Süddeutsche Zeitung

Vertraulichkeit von Mailbox-Nachrichten:Bitte sprechen Sie nach dem Ton, Herr Präsident!

Eigentlich sind Mailbox-Nachrichten durch das Persönlichkeitsrecht davor geschützt, weiterverbreitet zu werden. Der Anrufer bestimmt selbst, wer von der Mitteilung erfahren soll. Handelt es dabei jedoch um den höchsten Mann im Staat, so liegt der Fall anders. Im Fall Wulff wiegt die Pressefreiheit schwerer.

Wolfgang Janisch

Der Parteivorsitzende war hörbar ungehalten. Gerade hatte ihm sein Generalsekretär am Telefon von einem Stern-Artikel über seine Führungsschwäche berichtet, es ging um seine noch offene Kanzlerkandidatur. Ein "Kampfblatt", schimpfte der Chef, die Mafia sei im Vergleich dazu eine ehrwürdige Organisation: "Die verkaufen ihre Mutter, wenn sie am Wochenende 5000 mehr Auflagen verkaufen können, so ist das."

Dass ein Parteichef so über die Presse spricht, wie es Helmut Kohl am 3. Oktober 1974 gegenüber Kurt Biedenkopf getan hatte, dürfte in der Politik nun wirklich nicht ungewöhnlich sein. Neu war jedoch, dass das Gespräch von einem Unbekannten heimlich abgehört wurde und später Wort für Wort im Stern nachzulesen war. Der Fall landete schließlich beim Bundesgerichtshof (BGH), der den Politikern 1978 Recht gab: Das Blatt hätte das vertrauliche Gespräch nicht veröffentlichen dürfen, denn auch Politiker genössen den Schutz ihrer Privatsphäre.

Dass man am Telefon seinem Ärger auch mal freien Lauf lassen dürfen muss, darauf hat kürzlich auch Christian Wulff vertraut, als er dem Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ein paar deutliche Worte auf die Mailbox sprach. Ganz sicher hat der BGH auch Bundespräsidenten gemeint, als er seinerzeit über Schutz vertraulicher Gespräche urteilte. Doch damit endet die Parallele zum historischen Fall: Kohl und Biedenkopf wurden illegal belauscht, Wulff dagegen wusste, dass am anderen Ende ein Band läuft - trotzdem soll er gedroht haben, nun sei "der Rubikon überschritten".

In der Waagschale: die Pressefreiheit

Allerdings sind Mailbox-Nachrichten durchaus gegen Weiterverbreitung geschützt. Ein Umstand, der sich bei unbedachten Anrufen beim ungeliebten Nachbarn oder Arbeitskollegen segensreich auswirken kann - zumal in Zeiten des Internets. Zwar greift hier, anders als bei Kohl und Biedenkopf, nicht der grundrechtliche Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Denn es schützt nur gegen Eingriffe in die Nachrichtenübermittlung, nicht aber gegen den Vertrauensmissbrauch durch den Gesprächspartner.

Stattdessen kommt das allgemeine Persönlichkeitsrecht zum Zug. Das ist zwar etwas schwächer ausgeprägt, aber im Grundsatz wappnet es die Vertraulichkeit privater Gespräche gegen unbefugte Ohren; und zwar nicht nur dann, wenn der Gesprächspartner heimlich mitschneidet, das wäre sogar strafbar. Geschützt sind zudem Gespräche, deren Inhalt gar nicht so persönlich sein muss: Denn wer telefoniert, darf selbst bestimmen, wer vom Inhalt des Gesprächs Kenntnis erlangt.

Das gilt, wie gesagt, im Prinzip, und das heißt: eher für den Normaltelefonierer. Geht es dagegen um den Mann, der das höchste Amt im Staate inne hat, noch dazu bei einem Vorgang, der ihn dieses Amt kosten könnte - dann liegt in der anderen Waagschale ein ziemliches Pfund: die Pressefreiheit. Dass sie am Ende das größere Gewicht hat, dürfte im Fall Wulff kaum einem Zweifel unterliegen. Schon deshalb, weil dahinter (anders als bei Kohl) keine illegale Abhöraktion stand, aber auch, weil nur der wesentliche Inhalt der Mailboxnachricht an die Öffentlichkeit drang, nicht dagegen der komplette Wortlaut.

Denn auch wenn der Stern seinerzeit beim BGH unterlag: Der Presse dürfe der Zugriff auf Informationen, die aus "Einbrüchen in die Vertraulichkeitssphäre" stammten, jedenfalls nicht rundweg verwehrt werden, entschied der BGH: "Absoluten Schutz kann das Recht der Persönlichkeit auch nicht vor Indiskretionen durch die Presse gewähren."

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SZ vom 03.01.2012/cag
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