Süddeutsche Zeitung

Verlage im Streit mit Google:Peinliches Ende des Leistungsschutz-Dramas

Dass die VG Media sich dem Druck von Google beugen musste, war abzusehen. Nur für Springer ist der Streit nicht vorbei. Der Fall zeigt die Unvereinbarkeit zweier Welten.

Von Johannes Boie

Die kleine VG Media ist beleidigt und möchte nicht mehr mitspielen. Selten hat man eine dermaßen trotzige Pressemitteilung gelesen wie von dieser Verwertungsgesellschaft: "gegen ihren Willen" sehen sich jene zwölf Verleger, die sich in ihr organisiert haben, gezwungen, Google eine "Gratiseinwilligung" zu erklären. Was um alles in der Welt bedeutet dieser komplizierte Satz und woher kommt der trotzige Tonfall in der Erklärung?

Der Satz markiert das vorläufige Ende des Versuchs zahlreicher deutscher Verleger, Google zur Kasse zu bitten. Dieser Versuch gestaltete sich über Jahre wie ein bundes- und medienpolitisches Drama. Mitgewirkt haben neben Google und den Verlegern, die von Axel Springer aus Berlin angeführt wurden, auch zahlreiche deutsche Politiker, die Ende August 2012 ein Gesetz nach den Wünschen der Verleger verabschiedeten. Dessen Sinnhaftigkeit stand bereits damals schwer in Frage. So gesehen war das Drama eine Komödie.

Die Snippets helfen Google, aber auch den Verlagen

Das Gesetz, bekannt als Leistungsschutzrecht für Presseverleger, sieht vor, dass Google den Verlagen für kleine Textausschnitte Geld überweisen muss. Diese kleinen Textausschnitte, auch "Snippets" genannt, nutzt Google aber vor allem auf seiner Seite Google News, von der wiederum viele, viele Leser auf die Webseiten der Verlage gelangen. Die Snippets helfen also einerseits Google, eine interessante Nachrichtenübersicht zu schaffen, sie helfen aber auch den Verlagen, weil die auf diese Weise mehr Leser bekommen. Außerdem hatten und haben alle Verlage die Möglichkeit, Google mitzuteilen, dass ihre Nachrichten nicht aufgelistet werden sollen. Warum sollte Google (oder andere Suchmaschinen, für die das Gesetz auch gilt), dann den Verlagen auch noch Geld überweisen?

Diese Einsicht hat nun die Verlage der VG Media ereilt, sie erteilen als Google die "Gratiseinwilligung", genauer eine "widerrufliche Gratiseinwilligung". Mit Ausnahme mancher Nachrichtenportale des Axel Springer-Verlags: welt.de, computerbild.de, sportbild.de und autobild.de. Der Verlag möchte weiter kämpfen.

Das Drama endet so, wie es angefangen hat

Kann man Springer das vorwerfen? Nein, der Verlag wendet nur exakt jene Taktik an, mit der im digitalen Wandel viele Startups und Netzgiganten, Kasse machen, darunter auch Google: Gucken, was geht. Es kann dann halt nur peinlich ausgehen, denn mit der "widerruflichen Gratiseinwilligung" endet das Drama exakt so, wie es angefangen hat. Die Verlage machen ihre Nachrichten, Google verlinkt darauf und nutzt dafür Bildausschnitte und kleine Snippets. Geld fließt keines.

So musste es kommen, denn Google hatte angekündigt, kein Geld für Snippets zu bezahlen, Gesetz hin oder her, eher würde man auf die Internetseiten der Verlage nicht länger verlinken. Das wiederum kann sich möglicherweise Axel Springer mit einem Teil seiner Internetangebote leisten, aber kaum ein anderer Verlag.

Der Streit ist nicht nur wegen seines kuriosen Endpunktes so interessant, sondern auch, weil er exemplarisch ist für Konflikte, die zwischen den neuen, digitalen Playern wie Google und althergebrachten Branchen entstehen, die unter massivem Druck ihre Geschäftsmodelle neu justieren müssen. Dabei zeigt jeder Akteur, was er kann.

Die Presseverleger lobbyierten in Berlin, bis ein Gesetz zustande kam, auf dessen Anwendung sie nun selbst verzichten. Dabei konnten sie zur Hälfte auf das angekratzte Image bauen, das sich Google in Deutschland bei Themen wie Datenschutz, Transparenz und Marktmacht erworben hat. Die andere Hälfte dürfte ohnehin existierendes Misstrauen vor amerikanischen Unternehmen gewesen sein, die mit nur schwer verständlichen Geschäftsmodellen ganze Märkte aufrollen und mit Produkten wie selbstfahrenden Autos und digitalen Brillen viele Menschen verunsichern.

Google schaltet ganzseitige Anzeigen in Zeitungen

So konnte das Narrativ entstehen: Wenn die Verlage immer weniger Umsatz machen und Google, zumal auch irgendwie mit Nachrichten, immer mehr, wäre es dann nicht fair, wenn der Neue den Alten etwas abgeben muss?

Google wiederum demütigte die Verlage, in dem die PR-Abteilung in ganzseitigen Anzeigen gegen das Leistungsschutzrecht hetzte, Anzeigen, die auch in den Zeitungen jener Verlage geschaltet wurden, deren Verleger für das Gesetz eintraten. Eine Zeitungsseite Werbung ist ganz schön viel Geld für einen darbenden Verlag. Für Google ist es ein gelungener Witz.

Die Netzgemeinde lacht

Als Chor verdingte sich in der Komödie ein Teil der Netzgemeinde, der zeitweise sämtliche Redaktionen und Zeitungen über einen Kamm scherte, auch solche, in denen gegen das Leistungsschutzrecht kommentiert wurde und auch jene Verlage, die nicht in der VG Media organisiert sind. (Dazu gehört auch der Süddeutsche Verlag, in dem die Süddeutsche Zeitung erscheint.)

Gelacht wird auch jetzt wieder im Netz. Erdacht vom ehemaligen zeit.de-Chefredakteur Wolfgang Blau, der sich den deutschen Wahnsinn von seinem Londoner Büro beim Guardian aus ansieht, hat sich der Hashtag #widerrufliche_Gratiseinwilligung etabliert. Nutzer erteilen eine solche jetzt dem britischen Regen (darf regnen), der NSA (darf abhören) und heißem Kaffee (darf heiß sein). Auch wer keinen Schaden hat, muss in diesem Stück viel Spott ertragen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2189384
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.10.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.