An jenem Abend, als uniformierte Polizisten das Verlagshaus des Spiegel stürmten, und der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß im Oktober 1962 den bis heute größten Presseskandal der bundesdeutschen Geschichte auslöste, soll es bei Rudolf Augstein Moselwein zum Abendessen gegeben haben. Augstein hatte Hans Detlev Becker, den Verlagsdirektor, zu sich nach Hause eingeladen, als seine Redaktionsräume durchsucht wurden. Gegen den Spiegel wurde wegen Landesverrats ermittelt, nachdem in der Titelgeschichte "Bedingt abwehrbereit" über sicherheitspolitische Mängel bei der Bundeswehr berichtet worden war. Kurz darauf wird Augstein in Untersuchungshaft genommen werden.
An einem kühlen Frühlingsabend gut 50 Jahre später steht Johann von Bülow in Hamburg vor einem roten Backsteingebäude und lässt sich den angeklebten Schnurrbart zurechtdrücken. Ein paar Stunden wird es noch dauern, bis ein falscher Siegfried Buback die teuer gemieteten Polizeiautos vorfahren lässt, um die Stürmung des als Pressehaus verkleideten Baus zu beobachten. Bis dahin wird Johann von Bülow noch ein paar Mal den Dialog mit dem von Augstein zu Scholle und Spinat versprochenen Wein aufsagen.
Johann von Bülow, 40, spielt in der ARD-Verfilmung der Spiegel-Affäre Hans Detlev Becker, jenen Moselgast, der kurz nach der Polizeiaktion des von Alexander Held gespielten Buback vor die Spiegel-Belegschaft trat und sagte: "Die Dinge gehen uns zu langsam." Zu wenige Beamte seien es, von denen die Räume durchsucht würden. Das gehe einfach zu langsam, man müsse ja arbeiten. Wie langsam es am Ende wirklich gehen sollte, ahnte er nicht. 103 Tage blieb Augstein in Untersuchungshaft, bei Becker war es etwa ein Monat.
Fester Platz des zweiten Mannes
Die Rolle des Hans Detlev Becker, des Mannes an Augsteins Seite, könnte typischer nicht sein für den Schauspieler Johann von Bülow, der sich im deutschen Fernsehen den festen Platz des zweiten Mannes erarbeitet hat. Er war in unzähligen Tatorten zu sehen (aber nie als Kommissar), in dem Grimme-Preis-Krimi In aller Stille spielte er den Ermittlungsleiter, der nur dazu beiträgt, dass Nina Kunzendorf das Verschwinden eines kleinen Jungen aufklären kann. In der Guttenberg-Parodie Der Minister spielte er den besten Freund und Ghostwriter des Plagiatspolitikers. "Präsente Nebenrollen" nennt er das, im Minister war er sogar sehr präsent. Und er sagt, dass er wirklich froh ist, in keiner Vorabendserie mehr den dritten Verdächtigen von links spielen zu müssen.
Im deutschen Fernsehen verlaufen klare Grenzen. Zwischen den Schauspielern, die Stars sind, also in Filmen um 20.15 Uhr Morde aufklären, vor den Nazis fliehen und familiäre Schicksalschläge verarbeiten. Und denen, die auch Morde aufklären, aber um 18 Uhr, und die, mit Verlaub, schon niemand mehr mit ganzem Namen kennt, auch nicht, wenn sie in den Filmen der Stars als Verdächtige auftreten. Charakterdarsteller, die in Nebenrollen auffallen, sind keine sehr große Gruppe. Was auch ein Grund sein dürfte, dass Johann von Bülow in seiner Nische gut im Geschäft ist.
Wer Johann von Bülow trifft, am Set von Der Minister, zu Interviews in Berlin und Hamburg, vor dem Haus mit dem Spiegel-Schriftzug, der lernt einen Schauspieler kennen, der seine Rolle im deutschen Filmgeschäft gut einschätzen kann. Und nicht jammert. Er sagt: "Schlimm finde ich, wenn Schauspieler ihr Beleidigtsein darüber, dass sie nur drei Drehtage haben, in die Rolle mit hinein nehmen. Das, was man dreht, sollte man möglichst gut machen."
