Video-Propaganda im Irak und in Syrien:Aus dem Arsenal des Terrors

Terroristen der IS-Miliz

Das Kalkül der IS-Terroristen (im Bild) basiert auch auf der Macht der Bilder.

(Foto: AFP)

Die Gräueltaten der IS-Terrormilizen und ihre Inszenierung offenbaren ein Dilemma der Medien: Wie umgehen mit den Bildern, die aus Kalkül produziert werden? Wird zum Kollaborateur der Terroristen, wer sich mit ihren Bildern und Videos befasst? Die Terroristen mögen durch den Missbrauch sozialer Medien weltweit präsent sein - die Beachtung ihrer Propaganda jedoch muss man ihnen versagen.

Kommentar von Claudia Fromme

Ein brutaleres Symbol für Verrohung ist kaum vorstellbar. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) inszeniert archaisch die Enthauptung James Foleys. Seine Mörder haben nicht getötet, um zu töten; sie lynchen jeden Tag. Sie haben getötet, um die Tat zu filmen und sie der Welt als Trophäe vorzuführen.

Kriege waren immer schon auch Kriege der Bilder; die bewusste Inszenierung und millionenfache Sichtbarmachung über Youtube und Twitter aber sind neu und perfide. Dass solche Bluttaten nur stattfinden, weil sie so einfach gefilmt und kontrollfrei verbreitet werden können - und die westliche Öffentlichkeit danach giert -, ist keine krude Phantasie, sondern Realität.

Nichts an dem Propagandafilm ist zufällig. Da wird ein Mensch missbraucht, grausame Bilder zu liefern, einer, der als Videoreporter selbst auf der Suche nach Bildern der Wahrheit im Krieg war.

James Foley trägt orangefarbene Kleidung, wie die Insassen von Guantanamo. Sein Henker spricht mit britischem Akzent, nennt sich "John" nach John Lennon, und pervertiert damit dessen Friedensbotschaft. Die Schergen haben den Film bei Youtube platziert, der weltgrößten Videoplattform mit Firmensitz in den USA, dem Land, das Luftangriffe gegen den IS im Irak fliegt.

"Bilder sind Munition, Kameras sind Waffen", befindet der französische Medientheoretiker Paul Virilio und diagnostiziert die zunehmende "optische Globalisierung" in Kriegsgebieten, erst recht in Zeiten der simultanen Vernetzung.

Machtgeste des Blutrausches

Ein Bild sei niemals Information wie jede andere, sagt er. Ein Bild dränge sich auf, sei ein Schock - und könne so auch zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Das ist das Kalkül der Terroristen. Zum einen versuchen sie durch die Machtgeste des Blutrausches neue Kämpfer zu rekrutieren, was ihnen gelingt. Zum anderen wissen sie um das Empörungspotenzial solcher Videos im Westen.

Wenn der Politikwissenschaftler Herfried Münkler beschreibt, dass sich die Kriegsberichterstattung längst zum Berichterstattungskrieg gewandelt hat, trifft es das Dilemma der Medien im Kern.

Wie umgehen mit Bildern, die Kriegsparteien generieren, vor allem aus Regionen wie Syrien oder dem Nordirak, in die sich Kriegsreporter kaum wagen? Sind Bilder verwackelter Handykameras die Wahrheit - oder nur eine Simulation derselben? Wird man zum Kollaborateur der Terroristen, wenn man sich mit ihrer Propaganda befasst?

Der Medienkrieg begann mit dem Golfkrieg 1991

Bilder haben die Macht, die öffentliche Meinung zu verändern - und so die Politik. Sie ziehen auf der Überholspur an den Texten vorbei ins Hirn, treffen direkt die Emotionen.

Das klingt banal, die Folgen sind es nicht. Schon 2003 berichtete Amnesty International über Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib - ohne großen Widerhall. Erst als ein Jahr später die Bildertrophäen der US-Soldaten von gefolterten Gefangenen über das Netz öffentlich wurden, empörte sich die Welt.

Wirkliche Macht entwickeln Bilder aber nur, wenn sie mächtig werden können, wenn die Sichtbarmachung millionenfach möglich ist. Natürlich gab es immer Hofmaler, die verlorene Schlachten für ihren brotgebenden Herrn in Öl sieghaft umdichteten; die Weltläufte veränderte das aber nicht. Zu wenige Menschen sahen die Werke, und das erst Jahre später. Inszenierte Bilder gab es auch schon im amerikanischen Bürgerkrieg, im Ersten Weltkrieg, bei den Nazis sowieso.

Der Medienkrieg begann mit dem Golfkrieg von 1991, in dem es zwar Zehntausende Tote gab, aber die Welt nur Bilder sah von einem kurzen klinischen Krieg, der einem Videospiel glich - in Millionen Haushalte transportiert von CNN, organisiert von einer PR-Agentur für das Pentagon.

Realität kann in jede Richtung simuliert werden, die Abwesenheit von Bildern von Tod und Zerstörung kann sehr machtvoll sein, ihre Umdeutung ebenfalls. Die angeblichen Beweisfotos eines Satelliten zu Chemiewaffenfabriken im Irak dienten dem britischen Premier Tony Blair dazu, an der Seite der Amerikaner 2003 in den Krieg gegen Irak zu ziehen. Alles war fingiert, die Briten erfuhren davon aber erst nach dem Krieg.

Flucht vor der Meute der Fotografen

Die Bilder hungernder Kinder ließen die UN in Somalia intervenieren, die Fotos von einem gelynchten US-Soldaten, der von der somalischen Miliz durch Mogadischu geschleift wurde, führten zum Abzug der US-Truppen.

Und immer auch gibt es die Referenz an jenes Bild von 1968, auf dem der Polizeichef von Saigon dem gefangenen Vietcong Nguyen Van Lem in den Kopf schießt. Die Wucht dieses Bildes hat dazu beigetragen, dass der Vietnamkrieg ein schnelleres Ende fand, der Proteste in Amerika wegen. Aber es gibt auch das Foto des Mädchens Kim Phuc, das nackt vor einschlagenden Napalmbomben davonrennt. Das Bild war manipuliert, die Neunjährige flüchtete vor allem vor der Meute von Fotografen.

Das "Nichtdarstellbare" schlechthin

Vielleicht ist es so, wie der Historiker Gerhard Paul beschreibt, nämlich, dass sich der moderne und postmoderne Krieg grundsätzlich der visuellen medialen Repräsentation entzieht, dass er einfach das "Nichtdarstellbare" schlechthin ist.

Im Krieg gibt es nie die eine Wahrheit. Was ist die Konsequenz daraus? Sicher nicht, dass die Politik zum Getriebenen öffentlicher Empörung wird. Sicher auch nicht, dass Medien überhaupt keine Bilder aus Kriegsgebieten oder der PR-Abteilung von Pentagon und Oval Office verwenden. Es ist wichtig und richtig, Gräuel und Unrecht zu dokumentieren, sie zu analysieren und einzuordnen, auch simulierte Bilder als solche zu enttarnen.

Das besonders Verbrecherische an dem Verbrechen an James Foley war seine Inszenierung. Die Medien dürfen sich nicht leiten lassen von der archaischen Plakativität eines solchen Videos, die Politik nicht - und auch nicht die Öffentlichkeit.

Youtube hatte das Video binnen Minuten gelöscht, Twitter alle Verlinkungen gekappt, aber längst war es kopiert und neu verlinkt. Ein verwackeltes Video wird Barack Obama nicht davon abhalten, gegen die Milizen vorzugehen. So grausam es ist: Auch der Adressat USA war nur eine Inszenierung, weil die Geste größer wird, wenn es nicht das Blut von Jesiden, Christen und Muslimen im Irak und in Syrien ist, das an den Messern des IS klebt, sondern das eines Amerikaners. Die krude Botschaft verkommt zu dem, was als war porn bezeichnet wird, als Kriegsporno.

In der Schrift "Zum ewigen Frieden" schrieb Immanuel Kant 1795, die öffentliche Meinung bewirke, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen Plätzen der Erde gefühlt werde. Terroristen mögen durch den Missbrauch sozialer Medien im Internet an allen Plätzen der Welt präsent sein, aber die Beachtung ist die einzige Währung, die sie haben wollen. Diese muss man ihnen versagen.

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