Süddeutsche Zeitung

Journalismus:Orbán schaltet Anzeige in "Bild"

Ungarns Regierung bezahlt für die Veröffentlichung politischer Vorschläge - zu einem interessanten Zeitpunkt.

Von Dennis Müller

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat sich mit einer ganzseitigen Anzeige in der Bild-Zeitung an die deutsche Öffentlichkeit gewandt. Unter dem Wappen der ungarischen Regierung und dem Titel "Über die Zukunft der Europäischen Union" waren in der Montagsausgabe des Boulevardblatts sieben "Vorschläge" aufgelistet. Etwa, dass Brüssel "einen Superstaat" errichten wolle, Budapest aber "Nein zu dem europäischen Imperium" sage. Orbán forderte die EU auf, die Zielsetzung "der immer engeren Einheit zwischen den Völkern Europas" aus den Grundlagenverträgen der EU zu streichen. Integration sei ein Mittel und kein Selbstzweck.

Orbán will zudem "die europäischen Menschen" vor Migration und Pandemien schützen und lehnt das EU-Parlament als "Sackgasse" ab, stattdessen müsse die Rolle der nationalen Parlamente vergrößert werden. In einem letzten Punkt fordert er die Aufnahme Serbiens in die EU. Dazu teilt ein Sprecher von Bild-Verlag Springer mit: "Es ist explizit nicht relevant, ob wir die Inhalte einer gebuchten Anzeige teilen oder nicht - der Absender einer Anzeige sind nicht wir, sondern unser buchender Kunde."

Orbáns Anzeige erschien so genau an dem Tag, an dem die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) ihre Liste der "Feinde der Pressefreiheit" veröffentlichte. Mit aufgeführt: der ungarische Ministerpräsident. "Seit Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei 2010 an die Regierung gekommen sind, haben sie Ungarns Medienlandschaft Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle gebracht", kritisierte die Vereinigung am Montag in Berlin.

Laut RSF hat Budapest fast 500 regierungsnahe Medienunternehmen in der staatlichen Holding MTVA zusammengefasst. Dazu gehört auch Ungarns einzige Nachrichtenagentur MTI. Zudem sei die regionale Presse seit 2017 vollständig im Besitz Orbán-freundlicher Unternehmer.

Honkongs Regierungschefin und Brasiliens Präsident sind neu auf der Liste

Die Liste mit "Feindinnen und Feinden der Pressefreiheit" umfasst 37 Staatsoberhäupter und Regierungschefs, die die Unabhängigkeit der Medien besonders stark gefährden und die Pressefreiheit auf besonders drastische Weise unterdrücken. Neben Orbán neu aufgeführt sind Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman. Ihm wirft RSF unter anderem wegen des Mordes an Jamal Khashoggi Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam steht nach der Einstellung der Zeitung Apple Daily im Juni ebenfalls auf der Liste. Langjährige "Feinde der Pressefreiheit" sind zudem etwa Eritreas Präsident Isaias Afewerki, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, Syriens Machthaber Baschar al-Assad und der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko.

Überall auf der Welt seien neue Namen hinzugekommen, die durch den Einsatz verschiedener Unterdrückungsmethoden kritische Berichterstattung verhindern wollen, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr der dpa. "Darunter leiden die Journalistinnen und Journalisten, aber auch die Bevölkerung, der damit der gerade in Zeiten einer globalen Pandemie so wichtige Zugang zu unabhängigen Informationen verwehrt wird." Reporter ohne Grenzen veröffentlicht die Liste in unregelmäßigen Abständen seit 2001.

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