Varoufakis-Video:Böhmermann zeigt Erregungsdeutschland den Stinkefinger

Varoufakis-Video: Ob echter Fake, oder falscher Fake, das ist eigentlich unerheblich.

Ob echter Fake, oder falscher Fake, das ist eigentlich unerheblich.

(Foto: Screenshots: Youtube/SZ.de)

Varoufakis und der Stinkefinger: Alles nur ein Fake, sagt ZDF-Jungstar Jan Böhmermann und legt offen, wie er das Video manipuliert haben will. Ob wahr oder nicht, es ist ein beispielloser Satire-Coup - der tiefere Wahrheiten über das gern erregte Deutschland offenbart.

Kommentar von Stefan Plöchinger

Günther Jauch möchte man an diesem Donnerstagmorgen nicht sein. Am Ende ist es schon völlig unerheblich, ob der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis nun einen Stinkefinger ins Video montiert hat, wie er behauptet, oder ob der behauptete Fake in Wahrheit selbst ein Fake ist, worüber gerätselt wird. Für Deutschlands angeblich wichtigste Talkshow ist Böhmermanns Coup so oder so ein Fiasko.

Wer an den Recherchefähigkeiten der ARD-Sendung seit Varoufakis' Live-Dementi am Sonntagabend erste Zweifel hatte, wird nun bestätigt: Das Stinkefinger-Video von 2013, kalkulierter Erregungspunkt der Sendung, kann von Jauch nachhaltig nicht als authentisch verifiziert werden, schon seit Tagen. Abgesehen davon, dass die Redaktion die gezeigten Varoufakis-Filmausschnitte aus dem Kontext gerissen und schlecht erklärt hatte - der vorgebliche Stinkefinger-Auftritt war eben bloß ein Fundstück aus dem Netz, mit dem Jauch den Politiker schnell mal konfrontieren wollte. Er machte das Video damit seriöser, als es offensichtlich ist. Wäre es eine Nebensache, wäre das vielleicht eine lässliche Sünde. Doch weil manche Medien, allen voran Bild, die Stinkefinger-Causa nutzten, um Varoufakis endgültig zum "Lügen-Griechen" zu stempeln, ist es eben ein größeres Drama.

Natürlich wäre Böhmermann hinterfotzig, wenn es stimmt, was er am Mittwochabend behauptet hat (wie auch im gegenteiligen Fall); und es bleiben Fragen, nämlich wieso die Organisatoren von Varoufakis' Auftritt das Stinkefinger-Video auf SZ-Anfrage als authentisch bezeichneten ("Wenn wir das Video veröffentlicht haben, ist es auch echt"), oder wieso Varoufakis es selbst zwischenzeitlich noch mal getwittert und so geadelt hat. Aber vielleicht war das der Dynamik dieses Falls geschuldet; vielleicht ist es auch nicht so wichtig; und natürlich darf Satire hinterfotzig sein. Satire darf eben sehr viel, vor allem aber soll sie tieferliegende Wahrheiten zutage fördern.

Böhmermann macht das mit Varoufakis seit Wochen.

Er hat ein auf vielen Ebenen wahres Musikvideo über die Deutschen und ihren griechischen Polarisierungsminister gedreht, und am Ende eben jenes Videos war der Stinkefinger-Ausschnitt beim Varoufakis-Auftritt 2013 erstmals zu sehen. Schon damals wunderten sich viele, was das für eine Szene sein soll, aber Böhmermann wurde nach eigenen Angaben nie gefragt, also klärte sich die Sache nie auf. Sondern verselbständigte sich.

Bloß ein paar Tage vor Böhmermanns Musikvideo in diesem Februar hatten die Organisatoren des Zagreber - Achtung! - Subversive-Festivals den angeblichen Mitschnitt von Varoufakis' Auftritt mit dem Stinkefinger auf Youtube hochgeladen. Aber auf die Idee, dass es einen größeren, satirischen Zusammenhang zwischen beiden Videos geben könnte, kam niemand. Bis eben zu diesem Mittwochabend, als Böhmermann sich auf Youtube in der Sache meldete: Alles war demnach Kalkül, und der Stinkefinger die Montage eines Special-Effects-Experten, der für die ZDF-Sendung ein Varoufakis-Fingerdouble perfide-perfekt in Szene gesetzt hat.

Das Manipulationsvideo von Böhmermann lässt den Zuschauer mehrfach schlucken, stutzig werden, rätseln, ob das alles sein kann: So einfach soll es also sein, eine mittelgroße Irritation zwischen Deutschland und Griechenland zu provozieren?

Natürlich kamen sofort Fragen auf, ob Böhmermann die Manipulation wiederum nur manipuliert hat, ob es ein Fake-Fake ist, so unglaublich ist das alles, und auch dafür spricht manches; ein neues Video des Satirikers vom Vormittag tut wenig, um die Lage aufzulösen, im Gegenteil - aber darum geht es im Kern gar nicht mehr. Denn in jedem Fall ist es das Verdienst all dieser Videos, dass die Empörungsrepublik Deutschland nun im Spiegel ihre Fratze sieht.

Böhmermann ist der derzeit beste Satiriker des deutschen Fernsehens, weil er die Wirkungsweisen öffentlicher Debatten in diesem Land entlarvt wie kein anderer. Sie können das auch an diesem Artikel hier verfolgen; es ist quasi garantiert, dass er nach Publikation sofort auf Platz eins unserer Klickcharts hochschnellt; die Aufregung in sozialen Medien ist enorm (hier mehr). Das liegt an der Kombination vieler Faktoren - polarisierender Minister, kantiger Kopf, unfassbare Videos, billige Provokationen, Verschwörungsgedanken, das schöne Griechenland, das böse Sparen und die noch böseren Schulden -, vor allem aber an uns selbst, uns Bürgern, ja: auch uns Journalisten. Viele haben nach all den Jahren keinen rationalen Umgang mit der griechischen Tragödie gefunden, sondern neigen als Ausflucht zum Irrationalen.

Die griechische Krise ist komplex, für viele unverständlich; wie erleichternd ist da eine Ablenkdebatte über einen Stinkefinger, weil wir dem griechischen Minister nicht mal mehr zuhören müssen, wenn er mit uns in einer Talkshow redet - so funktioniert die öffentliche Aufregungsmechanik, die bis in die Politik hinein reicht.

Fake oder Fake-Fake, Böhmermann könnte in keinem Fall geplant haben, dass der Stinkefinger aus dem Musikvideo bis zur Jauch-Sendung und den Weiterungen der vergangenen Tage führt. Aber manchmal ist die Wirklichkeit eben der krasseste Witz.

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