Vox: Der letzte Tag von Adolf Hitler:Eine schier endlose Nazi-Novela

Hauptsache, viel Musik: Bei Vox wird von dem Tag berichtet, als das "Dritte Reich" mit Glanz und Gloria der alten Soldatenherrlichkeit unterging.

Willi Winkler

Musik war immer dabei, Musik musste sein. In der Neuen Reichskanzlei verabschiedet sich Joseph Goebbels von seinem Volk: Soldaten sind gekommen, auch viele Zivilisten, die Familie, und während einer am Akkordeon hantiert, wird das Marschlied von den "Blauen Dragonern" geschmettert: "Die blauen Dragoner, sie reiten/Mit klingendem Spiel durch das Tor,/Fanfaren sie begleiten/Hell zu den Hügeln empor." Das "Dritte Reich" geht mit dem Glanz und Gloria der alten Soldatenherrlichkeit unter, als wär sonst nichts gewesen.

hitler

Im Stundentakt werden auf Vox die Vorgänge im Führerbunker rekonstruiert und von Stalins taktischem Spiel mit dem toten oder vielleicht doch noch lebendigen Hitler berichtet.

(Foto: Ein Tag schreibt Geschichte - 30. April 1945)

Aber war was? Der Wetterbericht kündigt Berlin für den 30. April 1945 einen windigen Tag mit Regen an, Höchsttemperatur 11,5 Grad Celsius. Im Süden des Reiches ist es bereits wärmer. Mit den fremden Truppen ist der Frühling eingezogen. Auf den Farbaufnahmen des Begleitcorps grünt das Gras bereits so fett wie in Friedenszeiten. Die Bayern stehen stumm und starr und lassen die Panzer durch ihre Dörfer und Städte passieren.

Während der geliebte Führer noch immer auf eine Entscheidungsschlacht hofft, ist sein Land bereits zum größten Teil besetzt, haben zwei Drittel seiner Deutschen den Krieg hinter sich. Adolf Hitler aber möchte mit militärischen Ehren untergehen, bis sich der oberste Soldat des Deutschen Reiches dann doch zum Selbstmord entschließt. Berlin ist längst eine einzige staubige Ruine, in der die Frauen vor marodierenden und sexuell ausgehungerten Soldaten zittern. Die SS jagt weiter Deserteure, die sich dem Endkampf in den Straßen entziehen wollen.

Diesem 30. April 1945, acht Tage vor der bedingungslosen Kapitulation, widmet Vox das gesamte Samstagsprogramm in einer Koproduktion von Spiegel TV und Alexander Kluge. Im Stundentakt werden die Vorgänge im Führerbunker rekonstruiert, wird noch einmal erzählt, dass die angesengte Eva Hitler, née Braun, wie eine "geschmorte Gans" aussah, wird von Stalins taktischem Spiel mit dem toten oder vielleicht doch noch lebendigen Hitler berichtet. Der royale Live-Ticker vom Vortag wird mit einer schier endlosen Nazinovela fortgesetzt, die statt mit dem Ja-Wort und dem ersten Kuss mit Selbstmord und Kapitulation endet.

Das überlieferte Material ist notwendig Kriegsgerät, zeigt die Sieger siegreich und die Besiegten wenigstens als tragische Helden. Soldaten schießen und ergeben sich, Generäle schauen in die Karten oder deuten kühn das Schlachtgeschehen. Kommt das Ergebnis ins Bild, werden endlich die Ruinen gezeigt, wagnert es von der Tonspur, und die unsterblichen Zeitzeugen gedenken des "Chefs" mit Ehrerbietung.

Illustrierter Giftmord

Es fehlt auch nicht an pädagogischer Irreführung, wenn zum Beispiel Aufnahmen von Mutter Goebbels, die 1940 ihre Kinder füttert, den Giftmord illustrieren sollen, den die gleiche Mutter Goebbels an diesen Kindern verübt. Wie genau sie umgebracht wurden, ist trotz vieler eingeblendeter Dokumente und Zeugenaussagen nicht ganz zu ergründen, ermächtigt den tragisch umflorten Kommentar aber zu dem sonderplatten Satz, Magda Goebbels habe die letzten Details "mit ins Grab genommen".

Nur wenn eine nicht ganz so martialische Szene ins Bild kommt, die Bäuerin mit der Kuh, ein brennendes Gehöft, der Bach, den plötzlich ein Panzer durchpflügt, wird deutlich, was der Krieg, was das fast jeden Fernsehabend abgefeierte "Dritte Reich", angerichtet hat.

Als Hitler dann endlich tot ist, erklingt wieder Musik. Eine Kapelle bläst und schlägt die Trommel, und im Berliner Lustgarten tanzen ausgelassen, aber mit umgehängtem Gewehr die Russen, um den 1. Mai zu feiern und den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland.

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