"Verräterkinder" in der ARD:Neue alte Zeit

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Szene aus "Verräterkinder": Hans Coppi junior in den Armen seiner Großmutter, bei der er aufwuchs. Seine Eltern, Hans und Hilde Coppi, beide im Widerstand in der "Roten Kapelle", waren hingerichtet worden. (Foto: HR/Privatfoto)

Ein eindrucksvoller Dokumentarfilm in der ARD erzählt davon, wie die Kinder von Widerständlern in der deutschen Nachkriegszeit aufwuchsen - etwa bei den Großeltern, weil die Eltern hingerichtet worden waren. Und wie es um die Dankbarkeit für die Gegner des NS-Regimes oft bestellt war.

Von Claudia Tieschky

Es geschieht Mitte der 50er-Jahre während einer Gedenkfeier im Bendlerblock in Berlin. Man ehrt die Attentäter des 20. Juli 1944. Der Redner spricht vor Witwen von Stolz und Dankbarkeit der Bundesrepublik gegenüber diesen Männern, die sich Adolf Hitler entgegenstellten. Dann der Eklat. Eine junge Frau verlässt unter lautem Schimpfen den Ort. Denn in Wahrheit ist es so: Die versammelten Witwen müssen um Renten und Entschädigung prozessieren, ihre Vermögen hatten die Nazis eingezogen, viele stehen mit ihren Kindern völlig mittellos da. Was die Tochter des in Plötzensee hingerichteten Hans Georg Klamroth an diesem Tag aus dem Saal treibt, ist ein unbändiger Zorn.

Die junge Frau wird dann Fernsehjournalistin und berühmt. Wibke Bruhns, geborene Klamroth, beschreibt die Szene in ihren Memoiren. Sie ist aufgewachsen als "Verräterkind"; mit diesem Stigma lebten die Waisen der Widerständler auch nach 1945 als Außenseiter in der neuen Zeit, in der die Menschen so neu nicht waren.

In der ARD gibt es nun einen eindrucksvollen Film über diese Schicksale - gedreht hat ihn Christian Weisenborn, der weiß, wovon er spricht: Sein Vater war Mitglied des Anti-Hitler-Netzwerks "Rote Kapelle" und kam nur durch Freunde aus der Haft frei. "Waren meine Eltern Spione, Verräter?", fragte sich Weisenborn, als er klein war.

"Verräterkinder" ist ein Wort, das eigentlich schon alles darüber sagt, wie es um Stolz und Dankbarkeit gegenüber den Familien in Wahrheit meist bestellt war - wie ungebrochen Wertesysteme den Krieg überdauerten.

Besonders interessiert hat Weisenborn die Art und Weise, wie die Rote Kapelle in Ostdeutschland verklärt wurde - während der Westen die Nazi-Propaganda von der Gruppe als Sowjetspione schluckte, gefüttert ausgerechnet von einem Mann, der für Todesurteile verantwortlich gewesen war.

Dezente Nähe zu den Protagonisten

Der frühere Kriegsrichter Manfred Roeder trat bei den Nürnberger Prozessen als Zeuge auf und wechselte so relativ leicht in die neue Zeit, auch als Deuter der alten war er gefragt. Noch 1968 brachte der Spiegel eine Serie über den "Spionagering Rote Kapelle". 2009 hob der Bundestag die NS-Todesurteile gegen die Mitglieder auf.

Weisenborns Film schafft neben der Analyse dezent Nähe zu seinen Protagonisten. Axel Smend und Alfred von Hofacker sind darunter, deren Väter nach dem 20. Juli gehenkt wurden. Saskia von Brockdorff verlor als kleines Mädchen ihre Mutter, die in der Roten Kapelle gegen die Nazis arbeitete und 1943 enthauptet wurde.

Hans Coppi junior blieb ohne Vater und Mutter zurück und misstraute als Kind zutiefst der Vereinnahmung der Roten Kapelle - und damit auch seiner eigenen Person - durch die offizielle DDR. Fast alle kämpften mit Wut auf die Eltern.

Alfred von Hofacker stellt fest, dass sein Vater zwar Widerständler, aber zuvor glühender Nazi war. Filmemacher Weisenborn hätte sich auch darauf verlegen können, das gesellschaftliche Klima in Deutschland West stärker zu untersuchen, in dem diese Familien angefeindet ums finanzielle Überleben kämpfen mussten, während unzählige NS-Täter gut lebten. Im Schicksal der "Verräterkinder" steckt aber auch so die ganze Irritation, die das Deutschland der 50er-Jahre heute noch auslöst.

Verräterkinder - Die Töchter und Söhne des Widerstands , ARD, 23.30 Uhr.

© SZ vom 14.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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