Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet:E wie "Escort", K wie "Kampf gegen Google"
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Bettina Wulff reicht bei Gericht eine Liste von Begriffen ein, welche die Suchmaschine nicht mehr automatisch mit ihrem Namen verbinden soll. Sie wehrt sich gegen Verleumdung, und ihre Anwälte klagen nicht nur auf Unterlassung - sie werfen dem Webdienst sogar Mittäterschaft vor.
Hans Leyendecker
Wenn Bettina Wulff ihren Namen bei Google eintippt, werden ihr auch die Begriffe "Escort" und "Prostituierte" angeboten. Bei zusätzlicher Eingabe eines Buchstabens werden die Begrifflichkeiten dann noch einmal verfeinert: Bei "B" erscheint "Bettina Wulff Bordell". Bei "C" kann sie wählen zwischen einem Puff namens "Château Osnabrück" und einem "Château am Schwanensee", wo sie angeblich gearbeitet haben soll. "P" führt zu "Bettina Wulff Prostitution ", und "Playboy". "L" steht für "Lady Viktoria" oder "Lebenslauf Escort". "N" für "Nylon", "Netzstrümpfe", "Nachtclub". "R" für "Rotlicht", "Regierung Prostituierte" und "M" für "Bettina Wulff Matratze".
Seit mehr als zwei Jahren verbreiten Portale im Internet die Verleumdung, die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten sei in ihrem früheren Leben Prostituierte gewesen - alles frei erfunden. Die meisten der Lügengeschichten sind dennoch über Google nachzulesen.
Ende voriger Woche hat Wulffs Anwalt Gernot Lehr wegen "Unterlassung falscher Tatsachenbehauptungen" Klage gegen den Suchmaschinendienst Google bei der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg eingereicht. Beigefügt ist eine Liste mit den beanstandeten Begriffskombinationen - von "A" (Artemis Chateau) bis "W" (Wildes Vorleben). Ziel der Klage ist, dass die Suchmaschine den Namen der 38-Jährigen nicht mehr mit anstößigen Suchwörtern kombiniert und den Leser nicht mehr auf rechtswidrige Inhalte lenkt. Die Wulff-Anwälte lassen außerdem prüfen, ob sich Google durch das digitale Angebot der Begriffskombinationen der Mittäterschaft nach Paragraf 830 des Bürgerlichen Gesetzbuches schuldig macht.
Juristische Trophäen
Der Fachbegriff für diese spezielle Suchfunktion heißt "Autocomplete" oder "Autovervollständigung". Ein Algorithmus orientiert sich vor allem an den bisherigen Nutzeranfragen. Begriffe, die von den Nutzern am meisten eingegeben werden, erscheinen automatisch an oberster Stelle. "Google schlägt diese Begriffe nicht selbst vor", betonte ein Sprecher des Konzerns am Wochenende. Wulff verlangt, dreckige Begriffskombinationen von diesem Automatismus auszuschließen. Technisch sei das möglich, argumentieren die Wulff-Anwälte. Etwa bei Kinderpornografie filtert der Konzern vor.
Bettina Wulff gegen Google - das ist eine Auseinandersetzung zwischen der einstigen First Lady der Republik und einem Weltkonzern, der eigene Regeln hat. "Google kann und darf nicht als Zensor im Internet" auftreten, hat ein deutscher Google-Anwalt in der Sache Wulff im Juli in einem Schriftsatz erklärt.
Vierunddreißig Unterlassungsverpflichtungserklärungen hat Bettina Wulff seit dem Abschied ihres Mannes aus dem Präsidentenamt im Februar dieses Jahres gesammelt. Juristische Trophäen. Manchmal mussten die Wulff-Anwälte gar nicht vor Gericht ziehen: "Ich habe die relevanten Seiten geprüft und entsprechend aus unserem Blogverzeichnis entfernt. Ebenso habe ich entsprechende Keyword-Kombinationen in unsere Blacklist aufgenommen", schrieb ein Blogger. Die Sache war damit erledigt.
