Ende der Staumeldungen im DLF:Ode an Efze

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Stau, das sind heute "diese roten Würmchen bei Google Maps", sagt die Deutschlandfunk-Korrespondentin Barbara Schmidt-Mattern etwas wehmütig. (Foto: Annette Riedl/dpa)

Der Deutschlandfunk stellt seine Verkehrsnachrichten ein. Das hat Sinn und tut doch weh. Ein Abschied in Trauer von Bad Kissingen-Oberthulba, Würzburg-Randesacker und auch, ja, doch: Lotte/Osnabrück.

Von Cornelius Pollmer

Dies ist ein Nekrolog, denn wir nehmen Abschied in Trauer von Lederhose. Nach einem Herzsprung ist ihr Alleringersleben erloschen. Wir behalten sie in genauso liebevoller Erinnerung wie das Mörsenbroicher Ei, die Raststätte Hösel sowie die Anschlussstellen Sprockhövel und Bessenbach/Waldaschaff. Auch ihre Beisetzung fand bereits am Freitag im engsten Hörerkreis des Deutschlandfunks statt, um 23:10 Uhr liefen dort zum letzten Mal überhaupt die Verkehrsnachrichten. Irgendwo auf Würzburg-Randersacker, in Sulzemoos oder in der Ahlhorner Heide steht jetzt also ein stummes Schkeuditzer Kreuz und davor, in einem Wiesloch, liegen einige der anmutigsten Miniaturen, die im Radio je gesprochen wurden. Bad Kissingen-Oberthulba, Rheda-Wiedenbrück, Bad Brückenau-Wildflecken. Köln-Klettenberg. Auch, ja, doch: Lotte/Osnabrück. Sie alle sitzen entweder bereits zur Rechten Gottes oder aber sie stecken auf dem Weg dorthin noch fest, zwischen Ostwestfalen-Lippe und Herford/Bad Salzuflen zum Beispiel, in einem der Staus ab drei Kilometern Länge.

Am 25. März 1964 hatte der Deutschlandfunk erstmals Verkehrsstörungen durchgesagt, als erster hiesiger Radiosender überhaupt. Und jedem Menschen mit geistigen Sichtweiten nicht unter 50 Meter ist sofort klar, warum der DLF diesen Dienst jetzt einstellt - und was ihm wie seinem Publikum damit verloren geht.

Zunächst zum Verlust und damit zu dem Künstler Carsten Schneider, der unter dem sehr schönen Titel "Die Gefahren eines Jahres im Deutschlandfunk" eine zauberhafte Collage erarbeitet hat, die der DLF an diesem Samstag sendet und die zuvor bereits mit dem Karl-Sczuka-Förderpreis (Donaueschingen 2018) bedacht worden ist, wie Schneider auf seiner Webseite garantiert nicht aus Eitelkeit erwähnt. "Ich verehre den Deutschlandfunk - ich dekonstruiere den Deutschlandfunk", schreibt Schneider dort ebenfalls, und es ist ein großes Glück, dass er beim Dekonstruieren nicht aufgehört, sondern die Schnipsel zu einem Hörspiel neu zusammengesetzt hat.

Wochentags 37-mal, an Samstagen 27-, an Sonntagen 26-mal sendete der DLF Verkehrshinweise. Machte 238 Mal in der Woche, 12 350 Mal im Jahr. Ausgehend von durchschnittlich acht Gefahrenmeldungen pro Sendung hat Carsten Schneider eine Jahreszahl von fast 100 000 Gefahren errechnet und in 40 Minuten Ehrerbietung verdichtet. Diese beginnt mit einem polyphonen Einatmen der Sprecher, gefolgt von einem schmatzend gesampelten Auftakt ("Willkommen zur Gefahr in Deutschland") und einem fast unglaublichen Alphabet verlorener Ladung. Es gab und gibt immer wieder also Gefahr durch Auspufftöpfe auf allen Fahrstreifen, durch Dämmlatten und Fernseher, Kabeltrommeln und Wäschesäcke. Der DLF musste schon Regale und Sitzbänke und allen sonstigen Hausrat vermelden, für fast jeden Buchstaben gibt es einen ganzen Laster voll Warnungen. Willkürlich und unvollständig ausgewählt kann allein der Anfangsbuchstabe B einem folgenden Ärger machen: Besen, Betonkübel, Bierkasten, Blecheimer, Blumenkübel, Brecheisen, Bremskeil, Bremsscheibe.

Tiere gingen natürlich auch und besonders im Verkehrsfunk immer, von Hunden bis zu Wild wurde dabei stets nach Art kleiner Kinder gezählt, eins, zwei, "mehrere". Besonders besorgt zeigten sich die Sprecherinnen und Sprecher oft dann, wenn "eine Entenfamilie über die Fahrbahn" lief, eine Bevorzugung, die unter den Tieren des Waldes nicht immer Zustimmung fand, womit die Namensgebung des Rastplatzes Entenfang allerdings in keinem nachweislichen Zusammenhang steht.

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In mindestens einem anderen Fall schien der DLF in seiner unermesslichen Sorgfalt sogar die Routenplanung einiger Tiere recherchiert zu haben, wie sonst hätte sich die Meldung erklären lassen, der zufolge "zwischen Herzebrock-Clarholz und Oelde Gefahr" bestand "durch eine Herde ausgebrochener Lamas, die in Richtung Autobahn unterwegs sind"?

