Donald Trump verdankt seinen Aufstieg den Medien. Die New Yorker Zeitungen haben ihn jahrelang loyal durch alle Scheidungen und Pleiten begleitet, im Fernsehen wurde er mit der Reality-Show The Apprentice zum Star. Für den Medienjournalisten Ben Smith hat Trump im Wahlkampf 2016 die Berichterstattung wie ein Nachrichtenchef bestimmt, und die Journalisten haben auch hier eifrig mitgetan. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen tauchte jetzt aus zweifelhafter Quelle Material über Hunter Biden auf, das vor allem den Vater, Trumps Gegenkandidaten Joe Biden, inkriminieren sollte.
SZ: Mr. Smith, Sie waren Chefredakteur des Online-Portals BuzzFeed News . Anfang 2020 sind Sie zur New York Times gewechselt. Haben die alten Medien also doch eine Zukunft?
Ben Smith: Eindeutig! Das Pendel schwingt inzwischen zurück zu den wenigen traditionellen Medien, die überleben können. Der New York Times, der Washington Post und dem Fernsehsender CNN geht es besser als je zuvor.
Die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Journalisten steht links von Donald Trump, aber vor vier Jahren hat er trotzdem gewonnen. Bedeutet das nicht eine dauerhafte narzisstische Kränkung für die Journalisten?
Trumps Erfolg hat jedenfalls mit der Illusion aufgeräumt, die Amerikaner in ihrer Mehrheit würden das tun, was die Leitartikler ihnen vorschreiben. Gleichzeitig sind Journalisten für die Linksliberalen zu Helden geworden, was unseren Narzissmus eher noch verstärkt hat.
In Ihrer jüngsten Kolumne haben Sie Donald Trump als den Nachrichtenchef im Wahlkampfjahr 2016 bezeichnet. Wie war es 2020 - ist er gescheitert?
Ich glaube, nicht wenige sind seine Art der Dauerkrise ziemlich leid, die meisten werden ihn aber danach beurteilen, wie er mit dem Coronavirus umgeht.
2016 tauchte im Wahlkampf das Tonband "Access Hollywood" auf, das den Frauenfeind Donald Trump vorführte, und er schien zu verlieren. Dann entschied FBI-Chef James Comey, Hillary Clintons Umgang mit ihren E-Mails zu untersuchen, was sicherlich zu Trumps Wahlsieg beitrug. Was war diesmal im aktuellen Wahlkampf der Knaller?
Das Frappierende im Wahlkampf 2016 war, dass im letzten Monat vor der Wahl Wikileaks und Comey die Berichterstattung dominierten, und die Amerikaner sich in ihrer Wahlentscheidung zum Teil an den sich überstürzenden Meldungen orientierten. In diesem Jahr gab es bislang in der Endphase keinen vergleichbaren Politskandal. Als Donald Trumps Unterstützer mit einer Geschichte über Hunter Biden, Joe Bidens Sohn, nachhelfen wollten, haben die amerikanischen Medien diese Geschichte gründlich überprüft und dann entschieden, dass sie nicht ganz so furchtbar wichtig ist, weil sie nicht unmittelbar mit dem Präsidentschaftskandidaten zu tun hat.
Sie haben in Ihrem letzten Artikel gerade bekannt gemacht, dass die Hunter-Biden-Geschichte dem seriösen Wall Street Journal vorlag, das sie nicht brachte. Dafür erschien sie in der Boulevardzeitung New York Post , die wie das Journal der Murdoch-Familie gehört. Was ist dran an dem Material?
Ich weiß auch nicht, ob das gesamte Material authentisch ist, doch hat bisher niemand die Echtheit einer Reihe von E-Mails bestritten, die ebenfalls zu diesem Komplex gehören und die Hunter Bidens ehemaliger Geschäftspartner veröffentlicht hat.
Twitter und Facebook haben die Geschichte aus der New York Post gesperrt und mussten sie dann wieder freigeben. Die Post schlagzeilte sofort: "Zensur". Was ist da schiefgegangen?
Twitter musste das nicht machen und hätte es auch nicht tun sollen. Sie verfügen gar nicht über die Kapazitäten, um festzustellen, welche von den Geschichten, die in den Medien auftauchen, seriös sind. Facebook ist da engagierter, mit einem komplizierteren Prüfvorgang. Das zeugt wenigstens von einem gewissen Verantwortungsbewusstsein.
Wie realistisch ist es überhaupt, von Twitter und Facebook zu erwarten, dass sie unzuverlässige Nachrichten und eindeutige Propaganda sperren?
Da gibt es erhebliche Unterschiede. Natürlich kann man eindeutige Lügen, offensichtliche Verleumdung und Aufhetzung blockieren. Ich bezweifle aber, dass Twitter und Facebook überhaupt über die Voraussetzungen verfügen, um beurteilen zu können, was eine verlässliche Nachricht ist und was nicht. Dafür braucht es Journalisten, die das gründlich recherchieren. Allerdings gäbe es die Möglichkeit, dass sie, statt bestimmte Websites zu blockieren, etablierte Medien, von deren Verlässlichkeit sie überzeugt sind, auf eine weiße Liste setzen und sie damit nach vorn spielen.
Der Leitartikler Michael Goodwin gab in der New York Post eine Wahlempfehlung für Donald Trump ab und sparte nicht mit apokalyptischen Tönen. Es gehe nicht nur um Trump gegen Biden, sondern auch um "Amerika gegen die New York Times . Wählt für Amerika!" Wie wird Amerika wählen?
Wenn die Wahl tatsächlich Trump oder die New York Times hieße, dann würde wahrscheinlich Trump gewinnen. Doch nur Leute, die in den Medien tätig sind und zu viel Zeit auf Twitter verbringen, würden das so sehen.
Für uns in Europa schaut der amerikanische Journalismus nach wie vor so aus, wie ihn die Watergate-Aufklärer Robert Redford und Dustin Hoffman im Film Die Unbestechlichen verkörpern. Trotzdem gibt es immer wieder Geschichten von korrupten Journalisten, zum Beispiel der Reporterin Judith Miller, die die New York Times im Irakkrieg mit Propaganda aus dem Weißen Haus belieferte. Gibt es irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen, um zu verhindern, dass Journalisten von Politikern benutzt werden?
Ich glaube nicht, dass man Judith Miller Korruption im strengen Sinn vorgeworfen hat. Sie hat das Geschäft offizieller Stellen besorgt, aber das ist ein weit verbreitetes Problem. Durch die sozialen Medien finden sich Journalisten in einer völlig neuen Situation wieder, weil ihre Leser und Quellen Widerworte finden. Doch auf der anderen Seite ist das Bedürfnis, seinen Nutzern und seinen Followern genau das zu erzählen, was sie hören wollen, nicht weniger stark ausgeprägt.
Bei BuzzFeed News waren Sie 2017 verantwortlich für die Veröffentlichung des Steele-Dossiers mit seinen unappetitlichen Details über Trumps Aufenthalt in Moskau. In der Folge kam es zum Impeachment. Am Ende hat dieses Dossier Trump wahrscheinlich mehr als alles andere geholfen. Spüren Sie deshalb Reue?
Nein. Ich habe mich bei der Veröffentlichung nicht von politischen Überlegungen leiten lassen. Es handelte sich um ein wichtiges Dokument, und ich bedaure nicht, dass ich es veröffentlicht habe. Aber wenn Sie sagen "am Ende" gerate ich in Verwirrung. Glauben Sie, dass wir das Ende erreicht haben? Das Ende von was?