#verafake bei Böhmermann:So stellt RTL Menschen bloß - das konnte der Zuschauer wissen

Jan Böhmermann, #verafake

Hätte man wissen können? Hätte man wissen müssen. Nicht erst seit Jan Böhmermann und #verafake.

(Foto: dpa/ZDF Neo)

"Schwiegertochter gesucht" war nie ein unschuldiges Vergnügen. Auch der Zuschauer muss sich für solche Formate eine gehörige Portion Mitverantwortung zuschreiben.

Analyse von Hans Hoff

Plötzlich haben es alle gewusst. Plötzlich distanzieren sich alle von Machenschaften jener Art, die Jan Böhmermann nach seiner Erdoğan-Pause den Produzenten der Sendung Schwiegertochter gesucht zugeschrieben hat. Konnte man das wissen? Dass da nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann bei Schwiegertochter gesucht, bei Frauentausch, bei Bauer sucht Frau und ähnlichen Formaten? Konnte man nicht nur, musste man wissen. Man musste doch nur hinschauen, wie dort Menschen vorgeführt wurden, die sehr offensichtlich nicht die Tragweite ihres Tuns überblicken, und dann musste man sich fragen, ob das alles so in Ordnung geht.

Sehr viele Zuschauer haben für sich entschieden, dass das schon in Ordnung geht, wenn Privatsender Menschen inszenieren, die vorgeben, medienerfahren zu sein, weil sie eine bestimmte Sendung zu kennen glauben. Die indes sehr offensichtlich keine Ahnung haben, wie beim Fernsehen wirklich gearbeitet wird. Sehr viele derer, die sich nun echauffieren und die Moralkeule schwingen, haben sehr lange amüsiert hingeschaut und mit solch fragwürdigem Verhalten den Kommerzkanälen ordentliche bis sensationelle Quoten beschert.

Man kann sich halt so schön lustig machen, wenn die Sender ihren Menschenzoo präsentieren, wenn sie Schicksale instrumentalisieren und dabei auch noch dreist vorgeben, Gutes zu tun, also Menschen zusammenzuführen, die angeblich ohne Hilfe der Fernsehleute nie jemanden gefunden hätten. Für was auch immer.

Gesucht werden Menschen mit Defiziten

Der Zuschauer, der so etwas geschaut und sich darüber amüsiert hat, darf sich spätestens jetzt mal eine gehörige Portion Mitverantwortung zuschreiben, denn er hat per Nachfrage erst möglich gemacht, dass Sender und Produzenten, die nun verzweifelt um halbgare Erklärungen ringen, hilflose Menschen hinters Licht führten.

Das Prinzip, das Jan Böhmermann jetzt mit seiner schlauen #verafake-Aktion ans Licht einer breiten Öffentlichkeit gezerrt hat, ist immer das gleiche. Gesucht werden Menschen mit Defiziten. Ihnen fehlt ein Partner, ihnen fehlt der Austausch mit anderen, ihnen fehlt die Wendigkeit, die es dieser Tage braucht, um sich in einer medial dominierten Welt zu behaupten. Ihnen fehlt vieles.

Genau nach solchen Menschen suchen diese Produzenten. Solche Menschen finden diese Produzenten. Sie versprechen ihren Opfern, sie wahrheitsgemäß darzustellen, aber solche, in der Regel nur mündlich gegebenen Versprechen sind ungefähr so viel wert wie die Erlös-Prognosen von Versicherungsvertretern, die vor 20 Jahren ihren Kunden großartige Renditen in Aussicht stellten. Natürlich nur mündlich.

In den Verträgen steht meist etwas anderes. Wie beim Fernsehen. Da ist zu lesen, dass die Mitwirkenden sich für Minimalhonorare weit unterhalb des Mindestlohns so ziemlich aller Rechte außer dem zu atmen entäußern. Der Produzent bestimmt, was wie geschnitten wird und wer am Ende wie blöd aussieht.

Leichtfüßig hüpfen Produzenten über juristische Fallstricke

Jan Böhmermann hat nun mit eingeschmuggelten Kandidaten und versteckter Kamera ein Licht geworfen auf die Vorgehensweise bei solchen Abkommen. Man muss nun nicht mehr nur erahnen, dass die Verträge nur den Produzenten dienen. Man weiß es jetzt.

