Vox-Dokureihe "Frühchen - ein kleines Wunder":Babyaugen und billigste Stilmittel

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Familie mit Frühchen: Ivonne Schneider mit Ehemann Jens, Baby Tabea und den zwei älteren Kindern. (Foto: Familie Schneider; Vox/Good Times GmbH)

Vox setzt bei seiner Frühchen-Doku auf Emotion. Da ist man froh um den Pragmatismus der Protagonisten.

Von Johanna Bruckner

"Ich hab' Angst, datt ich watt kaputtmach'", sagt der Vater von Frühchen Tabea. "Ich arbeite mit Stahl, und datt sind jetzt vier Pfund Fleisch." Tabea kam in der 33. Schwangerschaftswoche zur Welt, etwa siebeneinhalb Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Gewicht: 2070 Gramm. Oder eben: vier Pfund.

Es ist einer der wenigen Momente, in denen die Macher von Frühchen - ein kleines Wunder nicht versuchen, mit allen dramaturgischen Mitteln Gefühl zu erzwingen. Und der gerade deshalb berührt. Dokumentation? Das bedeutet im Fall der 90-minütigen Sendung vor allem: Emotion.

Das überrascht, weil Vox durchaus weiß, wie das Doku-Genre seriös funktionieren kann, die hochgelobte Sozialreportage Asternweg - eine Straße ohne Ausweg ist nur ein Beispiel. Regelmäßig zeigt Vox zur besten Sendezeit am Samstagabend mehrstündige Dokumentationen, und erreicht damit teilweise mehr als zehn Prozent der werberelevanten Zuschauer. Eine Traumquote für den kleinen Privatsender, der im Mittel auf 6,5 Prozent kommt.

In Wahrheit ist natürlich nur eines wichtig: die Quote

Drei Folgen hat Vox nun abdrehen lassen zu einem Thema, das bisher vor allem Sache des Schwestersenders RTL 2 war: Mit Teenie-Mütter - Wenn Kinder Kinder kriegen, Wunschkinder - der Traum vom Babyglück und Sarah & Pietro ... bekommen ein Baby laufen dort derzeit drei Formate rund ums Kinderkriegen. Wir zeigen, was wirklich wichtig ist im Leben, nämlich die Familie, könnte die Botschaft lauten - in Wahrheit ist natürlich nur eines wichtig: dass möglichst viele Menschen einschalten. Und die bekommt man offenbar mit einer Mischung aus Babyaugen und mitunter billigster Boulevardisierung.

Auf diese Kombination setzt nun auch Vox mit seiner Frühchen-Doku. "Und dann das, plötzlich schlägt Leandros Inkubator Alarm", sagt die Offstimme, im Hintergrund dräuende Musik. Auf Leandros Überwachungsschirm blinkt: "Baby überprüfen". Der vermeintliche Alarm ist am Ende nicht mehr als eine Routinemeldung - das können die verängstigten Eltern des Frühchens nicht wissen, die Sendungsmacher aber sehr wohl. Und dabei wäre das Thema auch ohne diese künstlich erzeugten Spannungsmomente dramatisch genug.

Die Drillinge von Familie Kokollari kamen in der 29. Schwangerschaftswoche, drei Mädchen, Gewicht zwischen 880 und 1100 Gramm. Normal ist das Dreifache. "Jedes zehnte Baby erblickt zu früh das Licht der Welt", erklärt die Offstimme, 60 000 Frühchen gibt es jedes Jahr in Deutschland. Als Frühchen gelten Kinder, die mehr als drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin geboren werden. Kinder, die vor der 28. Woche kommen, sind medizinisch extreme Frühgeburten - die Grenze zur Überlebensfähigkeit liegt bei 23 Wochen.

Lena Kokollari, die Leichteste, kämpft ums Überleben. Sie hatte eine Hirnblutung, in ihrem Schädel ist zu viel Flüssigkeit. Der Druck auf das Gehirn ist so hoch, dass immer wieder Hirnwasser abgelassen werden muss. Dazu wird dem kleinen Mädchen am Rücken eine Nadel eingeführt. Das klingt schlimm, und sieht noch viel schlimmer aus.

Erholt sich langsam: Frühchen Lena auf dem Arm seiner Mutter Mirjeta. (Foto: Familie Murseli/Kokollari; Vox/Good Times GmbH)

Stark ist die Doku, wenn sie zeigt, was ist

Aber es sind genau diese Szenen, in denen die Doku am stärksten ist: in denen sie zeigt, was ist, anstatt zu emotionalisieren. Als Expertin fungiert die Ärztin Franziska Rubin, selbst Mutter von frühgeborenen Zwillingen. Sie erklärt, wie es zu Hirnblutungen bei Frühchen kommen kann: Die Wände der Blutgefäße sind so dünn, dass sie leicht reißen. Aber: Selbst bei extremen Frühchen liege die Überlebenschance mittlerweile bei über 90 Prozent.

Die Ärztin und Buchautorin will aufklären, sagt sie, nicht nur Eltern, sondern auch Mediziner. Denn Frühgeburten sind heute auch ein gesellschaftliches Phänomen: Frauen bekommen später Kinder, und durch künstliche Befruchtungen kommt es häufiger zu Mehrlingsschwangerschaften. Leider geht die Doku hier nicht in die Tiefe - lieber zeigt sie immer wieder Eltern beim "Känguruhen". Dabei liegen die Frühchen ganz dicht am Körper von Mutter oder Vater. Das stärke die Bindung und fördere die Entwicklung, sagt die Offstimme. Und natürlich liefert es anrührende Bilder.

Bei so viel inszenierter Gefühligkeit ist man froh um den Pragmatismus der Protagonisten. "Is' ärgerlich, dass die Babyschale nicht passt", sagt die Mutter von Frühchen Tabea. "Aber gut, weiß man vorher nicht. Die Sachen haben wir abgesprochen, da wusste ich nicht, dass die Tabea acht Wochen zu früh kommt und nicht der Norm entspricht, was so 'ne Babyschale verlangt."

Frühchen - ein kleines Wunder, drei Folgen, ab Dienstag, 21. Juli, 22.15 Uhr

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