"Mit diesen Verkehrsmeldungen konnte man ganz hervorragend Zeiten ausgleichen, um Sendungen passend zu machen." Gerd Daaßen, DLF-Chefsprecher

Noch menschlicher als die Tiere handelte natürlich stets das Sprecherensemble selbst, auch dies hat Carsten Schneider in seinem Hörspiel wunderbar berücksichtigt. So gibt er die Überraschung in Stimmen wieder, wenn mal wieder "ein Schuh", "ein Eimer" oder "eine Radzierblende" zu vermelden waren, wenn es also konkret gegenständlich wurde und der Text bei nicht näher bestimmten herumliegenden Eisen- oder Fahrzeugteilen im Vagen blieb. Menschlichkeit wurde zudem in den Versprechern hörbar, wenn etwa Diensthabende ihren Sender "Deutschland-Funk" nannten, Funk im Sinne von James Brown. Auch freudsch wurde das Versprechen zuweilen, und nicht allein in der zur "Verkehrsleere" werdenden Verkehrslage.

Nun also ist sie tatsächlich eingetreten, die Verkehrsleere im Programm. Und von welcher Sentimentalität dieses Ende ist, klingt in fast jedem der Sätze Gerd Daaßens mit, dem Chefsprecher des Deutschlandfunks. "Nachrichten, Verkehr, Sendung - so sind doch viele Menschen sozialisiert!", sagt er am Telefon und schiebt gleich hinterher, dass der Verkehr auch aus ganz praktischen Gründen hilfreich war, denn "mit diesen Verkehrsmeldungen, die meistens in Überzahl vorliegen, konnte man in einem linearen Nachrichtenprogramm ganz hervorragend Zeiten ausgleichen, um Sendungen passend zu machen". Bei manchen Kollegen firmierte der Verkehr als "Programmkitt", und dem engsten Hörerkreis sei jetzt schon angekündigt, dass DLF-Sendungen in Zukunft häufiger mit Musik als mit Worten enden werden, um zum Ende einer halben oder vollen Stunde auszugleichen, was zu deren Anfang fortan nicht mehr über den Verkehr gesteuert werden kann.

Daaßen sagt fast wie ein Bundesradiopräsident, alle Ortsnamen seien ihm immer gleich genehm und wichtig gewesen, da habe es keine Vorlieben gegeben, aber wenn er noch eine Botschaft weitergeben darf, dann die von Neckarsulm. Bei jedem Neuling im Radio sei das am Mikro zunächst schiefgegangen. Gerd Daaßen sagt deswegen, ein für alle Mal: "Die Stadt liegt am Zusammenfluss von Neckar und Sulm und deswegen heißt sie ,Neckar-Sulm'."

Noch etwas wehmütiger klingt die Korrespondentin Barbara Schmidt-Mattern am Telefon, die wie alle das Warum der Abschaffung beantworten kann, dies aber schöner als die meisten anderen tut. Stau, das sind heute "diese roten Würmchen bei Google Maps", sagt Schmidt-Mattern, sie ist von der Änderung im Programmablauf beruflich betroffen, aber auch privat. Für Radioleute war der Stau oft eine Art Insel vor der Schalte, "gefühlt war das eine Art Zeitgewinn: Ah, jetzt erst noch der Verkehr!". Privat ging es Barbara Schmidt-Mattern wiederum so, "dass ich da auch mal die Zeitung hochholen oder die elektrische Zahnbürste einschalten konnte".

In einem Feature aus dem Jahr 1987, als man auch schon auf der A 7 von Fulda in Richtung Kassel zwischen Homberg/Efze und Melsungen im Strahl speien konnte, entschuldigte sich der DLF einmal bei seinen Hörern für die Verkehrsmeldungen und speziell deren "sprachliche Ästhetik". Die Information müsse bezogen auf diese stets Vorrang haben. So richtig das für den größten Teil des DLF-Programms zum Glück noch immer ist, so richtig hätte das Gegenteil in Bezug auf seine Verkehrsmeldungen in Zukunft sein können. Die Arbeitszeit, das Programm, das Privatleben, alles verdichtet sich immer weiter. Die Verkehrsnachrichten waren da eine Chance, innerlich durchzuatmen - und sie waren, by the highway, ein Ort ausgleichender Aufmerksamkeit für den ländlichen Raum. Während sich in den Nachrichten alle immer streiten in Paris, Berlin und Washington, schwenkte das Spotlight im Verkehr schon mal auf die Gotteswinkel zwischen Zweibrücken-Ernstweiler und Einöd.

Keine Bergungsarbeiten mehr, keine Nebelbänke, kein Verzögerungsstreifen. Vorbei ist's auch mit den gelegentlichen Reimen, den vierblättrigen Kleeblättern des Verkehrsfunks: "Zwischen Scharbeutz und Ratekau - sechs Kilometer Stau." Die Hoffnung besteht, dass das alles wenigstens gut archiviert worden ist von einer Art digitalem Doktor Murke, wie ihn Heinrich Böll einst erfand, um das "gesammelte Schweigen" des Radios zu schneiden und zu würdigen.

Und hier noch einmal die Zusammenfassung: Es liegen keine weiteren Störungen vor. Leider.

© SZ vom 01.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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