Flächen für Call-in eher reduzieren". Bereits Anfang des Jahres habe man die Schiene um 23 Uhr aus dem Programm genommen. Und die Nachmittags-Schiene werde häufig für eine Sonderprogrammierung zu aktuellen Ereignissen genutzt.

Anders sieht es bei den Radiosendern aus. Gewinnspiele dienen dort dazu, den Hörer länger bei der Stange zu halten oder den Sender einzuschalten. Die Erlöse aus den Anrufen dienen vielfach zur Refinanzierung der ausgesetzten Preise. "So können attraktive Sachpreise oder hohe Geldsummen auch von regionalen Anbietern angeboten werden", sagt Klaus Gräff, Geschäftsführer der RBC, einer 100-prozentigen Tochter der Regiocast. Nach Zeiten der Verunsicherung durch die Anfang 2009 eingeführte Gewinnspielsatzung habe sich die Lage wieder entspannt. Deshalb, sagt Gräff, werde die "Bedeutung des Einsatzes von Mehrwertnummern als Erlösquelle weiter wachsen". Die RBC werde ihr Call-Volumen um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern.

Die Einschätzung kann Valerie Weber, Geschäftsführerin und Programmdirektorin bei Antenne Bayern, nicht teilen: "Als Geschäftsmodell haben Gewinnspiele mit Call-in-Charakter in vielen Märkten ausgedient." Bei dem Sender mit Sitz in München basieren nach eigener Aussage alle Spiele auf kostenlosen Hotlines oder auf Internet-Beteiligung. Letzteres sei "als Geschäftsmodell für Kunden interessant, die sich im Rahmen eines Spiels sowohl on air als auch optisch online präsentieren und Kontakte machen wollen", sagt Weber.

Das könnte die Zukunft sein. Auch 9Live-Chef Bartoleit findet das Crossover-Modell interessant: im TV für Spiele zu werben, die im Internet stattfinden.

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W&V 48/2010/tiq
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