W&V: Attraktivität von Serienformaten:Synchronisierte Zuschauer

Gemeinsam vor der Glotze: Sendungen wie "DSDS" oder auch "GZSZ" spielen wohl eine größere Rolle bei der Bewältigung des Alltags als Internet-Angebote.

Martin Jahrfeld

Wer die Welt mit den Augen von Dirk Ziems betrachtet, ist schnell überzeugt: Fernsehen war noch nie so wichtig wie heute. Dabei blickt der Marktforscher kaum selbst in die Programme, sondern meist nur auf jene Bürger, die nicht davon lassen können. Der Psychologe ist Managing Partner des Marktforschungsinstituts concept m, in dessen Berliner "Alltagsstudio" - eine geräumige Altbauwohnung mit Kuschelsofa und großer Wohnküche - die Testpersonen ihre TV-Gewohnheiten unter alltagsnahen Bedingungen ausleben sollen.

IP-Studie: Fernsehserien

Nach einer neuen Studie bieten viele Serienformate wichtige Handlungsmuster für soziale Interaktion. So projizieren Eltern, die Nachwuchsstars bei DSDS erleben, dessen Erfolg als Wunschphantasie gern auf die eigenen Kinder.

Familien, junge Paare oder auch Freundescliquen sind die Probanden, die während des Beobachtungszeitraums den gesamten Abend in der Wohnung verbringen, kochen und essen, um sich dann zum Kuscheln, Plaudern oder Entspannen vor dem Fernseher einzufinden. Realistischer geht es kaum, glaubt Ziems, der die Zuschauer mittels Kameras beobachtet und dann in Tiefeninterviews unter die Lupe nimmt. Die Ergebnisse, die der Forscher für IP Deutschland und die RTL-Gruppe zu Tage gefördert hat, sollen die These von der abnehmenden Relevanz des Mediums widerlegen.

Linearer Fernsehkonsum in Echtzeit verliert laut Ziems nicht etwa an Attraktivität, sondern spielt für viele Menschen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung ihres Alltags. Dies gelte besonders für die Anhänger von Serienformaten. Familien, die sich zu DSDS verabreden, Paare, die das Promi-Dinner diskutieren, oder Teenager, die bei GZSZ mitfiebern, alle folgen sie dem gleichen psychologischen Muster: "Die Formate sind wichtige Strukturierungshilfen des Alltags, sie reflektieren die tageszeitlichen Stimmungen und spiegeln die momentanen Bedürfnisse der Zuschauer", glaubt auch Rober Schäffner, Abteilungsleiter Markt- und Media-Forschung IP Deutschland.

So seien vor dem Abendessen Kochsendungen sehr attraktiv. Der Zuschauer werde eingestimmt auf das, was in seinem Alltag unmittelbar bevorsteht. Außerdem würden viele Serienformate wichtige Handlungsmuster für soziale Interaktion und Gruppendynamik bieten: Jugendliche, die Zeugen der Trennungsdramen bei GZSZ sind, vergleichen das Gesehene automatisch mit eigenen Erlebnissen. Eltern, die einen Nachwuchsstar bei DSDS erleben, projizieren dessen Erfolg als Wunschphantasie gern auf die eigenen Kinder - Phänomene, die Ziems als "biographische Synchronisation" bezeichnet.

Entspannung vom Alltag

Der Forscher ist überzeugt, dass Serienformate im Fernsehen derartige Bedürfnisse weit besser bedienen als andere Medien: "Für das Publikum geht es sehr darum, diese Serien in Echtzeit verfolgen zu können - weil sie zu einer bestimmten tageszeitlichen Verfassung passen und weil nur auf diese Weise das Gefühl entsteht, nah am Geschehen zu sein." Befunde, denen zufolge TV durch die wachsende Zahl alternativer Medienangebote mehr und mehr zu einem "Hintergrundmedium" mit nachlassender Relevanz wird, hält der Forscher für überschätzt: "Motive wie Anschluss halten, dabei bleiben, Augenzeugenschaft sind insbesondere bei non-fiktionalen Formaten sehr starke Anreize."

Vor diesem Hintergrund müsse sich TV vor der Konkurrenz digitaler Medien nicht fürchten: "Angebote wie YouTube erfordern Engagement und Initiative. Auch zeitsouveräner TV-Konsum mittels Internet oder DVD bedarf der Auswahl und der Entscheidung - Mühen, denen sich Menschen nicht immer unterziehen wollen", argumentiert Ziems. Der kollektive Genuss einer Serie zur gewohnten Zeit bedeute hingegen Entspannung vom anstrengenden Berufs- und Familienalltag.

RTL darf sich von solchen Befunden bestätigt fühlen: Der Anteil an Spielfilmen im Programm ist zuletzt stetig gesunken. Unter den zwanzig quotenstärksten Ausstrahlungen von 2010 finden sich - abgesehen von Sportsendungen - nur drei Spielfilme, hingegen aber 16 Serienformate, darunter sieben Folgen von DSDS und acht Folgen von Das Supertalent.

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