Süddeutsche Zeitung

Pressefreiheit:"Runter mit dir"

US-Verbände melden gezielte Angriffe der Polizei gegen Journalisten während der Proteste nach dem Tod von George Floyd.

Von Alan Cassidy

Zu den unschönen Folgen der Proteste, die in den USA nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd überall aufgeflammt sind, gehören Angriffe auf Journalisten, die über diese Proteste berichten. Nach einer Zählung der Freedom of the Press Foundation und des Committee to Protect Journalists ist es seit Beginn der Unruhen zu 279 Verstößen gegen die Pressefreiheit gekommen. 67 Journalisten wurden körperlich angegriffen, 40 berichteten über Angriffe mit Tränengas, 23 mit Pfefferspray, 69 Medienschaffende erlitten Verletzungen durch Gummigeschosse. Mindestens 45 Journalisten wurden verhaftet.

Das ist eine düstere Bilanz, besonders für ein Land wie die USA, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, Regierungen im Ausland zur Einhaltung der Pressefreiheit zu drängen. Viele Übergriffe trugen sich zu Beginn der Proteste in Minneapolis zu, jener Stadt, in der Floyd bei einem Polizeieinsatz getötet wurde - und wo die Behörden zeitweise die Kontrolle über die Lage verloren. Da war die freischaffende Fotografin Linda Torado, die ihr linkes Auge verlor, nachdem sie von einem Gummigeschoss der Polizei getroffen wurde. Da war Ed Ou, ein Videojournalist für NBC News, dem Polizisten Pfefferspray ins Gesicht sprühten und ihn mit einem Stock schlugen. Und da war die viel beachtete Festnahme des CNN-Journalisten Omar Jimenez, den die Polizisten in Handschellen abführten, während er mit seiner Crew live von den Protesten sendete.

Die Übergriffe beschränkten sich nicht auf Minneapolis. Journalisten aus verschiedenen Städten berichteten über Angriffe und Verhaftungen. "Wir reden hier nicht von vereinzelten Aktionen", sagt Dokhi Fassihian, Direktorin der US-Abteilung der Organisation Reporter ohne Grenzen. "Hier zeigt sich ein schockierendes Muster von Missbrauch durch die Polizei." Die Übergriffe ließen sich nicht damit erklären, dass die Polizisten überfordert und Journalisten nicht von vermeintlichen Randalierern unterscheiden konnten. "Wir sehen gezielte Attacken gegen Medienschaffende", sagt Fassihian.

Tatsächlich haben viele Journalisten Videos veröffentlicht, die die Angriffe auf sie dokumentieren oder zeigen, wie sie festgenommen wurden, obwohl sie sich deutlich ausgewiesen hatten. "Presse, Presse, Presse", rief Reporter Michael Anthony Adams von Vice News, als er in Minneapolis in einen Polizeieinsatz geriet. In seiner Aufnahme ist zu hören, wie ein Polizist sagt: "Das ist mir egal. Runter mit dir." Dann sprühte er Adams Pfefferspray ins Gesicht. Solche Vorfälle seien ein Angriff auf die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit, sagt Fassihian, und "damit auch ein Angriff auf die Demokratie". Reporter ohne Grenzen fordern von den Gouverneuren, alle Fälle zu untersuchen und die beteiligten Polizisten zur Verantwortung zu ziehen.

Ein deutliches Zeichen setzte am Freitag New Yorks Polizeichef Dermot Shea, der sich für ein mögliches Fehlverhalten von Polizisten während der Aktionen entschuldigt hat: "Damit es Entspannung gibt, muss es Reue geben." Schon bei früheren Protesten gab es Übergriffe auf Journalisten. Das Ausmaß jetzt ist aber nach Einschätzung vieler Beobachter beispiellos. Berufsverbände und Organisationen wie Reporter ohne Grenzen sehen den Hauptgrund in der Rhetorik von Donald Trump, der verbale Attacken auf Medien und einzelne Journalisten sukzessive gesteigert hat. "Ein substanzieller Teil der Bevölkerung hat heute kein Vertrauen mehr in die Medien und kein Verständnis für die Arbeit von Journalisten", sagt Fassihian. "Wir befinden uns an einem gefährlichen Punkt."

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SZ vom 06.06.2020/khil
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