W&V: Auflagenschwund der Tageszeitungen:Sag mir, wo die Leser sind

Mehr Singles, printferne Jugend, gestiegene Preise: Der Auflagenschwund der Tageszeitungen hat viele Gründe. Manche sind schicksalhaft, andere hausgemacht.

Hans Schmidt

Zeitungen sind etwas Wunderbares, da sind sich die Mitglieder der Zeitungs Marketing Gesellschaft ZMG völlig einig. Die Frankfurter Institution, die nicht müde wird, die Vorzüge des Jahrhunderte alten Mediums zu preisen, hat im digitalen Zeitalter keinen leichten Job, dafür aber gute Argumente.

Tote bei Loveparade - Zeitungen

Die Tageszeitungen Deutschlands verlieren Leser, die Verlage suchen einen Ausweg.

(Foto: dpa)

Die braucht sie auch, wenn alte Hasen unentwegt die "Zeitungskrise" beschwören, junge Digital Natives dem "toten Holz" lauthals und sehnlich den Untergang wünschen, weitere Beleidigte ins Frühstücksfernsehen abdriften und das einstmals stärkste Standbein der Zunft, die werbungtreibende Wirtschaft, entschlossen Richtung Internet marschiert. Vor allem an die Anzeigenkunden wendet sich der ZMG-Berichtsband "Zeitungsqualitäten 2010 - Leistungsdaten der Zeitungen im intermedialen Vergleich".

Zeitungen: unverzichtbar?

Natürlich können die Statistiker behaupten, ohne rot zu werden, dass die Zeitungen noch immer Werbeträger Nummer eins sind. Natürlich können sie auf die "psychographischen Zielgruppen mit überdurchschnittlicher Zeitungsnutzung" verweisen - LOHAS (Lifestyle of Heath and Sustainability, also die besonders Gesundheitsbewußten und auf Nachhaltigkeit Bedachten), politisch Aktive, luxus- und qualitätsaffine Konsumenten, Woopies (Well-off older people, also aktive, wohlhabende Ältere), reiche und angesehene Menschen. Natürlich ist es bemerkenswert, wenn die Zeitungen unter jungen Leuten mit Abitur und einem Haushalts-Nettoeinkommen von mehr als 2000 Euro besonders hohe Reichweiten erzielen und acht von zehn Bundesbürgern die Zeitung für unverzichtbar halten, wo es um Informationen über den eigenen Wohnort und die nähere Umgebung geht.

Tatsache ist aber auch, dass im vergangenen Jahr die Auflagen wieder gesunken sind, wie der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) mitteilt. Kein Ausrutscher. In den zurückliegenden 15 Jahren haben die Abo-Zeitungen über 20 Prozent ihrer Auflage eingebüßt. Gegen die "langfristig sinkenden Abonnenten- und Käuferzahlen" scheint kein Kraut gewachsen.

Die Suche nach dem Sündenbock

Woran liegt es? Das Internet ist nicht an allem schuld. Denn schon "seit der Einführung des privaten Rundfunks Mitte der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts", gibt BDZV-Referentin Anja Pasquay zu bedenken, würden "insbesondere Jugendliche und junge Leute kontinuierlich weniger zu Gedrucktem" greifen.

Auch die ökonomische Entwicklung habe sich in den Medienbudgets der Haushalte niedergeschlagen. Aufgeschlagen, und zwar deftig, haben andererseits viele Zeitungsverlage. Die "Performance-Analyse Tageszeitungen 2009/2010" der Frankfurter Beratungsfirma Kircher + Robrecht ergab nach der Sichtung von 50 Titeln, dass deren Abo-Preise 2008/2009 um durchschnittlich 4,6 und die Einzelverkaufspreise um 6,1 Prozent angehoben wurden. Nicht ohne Folgen: Den massivsten Preiserhöhern kamen bis zu 4,5 Prozent ihrer Abonnenten abhanden, aber auch den Bescheideneren im Durchschnitt immer noch knapp zwei Prozent.

Deutliche Bremsspuren hinterlässt überdies die demografische Entwicklung: Die Deutschen werden weniger und einsamer: Single-Haushalte, deren Zahl stetig zunimmt, gelten als schlechte Zeitungskunden. Und für über die Hälfte der 14- bis 19-Jährigen ist die gedruckte Zeitung ohnehin kein Thema und wird es wohl nie werden.

"Die Lesekarriere beginnt in Kindheit oder Jugend - oder sie beginnt im schlimmsten Fall eben gar nicht", meint Pasquay. Bedauerlicherweise habe sich die Erwartung nicht erfüllt, "dass Jugendliche und junge Leute, die keine Zeitung lesen, dies zu einem späteren Zeitpunkt, etwa mit der Familiengründung, schon noch tun werden".

Sparen am Lokalteil - Verlust der Vielfalt

Umso wichtiger ist es, die treuen Bestandsabonnenten zufriedenzustellen. Denen wiederum liegt der Regional- und Lokalteil mehr am Herzen als jede andere Rubrik ihrer Zeitung. Aber gerade dort treten die von der Anzeigenkrise gebeutelten Verleger besonders heftig auf die Kostenbremse. Horst Röper, Geschäftsführer des Dortmunder Formatt-Instituts, hat in einer Studie ("Zeitungen 2010: Rangverschiebungen unter den größten Verlagen") bedenkliche Tendenzen festgestellt. Nämlich den rapiden Abbau von Planstellen in der Redaktion, um Lokalredaktionen teilweise aufzugeben oder zusammenzulegen.

Der Verlust der Vielfalt sei eine Folge, das Ende der flächendeckenden Lokalberichterstattung eine weitere und "dass es zu Dysfunktionen kommen wird, die das gesellschaftliche Leben in allen Bereichen tangieren", die letzte Konsequenz. Röper warnt: Reduziere das Medium Zeitung diese Redaktionsstruktur aus wirtschaftlichen Gründen, würden weiße Flecken entstehen, "denn kein anderes Medium ist derzeit in der Lage, für adäquaten Ersatz zu sorgen".

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