Süddeutsche Zeitung

"Vollbild" von SWR:Transparent und investigativ

Der SWR will mit seinen Online-Reportagen eine Nische füllen. Das neue Format "Vollbild" erinnert stark an die Angebote von Funk. Ein Vergleich.

Von Julia Brader

Düstere Musik, wackelige Kamerabilder, ein Mann schaut vorsichtig über einen Maschendrahtzaun auf ein Gelände voller Abfall. Er dreht sich zur Kamera und sagt: "Hier sollen irgendwo unsere Reifen sein." Benedict Wermter, der Umherschleichende, ist Journalist und recherchiert seit Monaten verdeckt zur Reifen-Mafia in Deutschland. Er ist einer von mehreren Reportern des neuen SWR-Formats Vollbild - einer Sendung, die mit ihren jeweils 20- bis 30-minütigen Folgen ausschließlich in der ARD-Mediathek und auf Youtube zu finden ist.

Das Konzept erinnert an die Online-Angebote von Funk, dem jungen Netzwerk von ARD und ZDF. Dort werden schon seit einigen Jahren Informations- und Unterhaltungssendungen für Youtube, Instagram und Co. aufbereitet - und auch Investigativreportagen gibt es dort bereits zuhauf. Der SWR ist am 2016 gegründeten Content-Netzwerk Funk federführend beteiligt, will für Vollbild aber eine neue Nische gefunden haben: Angesprochen werden sollen speziell Zuschauer, die alterstechnisch irgendwo zwischen den 14- bis 29-jährigen Zoomern, der Zielgruppe von Funk, und den Rosamunde-Pilcher-Sehern liegen.

Ebenso interessant für Menschen unter dreißig wie die Funk-Angebote für Menschen 30 plus

In den beiden bisher veröffentlichten Folgen geht es um sexuelle Übergriffe bei Dating-App-Treffen und kriminelle Altreifenentsorger in Deutschland. Letztere würden teures Geld für die Abnahme ausrangierter Reifen verlangen, diese tonnenweise auf illegalen Mülldeponien lagern und dann einfach verbrennen. Schlecht für die Umwelt und ein Widerspruch zu dem, was große Autoreifenhersteller auf ihrer Homepage zum Thema nachhaltige Reifenentsorgung versprechen.

Und damit zurück zu dem, was Benedict Wermter da auf der Industriebrache sucht. Nämlich Antworten auf die Frage, wohin seine Altreifen nach dem Deal mit dem kriminellen Händler gebracht wurden. Dafür hat er zuvor ein GPS-Gerät in einigen Reifen versteckt, folgt dem Signal und macht anhand weiterer Recherchen vor Ort den Besitzer des Grundstücks ausfindig. Diesen meldet er dem Berliner Umweltsenat und erwirkt aufgrund der fehlenden Genehmigung eine Räumung des Geländes. Ein vorläufiger Sieg im Kampf gegen die kriminellen Autoreifenhändler.

Anders als viele andere Formate wirkt Vollbild dabei stellenweise aber deutlich entschleunigter. Man hört die Reporter nicht nur kurz aus dem Off. Stattdessen treten sie immer wieder vor die Kamera, um zu erläutern, wie sie bei ihren Recherchen vorgegangen sind.

Das ist guter, transparenter Investigativjournalismus. Obwohl nicht auf jede Detailfrage eine Antwort gefunden wird, deckt das Format auf, ob an den Versprechen der großen globalen Player wie der Dating-App Tinder und Reifenhersteller Continental etwas dran ist. Und das ist längst nicht nur für Zuschauer zwischen 30 und 40 Jahren sehenswert - ebenso wie die Angebote von Funk, die man nicht nur bis 29 anschauen kann. Damit wird das Versprechen von Vollbild, durch das angegebene Alter der Zielgruppe neu und anders zu sein, zwar nicht eingelöst, es werden aber umso mehr spannende Online-Reportagen für Menschen jeden Alters geboten.

Vollbild, in der ARD-Mediathek und auf YouTube.

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