Johann von Bülow, rotblond, freundlich, eher zurückhaltend, hat sich mit dem zweiten Mann längst gut angefreundet, und im Grunde hat ihn das Schauspielerleben darauf ja auch vorbereitet. Als Abiturient aus dem Münchner Speckgürtel und nur ganz entfernt mit Loriot verwandt, bewarb er sich an der Otto-Falckenberg-Schule in München - und eigentlich wollte man ihn dort nicht, weil die lieber "Leute mit gebrochenen Biografien" wollten, was er nun gerade nicht zu bieten hatte. Sie nahmen ihn dann trotzdem, aber gerade anfangs hatte er zu kämpfen.
Noch während der Schauspielschule spielte er eine präsente Nebenrolle in Hans-Christian Schmids wunderbarem Coming-of-Age-Film Nach fünf im Urwald, und danach, sagt er, habe er viele Möglichkeiten gehabt zu drehen. Wollte er aber nicht. Er wollte ja Theaterschauspieler werden, die Kammerspiele bewunderte er so sehr. Er ging nach Mainz ("ich wäre lieber an einem größeren Haus gelandet"), später nach Leipzig und Bochum und lernte, dass ihm die Sicherheit eines festen Engagements nicht gab, was er suchte. Er machte sich selbständig. Und brauchte eine Weile, um sich wieder nach vorne zu drehen.
Den ersten Mann in der Spiegel-Affäre, Rudolf Augstein also, spielt der Theatermann Sebastian Rudolph, keine klassische 20.15-Uhr-Besetzung. In der Szene dieser langen Drehnacht, dem Moment vor dem Polizeieinsatz, gehen Augstein und Becker zum Auto und sprechen auch darüber, wie still alles sei, wo doch die Kubakrise gerade die Welt gefährdet. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Johann von Bülow sagt über Hans Detlev Becker, er solle damals "ein ziemlicher Haudegen" gewesen sein, "der schneidige Cowboy". Er versuche sich an Becker "etwas herrenhaft mit Schnauzer und Einstecktuch", und er hoffe, dass das nicht so weit weg ist. Es ist ein eher intellektueller Zugang, mit dem sich Johann von Bülow seinen Figuren nähert, er liest viel, sieht viel, weiß viel. Spricht man mit ihm, zitiert er Colin Firth, Christoph Waltz, Filme, Bücher, alles. Man müsse seine "Phantasie anfüllen", sagt er. Aber nicht, um Dinge möglichst exakt abzubilden. Es sei eher eine Atmosphäre, die man sich schafft.
Jetzt ist die Spiegel-Affäre natürlich erst 50 Jahre her, und auch wenn weder Augstein noch Strauß heute noch leben, ist es doch ein von Bescheidwissern begleitetes Projekt. Am Set in Hamburg jedenfalls steht, mit Baseballkappe und Familie, Stefan Aust, bis 2008 Chefredakteur des Spiegel, er berät den Film von Produzentin Gabriela Sperl und Regisseur Roland Suso Richter. Neben ihm, mit Kapuze, hat sich Gisela Stelly postiert, die Exfrau von Augstein. Einen gewissen Charme hat dieses Bild natürlich schon, schließlich hat Gisela Stelly erst ein paar Tage zuvor dem Hamburger Abendblatt zu Protokoll gegeben, dass der Spiegel nach dem Rauswurf von Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron am besten Stefan Aust für den Posten zurückholen sollte. Zu all diesen Dingen sagt Aust natürlich nichts, was man in die Zeitung schreiben dürfte.
Wochen der Personalienerregung
Trotzdem passt der ARD-Dreh hervorragend in diese Wochen der Personalienerregung. Auch die hier zum Fernsehfilm gemachte Affäre hat zur großen Bedeutung des Hamburger Magazins beigetragen, und nur mit der lässt sich wiederum erklären, warum die Nachrichtenagenturen ein paar Stunden nach Drehschluss in Hamburg alarmgelbe Eilmeldungen verschicken werden, weil der Spiegel nun doch noch einen neuen Chefredakteur gefunden hat, der nicht Stefan Aust heißt.
Der Film über die Spiegel-Affäre ist nicht nur eine historische Erzählung über Politik, Presse und Macht, darüber, wie unversöhnlich sich die Lager in der noch jungen Bundesrepublik gegenüberstanden. Es ist auch das Dekor einer Zeit, die Johann von Bülow damit beschreibt, dass Frauen damals noch Sekretärinnen waren, und die Männer ihnen auf den Hintern klopften. Er, der zweite Mann, ist jetzt der Cowboy mit dem Einstecktuch.