Im Fall Google geht es vor allem darum, was der Konzern will und was er nicht will. In den vergangenen Monaten haben die Wulff-Anwälte bereits mit Google-Anwälten über die Behandlung der Autovervollständigung gesprochen. Die Standardantwort von Google lautet, dass man aus grundsätzlichen Erwägungen und zur Vermeidung des Vorwurfs der Zensur den Automatismus nicht stoppen dürfe.
Immer wieder muss sich Google mit Klagen gegen solche Wortkombinationen auseinandersetzen. In Japan, Frankreich und Italien gab es Urteile gegen die Autocomplete-Funktion. Spektakulär war ein Fall in Paris. Vier französische Menschenrechtsorganisationen hatten Google des "latenten Antisemitismus" bezichtigt, weil bei der Suche nach Prominenten wie dem französischen Präsidenten "Hollande" in dem Suchfeld als erste Ergänzungsmöglichkeit "juif" auftauchte - Jude.
Ein Anwalt von SOS Racisme sah darin die Gefahr, dass antisemitische Ressentiments geschürt würden. Google lehnte jede "ideologische Verantwortung" ab und berief sich auf Mathematik. Am Ende wurde ein Vergleich geschlossen. 2009 musste Google-Frankreich den Algorithmus im Fall eines Energiekonzerns ändern, weil die Suchvervollständigung hinter den Firmennamen des Energieanbieters Direct Energie das Wort "Nepp" gesetzt hatte. Ein Japaner konnte sich erfolgreich dagegen wehren, dass durch Autocomplete sein Name mit Verbrechen in Verbindung gebracht wurde, die er nicht begangen hatte.
Nach eigenen Angaben hat Google in Deutschland bisher fünf Verfahren wegen der Autocomplete-Funktion gewonnen. Bei der 24. Zivilkammer in Hamburg, wo auch der Wulff-Fall landete, soll Ende September der Fall des ehemaligen Präsidenten des Weltmotorsportverbandes FIA, Max Mosley, verhandelt werden. Mosley will erreichen, dass alle intimen Fotos einer Sexparty, an der er vor etlichen Jahren teilnahm, aus dem Netz verschwinden. Ein kleiner Unterschied zum Fall Wulff: Die Bilder verletzen Mosleys Intimität und seine Persönlichkeitsrechte, aber sie sind echt; die Gerüchte im Fall Wulff sind unwahr.
Gelöscht - und schon wieder da
Mosleys Anwälte mühen sich weltweit, die intimen Bilder zu löschen, aber oft sind die Betreiber der Webseiten nicht ausfindig zu machen. Und wenn Bilder nach erfolgreichen Klagen vor Gericht endlich gelöscht werden, tauchen sie oft anderswo wieder auf. Mosley, der in Deutschland von der Hamburger Anwältin Tanja Irion vertreten wird, hat Zeit und Geld für den Kampf gegen den Weltkonzern. Hat Bettina Wulff das auch?
Ihr Anwalt Lehr weist darauf hin, dass viele der rechtlich Verantwortlich nicht aufzufinden sind oder in Deutschland nicht belangt werden können. Die meisten der "massiven Ehrverletzungen" würden im Ausland ins Internet gestellt. Zehn Beiträge in Sachen Bettina Wulff hat der Konzern bislang nach Beanstandungen der Anwälte Wulffs aus der Ergebnisliste der deutschen Websuche unter www.google.de entfernt. Mehr als fünfzig Beiträge wollten Bettina Wulffs Anwälte löschen lassen und diese fünfzig waren eigentlich erst der Anfang.
Wer sich, wie Bettina Wulff, gegen digitales Unrecht wehrt, wird in der Hardcore-Szene der Internetgemeinde verspottet. Auf Twitter wurde am Wochenende über die Frau gejuxt, die nicht verstanden habe, wie das Internet so beschaffen sei.