Vierte Staffel "Sherlock":"Sherlock" ist jetzt so arrogant wie Sherlock

Sherlock BBC The Six Thatchers

Sherlocks Problem: Nach jedem Endgegner muss es einen neuen geben, in Staffel vier gibt es sogar zwei.

(Foto: BBC one)

Die vierte Staffel der Detektivserie zeigt vor allem, dass es keine fünfte geben sollte.

Von Kathleen Hildebrand

Wie verzaubert war die Fernsehwelt von Sherlock, damals, 2010, als dieser dünne Mann mit dem merkwürdigen Gesicht zum ersten Mal auftrat und millisekundenschnell alles sah, wusste und verstand, was es zu sehen, wissen und verstehen gab. Dieser blasse Typ, immer im selben Mantel, der mutwillig "vergaß", wie die Reihenfolge der Planeten im Sonnensystem ist, weil er Speicherplatz für seine Fälle brauchte. Und der so über die Maßen schlau war, so schlafwandlerisch erfolgreich und doch so unfassbar blind für alles Menschlich-Gefühlige, dass man ihn beschützen wollte wie einen Welpen.

Zwei Staffeln lang war "Sherlock" ein Hochgenuss, der das Gehirn durchpustete. So zeitgenössisch, geistreich und aufregend wie sonst kaum etwas im europäischen Fernsehen. Doch das, man muss es sich spätestens angesichts der vierten Staffel eingestehen, ist vorbei. Die Serie ist endgültig wie besoffen von ihrem eigenen Erfolg. Sie ist arrogant geworden, so wie Sherlock in seinen schlechtesten Momenten. Jede der drei neuen Folgen verheddert sich in ennervierender Selbstreferentialität.

Dass es so weit gekommen ist, hat viele Gründe. Es liegt an ihrem Hauptdarsteller. An den Autoren, die Handlungsstränge ins Nichts laufen lassen und eine Hauptfigur vernachlässigen. Es liegt am übergroßen Hype um die Serie, aber ein kleines bisschen auch an ihrer Vorlage.

Benedict Cumberbatch ist mittlerweile eben leider ein Superstar geworden. Er schlafwandelt nicht mehr, sondern weiß viel zu genau, was er tut. Er tut es nämlich, leicht variiert, in jedem seiner Kino-Blockbuster, ob als Julian Assange, Alan Turing oder Doctor Strange. Cumberbatch ist dermaßen abonniert auf die Rolle des arroganten Superhirns, dass jede Wiederholung noch ein bisschen leerer wirkt.

Leer fühlt sich auch die neue Staffel an. Folge Nummer eins, "Die sechs Thatchers", schwingt sich wie ein Tarzan auf Drogen von einer Story-Liane zur nächsten. Der Fall eines verschwundenen Diplomatensohns ist so schnell gelöst und dann so egal, dass man auch der nächsten Geschichte lange nicht vertraut. Auch Sherlocks Suche nach sechs Thatcher-Gipsbüsten könnte sich schließlich jederzeit in einen unbefriedigenden Hauch von logischem Nichts auflösen.

Zu vieles ergibt einfach überhaupt keinen Sinn

So wie die Flucht von Mary, Watsons Frau, über den kompletten Erdball, auf der sie angeblich akribisch darauf achtet, bloß keine Spuren zu hinterlassen, damit Sherlock und Watson sie nicht finden. Als sie endlich irgendwo in einer orientalischen Herberge einen Minztee trinken will, sitzen da: Sherlock und Watson. Sie hatten einen GPS-Sender an einem USB-Stick in ihrem Gepäck versteckt. Haha.

Zu vieles ergibt einfach überhaupt keinen Sinn in dieser Folge. Die Rolle der Mary Watson vor allem anderen: Die hervorragend ausgebildete, erfahrene Auftragskillerin, die mit Sherlocks Partner und bestem Freund gerade eine Familie gegründet hat, vertraut mit einer unfassbaren Blauäugigkeit auf Sherlocks "Schwur", sie immer zu beschützen. Mit dem Zuschauer geht da nicht nur der Feminismus durch, sondern vor allem die Wut darüber, dass die angeblich so genialen Autoren dieser Serie (Marc Gatiss und Steven Moffat) offenbar ernsthaft erwarten, dass man diese Inkohärenz gnädig übersieht.

Wenn der Tod keine Konsequenz hat, was dann?

Angeblich, angeblich, angeblich. Nichts nimmt man dieser Serie mehr ab, kein Gefühl, keine Charakterzeichnung. Weil nichts in ihr Konsequenzen zu haben scheint. Wenn Sherlock wegen seiner überbordenden Arroganz am Ende von "Die sechs Thatchers" den Fehler seines Lebens begeht, dann ahnt man sofort: Spätestens am Ende der zweiten Folge wird alles wieder sein wie irgendwann einmal. Sherlock und Watson pflegen ihre Bromance, lösen ein paar Fälle und nichts hat Bedeutung.

Doch gerade deshalb ist eben nichts mehr so, wie es einmal war, damals, in Staffel eins oder zwei, als die ganz großen Showdowns noch bevor standen und man sich freute über charmant absurde Fälle, jeder in einem neuen Milieu, das die Autoren liebevoll auf die Schippe nehmen konnten.

Dann kam der Punkt ohne Wiederkehr, "The Reichenbach Fall", die Folge, in der Sherlock stirbt. Jeder, der Arthur Conan Doyles Bücher kennt oder auch nur den Kinofilm "Sherlock Holmes: Spiel im Schatten" von 2011 mit Robert Downey Junior gesehen hat, weiß: Sherlock ist nicht tot. Und wenn der Tod keine Konsequenz hat für ein narratives Universum, was dann?

Ein verzweifelter dritter Aufguss

Wahrscheinlich war dieses Problem auch den Autoren bewusst. Denn sonst hätten sie nach Sherlocks inszeniertem Tod einfach auf der alten Betriebstemperatur weitergemacht. Gatiss und Moffat suchen stattdessen seither immer wieder nach einem noch größeren Knall, einem noch ärgeren Feind für ihren Helden.

Wenn Sherlock in Folge zwei der neuen Staffel, "The Lying detective", sagt, dass sein aktueller Gegner Culverton Smith der "gefährlichste, widerwärtigste Mensch" sei, den er je getroffen hat, dann klingt das wie ein verzweifelter dritter Aufguss nach den einst ultimativ wirkenden Erzfeinden Moriarty und Magnusson.

Was Sherlock noch retten könnte? Es steht zu befürchten, dass es da nichts mehr gibt. Die Schauspieler Cumberbatch und Martin Freeman, der den Watson spielt, sind in den sieben Jahren seit der ersten, fantastischen Folge, zu Weltstars geworden. Sie brauchen die Serie nicht mehr, sie finden kaum Zeit für die Dreharbeiten. Und die Liebe der Autoren zu ihrem Stoff, zu den Figuren, hat sich unumkehrbar in eine Art Fanboytum verwandelt. Trotzdem, so ganz will man nicht leugnen, dass eine fünfte Staffel, die einfach drei hübsche Fälle erzählt, einen doch nochmal vor den Fernseher bringen könnte. Die frühen Jahre waren eben einfach zu gut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: