Refinery29-Übernahme:Cool sein oder nicht sein

Refinery29-Übernahme: Das Vice-Büro in Venice, einem Stadtteil von Los Angeles.

Das Vice-Büro in Venice, einem Stadtteil von Los Angeles.

(Foto: AFP)
  • Der Medienkonzern Vice hat für 400 Millionen Dollar das Lifestyle-Portal Refinery29 übernommen.
  • Beide Unternehmen befinden sich nach Jahren des Wachstums zunehmend in Schwierigkeiten.
  • Können zwei strauchelnde Medienmarken eine profitable Einheit ergeben?

Von Jürgen Schmieder

Wer wissen will, wie schwierig es ist, ein Leben lang cool zu sein, der muss sich nur mal ansehen, was in den letzten 50 Jahren mit dem Begriff cool passiert ist. Der ist zwar stets präsent, wird indes immer wieder abgelöst von anderen In-Worten wie zum Beispiel boss, rad, dope, tight oder sick; auf Deutsch von geil, fett, knorke, krass oder Hammer. Natürlich gibt es dazu Evolutionslisten auf dem kanadischen Popkultur-Portal Vice , das seit 25 Jahren auch immer wieder mal abgelöst wird von anderen krassen, geilen oder fetten Plattformen, bislang aber stets präsent, relevant und damit cool gewesen ist.

Gerade hat der Mutterkonzern Vice Media für 400 Millionen Dollar das amerikanische Lifestyle-Portal Refinery 29 gekauft, das sich selbst als Stimme der Gleichberechtigung sieht. Oberflächlich betrachtet übernimmt da ein cooles Unternehmen eine coole Firma. Der Zusammenschluss verdeutlicht jedoch, wie schwierig es heutzutage ist, in der Unterhaltungsbranche langfristig cool (oder dope, tight, sick), relevant und letztlich finanziell überlebensfähig zu sein. Durch die Übernahme, die größtenteils in Vice-Anteilen abgewickelt worden ist, wird Vice Media mit vier Milliarden Dollar bewertet, beim Einstieg des Investors TPG Capital vor zwei Jahren sind es noch 5,7 Milliarden gewesen.

Frauen als Partyhäschen

Refinery29 richtete sich größtenteils über einen Newsletter an die treuen Leser. Im Frühjahr nach vier Entlassungswellen innerhalb von zwei Jahren hatte sich die Plattform eine Finanzspritze in Höhe von acht Millionen Dollar geholt, aus dem Umfeld ist zu hören gewesen, dass dem Unternehmen bald das Geld ausgehen würde und dass Mitarbeiter das Ende der Plattform befürchteten. Man könnte also auch sagen, dass da eine Firma mit Hammerproblemen ein Unternehmen mit krass uncoolen Finanzen übernimmt.

"Das ist ein wegweisender Tag für uns", sagt Vice-Geschäftsführerin Nancy Dubuc. Sie ist vor eineinhalb Jahren vom Kabelkanal A & E gewechselt, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass sie mit einer Axt durchs Unternehmen gegangen ist, das 1994 als Punk-Magazin im kanadischen Montréal begonnen und den digitalen Wandel vorangetrieben hat. Vor zehn Jahren begann die aggressive Expansion in verschiedenen Sparten wie Technik (Motherboard, 2010), Nachrichten (Vice News, 2013), Sport (Vice Sports, 2014) oder Videospiele (Vice Games, 2016), es gibt eine Werbeagentur, einen TV-Sender und eine Produktionsfirma.

Investoren wie Disney, 21 Century Fox und TPG Capital finanzierten das Wachstum, aus dem frischen Portal mit frechen Themen wurde ein Medienhaus mit mehr als 3000 Angestellten. Nur: Wer groß ist und Geld verdienen muss, der gilt als Mainstream. Die New York Times berichtete vor zwei Jahren zudem über mehrere Fälle sexueller Belästigung mit jeweils außergerichtlichen Einigungen, Angestellte erzählten von einer Firma, in der Frauen eher als Partyhäschen galten denn als ernst zu nehmende Mitarbeiterinnen.

"Mit diesem Zukauf weiten wir unsere Investitionen in hochwertige Inhalte aus"

Wie viel ist eine Firma wert, deren Alleinstellungsmerkmal die Coolness ist, die aber kein Geld verdient und zudem plötzlich als nicht mehr besonders cool gilt? Darüber debattierten selbst die eigenen Investoren, und es hat dazu geführt, dass zum Beispiel Disney seine Beteiligung an Vice (16 Prozent) als wertlos deklarierte und sein Anteile in der Quartalsbilanz als Abschreibung in Höhe von 353 Millionen aufführte. Nancy Dubuc sollte das Unternehmen konsolidieren (sie entließ mehr als zehn Prozent der Mitarbeiter) und eine neue Kultur etablieren, zudem versprach sie, Vice Media bis zum Ende dieses Jahres wieder profitabel werden zu lassen.

"Mit diesem Zukauf weiten wir unsere Investitionen in hochwertige Inhalte aus, über sämtliche Plattformen hinweg", sagt sie. In einem Memo an die Mitarbeiter, das der SZ vorliegt, schreibt sie: "Wir haben damit gerechnet, dass einige an alte Vice-Stereotype denken und fragen, wie die Jungs mit den Feministen von Refinery zusammenarbeiten können." Bereits vor dem Zukauf seien 50 Prozent der Vice-Mitarbeiter weiblich gewesen, nun würden mehr Frauen als Männer bei Vice arbeiten. Dubuc schreibt, schlimme Floskel: "Wir werden alle Geschlechter in all ihren schönen Formen feiern."

Die Video-Strategie funktionierte nicht

Das führt zu Refinery 29, das berühmt geworden ist mit Artikeln gegen Sexismus und Schönheitswahn. Die Themen waren gesellschaftlich relevant, über mehrere Finanzierungsrunden wurde das Unternehmen vor drei Jahren mit 500 Millionen Dollar bewertet. Es war jedoch nicht profitabel, und dann passierte, was vielen journalistischen Produkten im Internet passiert, wenn sie werbefinanziert sind und Geld verdienen müssen: Die Mitarbeiter veröffentlichten immer mehr Artikel mit leserlockenden Überschriften wie etwa Listen der reichsten Promis.

Die Videostrategie funktionierte nicht, die Plattform galt als eine von vielen, die sich dann doch nicht stark genug von anderen Angeboten abhob. Das Wachstum stagnierte, das Unternehmen war trotz eines Umsatzes von etwa 100 Millionen Dollar im vergangenen Jahr nicht profitabel. Seit 2017 gab es insgesamt vier Entlassungswellen, hochrangige Managerinnen wie Kate Hyatt und Ashley Miles verließen die Firma, es gab immer wieder Gerüchte über einen Verkauf, der nun endlich vollzogen ist. Nur: Können zwei Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten eine profitable Einheit ergeben? Das ist derzeit nicht abzusehen, es heißt, dass Geschäftsführerin Dubuc vor allem im administrativen Bereich sparen und Investitionen in kreative Inhalte ausweiten will.

Der Zusammenschluss gilt wie der Zukauf von New York Media durch Vox Media kürzlich als Reaktion darauf, dass mehr als 60 Prozent der digitalen Werbegelder an Google und Facebook fließen. "Es ist für mich eher ein Beweis dafür, dass dieses schnelle Freischalten von Inhalten, so cool es auch sein mag, finanziell nicht tragfähig ist", sagt Doug Rozen, Digitalchef bei der Werbeagentur 360i: "Gerade in schwierigen ökonomischen Zeiten gehen Werbetreibende eher zu verlässlicheren Angeboten." Die seien vielleicht nicht immer geil, fett, knorke, krass oder Hammer, aber langfristig doch ziemlich cool.

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