Tödliche Schießerei in den USA. Klingt dieser Satz für Sie vollständig? Oder haben Sie, sehr geehrter Leser, das Gefühl, dass hier etwas fehlt? Müsste es nicht eigentlich heißen: Schon wieder eine tödliche Schießerei in den USA. Das wäre doch angemessener, oder? Passiert ja ständig.
Wir haben uns lange schon daran gewöhnt, auch im Fernsehen mit dem Tod konfrontiert zu werden. Doch solche Schocks, die die Medien mit ikonografischer Verdichtung ins Bild setzen, nicht immer, aber oft ins Bild setzen müssen, der 11. September 2001 als alle Dimensionen sprengendes Beispiel, werden durch die unablässige Wiederholung entschärft. Die serielle Gleichförmigkeit des Schreckens betäubt den Schrecken.
Und dann, gestern, Mittwoch, 26. August 2015: Tödliche Schießerei im Live-Fernsehen. Täter veröffentlicht selbstgedrehten Film des Verbrechens im Internet. Zwei Menschen tot.
Passiert nicht ständig. Ist noch nie passiert. Und jetzt?
Wir werden mit dieser einen Tat konfrontiert. Die singulär ist. Weil sie singulär ist, werden wir mit ihr konfrontiert. Weil sie nicht unter "schon wieder" fällt.
Er zögert kurz
USA, Virginia. Wie in einem Computerspiel, aus der Ich-Perspektive gefilmt, die Pistole in der einen Hand, die Kamera in der anderen. Beides auf die Reporterin gerichtet. Nur ein, zwei Meter von ihr entfernt. Er zögert kurz. Dann die Schüsse.
Und nur wenige Minuten später die Explosion. Im Internet, in den sozialen Netzwerken. Der Tod wird jetzt übermittelt an die Welt. Ein viraler Kontrollverlust.
Der Schütze, selbst Journalist, hat seine Tat - sehr gekonnt, sehr professionell - optimiert auf möglichst weite Verbreitung. Er kannte die Funktionsweise der sozialen Medien. Er hat sie ausgenutzt für seine Zwecke. Das Video wurde über den Account des Täters getwittert noch während er von der Polizei verfolgt wurde. Er wollte die Aufmerksamkeit. Er hat sich zum Regisseur unserer Erwartungen gemacht und für sein menschenverachtendes Stück die größtmögliche Bühne gesucht. Und gefunden.