Längst haben die Produzenten gelernt, leichtfüßig über juristische Fallstricke zu hüpfen. Entscheidungen wie die des Berliner Landgerichts, das 2012 die Wiederholung einer Frauentausch-Folge verbot, weil Teilnehmer, die aufgrund der unterschrieben Verträge einen dokumentarisch anmutenden Beitrag erwarteten, nicht damit rechnen mussten, verspottet zu werden, haben Seltenheitswert. Heute sind die Verträge glattgebügelt - zu Gunsten der Produzenten.

Dazu passt, dass RTL nur vermeintlich auf die #verafake-Kritik eingeht. Es seien "Fehler im Bereich der redaktionellen Sorgfaltspflicht gemacht worden", heißt es von RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger. Und der Geschäftsführer der verantwortlichen Produktionsfirma Warner Bros. ITVP Deutschland, René Jamm, findet das Ganze sogar amüsant: "Respekt an Herr Böhmermann. Wir sind ihm komplett auf den Leim gegangen, denn er hat uns einen sympathischen Schwiegersohn präsentiert."

"Warum machst du so'n Dreck?"

Eine besondere Rolle fällt bei solchen Sendungen übrigens jenen Gestalten zu, deren Aufgabe es ist, die arglosen Kandidaten ans mediale Messer zu liefern. Die Ansagerin Inka Bause kann beispielsweise sehr schön unschuldig lächeln, wenn bei Bauer sucht Frau paarungswillige Agronomen zu Dorfdeppen deklassiert werden, die in einer Welt ohne Gummistiefel komplett verloren wären. Geht man nach dem Bild, das solche Sendungen von einem Berufsstand zeichnen, dann sind deutsche Bauern zwar in der Lage, einen Traktor zu führen. Ihr eigenes Leben kriegen sie aber irgendwie nicht auf die Reihe.

All das konnte man wissen. Immer schon. Vor fünf Jahren hat etwa Tim Mälzer in einer Talkshow die Schwiegertochter gesucht-Ansagerin Vera Int-Veen mit einer eindeutigen Frage konfrontiert. "Warum machst du so'n Dreck?", fragte er. Kann man bei Youtube nachschauen. Man kann dort auch sehen, wie Int-Veen sich empört zeigt, wie sie sich als Menschenfreundin aufspielt und sich Pontius-Pilatus-mäßig auf das Wahlrecht ihrer "Schützlinge" beruft. Mehr musste man schon damals nicht sehen, um mehr zu wissen.

Schwiegertochter gesucht war nie das unschuldige Vergnügen, als das es manche zelebrierten, um sich eine Stunde lang ein wenig guilty pleasure zu leisten. Schwiegertochter gesucht war immer genau der Dreck, nach dem die Sendung aussah.

Vera Int-Veen - einschlägig berüchtigt

Es verwundert also nicht, dass ausgerechnet Int-Veen und ihr Schwiegertochter gesucht im Mittelpunkt von #verafake stehen. Die Dame ist einschlägig berüchtigt. Man findet im Netz leicht Clips, die zeigen, wie sie bei einem anderen Format die Kamera auf Menschen hetzt, die sehr offensichtlich nicht gefilmt werden wollen. "Hinterher, Leute, hophophop, bewegt euch", scheucht sie da ihr Team. Muss man mehr wissen?

Ja doch, man wüsste gerne, mit welchem Gefühl Vera Int-Veen morgens in den Spiegel schaut. Man wüsste auch gerne, wie Senderverantwortliche ihren Familien erklären, was sie Int-Veen so alles durchgehen lassen.

Vielleicht könnte man bei der Gelegenheit ja gleich auch noch ein paar Wortwärter auf die aktuelle Empörungswelle schicken. Die könnten dort anprangern, was in diesen Sendungen der deutschen Sprache angetan wird. Wie da nämlich sogenannte Moderatoren regelmäßig in eine Art Alliterationstourette ausbrechen, das ist mit verbaler Vergewaltigung unschuldiger Buchstaben noch viel zu harmlos klassifiziert ist. Aber um Qualität geht es ja ohnehin nicht. Es geht um die gezielt narkotische Wirkung solcher Sendungen.

Bitterböse? Bitterböse!

Wenn da vom einsamen Eisenbahnfreund, vom attraktiven Andersliebenden oder vom kundigen Konditor gefaselt wird, soll das natürlich Niedlichkeit simulieren. Schaut her, lautet die banale Botschaft, wer so lieblich lamentiert, kann nicht bitterböse sein. Auch wir im putzigen Produzententeam leben mit elenden Einschränkungen.

Das kann man unterschreiben, muss allerdings dringend einen Zusatz anfügen: Ja, ihr lebt mit Einschränkungen, aber ganz anders, als ihr das wahrhaben wollt.

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