Veränderungen bei CNN:Abschied vom Jetzt

Veränderungen bei CNN: Das Geschäft mit dem Nachrichtenjournalismus im Fernsehen ist teuer und bringt weniger ein, seit das Internet die Neugier stillt: Der TV-Nachrichtenpionier CNN will deswegen umsteuern

Das Geschäft mit dem Nachrichtenjournalismus im Fernsehen ist teuer und bringt weniger ein, seit das Internet die Neugier stillt: Der TV-Nachrichtenpionier CNN will deswegen umsteuern

(Foto: Quelle: CNN)

CNN, der Pionier der Nachrichtensender, gibt seine Grundidee auf: Künftig sollen Shows, Serien und Dokus eine größere Rolle spielen. Das reine News-Geschäft rentiert sich nicht mehr.

Von Peter Richter, New York

Diesen Mittwochabend zur sogenannten Prime Time kam noch einmal alles zusammen, was den Sender CNN ausmacht im Moment. Erst war da natürlich Anderson Cooper, der größte Star des Senders und sicherlich sein spektakulärstes Gesicht - Männer und Frauen zusammengenommen.

Cooper ist als Baby von Diane Arbus fotografiert worden, war als Kind Fotomodel, ist ein weit gereister Journalist und müsste das alles hier vielleicht gar nicht machen, denn er stammt von den Vanderbilts ab, New Yorks Ur-Geldadel: Wenn es in Amerika irgendeine Entsprechung zu Prinz William gibt, dann am ehesten ihn.

Dieser Anderson Cooper also legt Mittwochabend kurz nach 20 Uhr zwischen dem weißblonden Scheitel und den tintenblauen Augen die Stirn in Falten und fragt: "Affluenza?" Ein Jugendlicher in Texas hat im Suff vier Menschen totgefahren und vor Gericht den Reichtum seiner Eltern für seine Haltlosigkeit verantwortlich gemacht - und war damit durchgekommen: Wohlstandsverwahrlosung, "Affluenza", ein paar zugeschaltete Kommentatoren und Juristen brüllten sich dazu ein wenig an, später geht es um den falschen Gebärdendolmetscher bei der Mandela-Trauerfeier ("War der Präsident in Gefahr?"), um eine Braut in Montana, die kurz nach der Hochzeit ihren Mann mit verbundenen Augen von einer Klippe im Naturpark gestoßen haben soll, und um das Schulmassaker von Newtown vor einem Jahr.

"School Shootings", Naturkatastrophen, Amokläufe, Terroranschläge und Kriegsausbrüche finden selbst in den USA nur jeden zweiten Tag statt; dazwischen muss das Programm mit Boulevardware gefüllt werden.

Um 21 Uhr übernahm das britische Tabloid-Schlachtross Piers Morgan, in seiner Sendung durfte Donald Trump seinen Senf zu den Stichworten der Woche geben, und dann kam noch Mort Crimm, das historische Vorbild für Ron Burgundy. Wem das nichts sagt: "Anchorman - The Legend of Ron Burgundy" ist eine der zu Recht am kultischsten verehrten Komödie der vergangenen zehn Jahre und wurde deutschen Kinobesuchern seinerzeit natürlich komplett vorenthalten.

Das Internet stillt die Neugierde

"Anchorman 2" läuft in ein paar Tagen in den USA an, und die Werbekampagne dafür gigantisch zu nennen, wäre krass untertrieben. Crimm war als Anchorman tatsächlich ein Siebzigerjahre-Macho, Cooper ist ein androgyner Post-Anchor, der nach eigenen Angaben selber nicht mehr an die Rolle des allwissenden Fernsehonkels glaubt. Der bekannteste Anchorman Amerikas aber dürfte inzwischen tatsächlich Ron Burgundy sein - eine Filmrolle von Will Ferrell.

Es gab nun im Verlauf der vergangenen Woche ein paar Neuigkeiten, die das wie ein Menetekel aussehen lassen, und zwar nicht auf, sondern über CNN. Knapp ein Jahr nach Dienstbeginn als Chef von CNN Worldwide hat sich Jeff Zucker nämlich erstmals in einem Interview dazu geäußert, worin er die Zukunft des Nachrichtenkanals sieht: in weniger Nachrichten.

Und Jeff Bewkes, seinerseits Chef von Time Warner, dem Besitzer von CNN, hat diesen Kurs am Dienstag in New York bestätigt. Die Quelle ist in beiden Fällen das Onlinemagazin Capital New York. Shows, Serien und selbst produzierte Dokumentarfilme sollen demnach künftig auch in der Hauptsendezeit eine größere Rolle spielen, denn das Geschäft mit dem Nachrichtenjournalismus im Fernsehen ist teuer und bringt weniger ein, seit das Internet die Neugier stillt.

Fast schon seriös

Zucker will, dass sich der Sender durch Haltung und Herangehensweise von anderen Nachrichtenlieferanten abhebt. CNN hat mächtige Konkurrenten zur Linken wie auch zur Rechten, nämlich MSNBC beziehungsweise Fox, und zwischen diesen Gesinnungsbollwerken nimmt sich der Sender aus Atlanta tatsächlich regelrecht neutral aus, überparteilich, für amerikanische Verhältnisse fast schon seriös.

Aber seine Zahlen sind gerade in letzter Zeit schlechter als ihre, sowohl absolut als auch in der Zielgruppe, die den Werbetreibenden am wichtigsten ist, und das sind in den USA alle zwischen 25 und 54. Um die Zuschauer von Fox und MSNBC geht es Zucker aber gar nicht, sagt er, er wolle vielmehr die vom History Channel und dem Naturdoku-Kanal Discovery.

Was das heißt, liegt auf der Hand: Weniger Arbeit von teuren eigenen Redakteuren und Reportern, mehr Zukäufe von außen und am Ende möglichst die Verschmelzung des Fernsehkanals mit der Website und Videoportalen.

Die Neunziger sind endgültig vorbei

Das ist an sich nicht überraschend, es macht nur einen dermaßen absolut auf das Jetzt (oder zumindest seine Simulation) geeichten Sender zu einem Gegenstand der Nostalgie. Andererseits ist es jetzt auch schon wieder mehr als zwanzig Jahre her, dass CNN der Welt zum Begriff wurde als der Sender, der die Angriffe der Amerikaner auf den Irak zeigte - live, wie es hieß.

Dass die laufenden Nachrichtenbänder am Fuß des Bildes - letztes mediales Aufzucken des guten alten Telegramms - eine Novität waren, die das Sehverhalten revolutionierten, ist auch schon so lange her, dass diejenigen Sender, die das später für Dauerwerbesendungen oder das Musikfernsehen parodierten, meistens auch schon gar nicht mehr unter uns sind.

Man wird sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, dass das Nachrichtenlaufband unter dem sorgenvollen Gesicht der CNN-Anchors an halbwegs katastrophenfreien Tagen demnächst zum Halten kommt. Dann sind die Neunziger endgültig vorbei. Aber sie haben hier auch wirklich lange gedauert.

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