US-Wahl im deutschen Fernsehen:Die Nacht der schlaflosen Cheerleader

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Ja, die Liebe ist etwas abgekühlt seit dem Kennenlernen 2008. Aber "Deutschland ist Obama-Land" und das bleibt es auch im Berichterstattungs-Marathon der TV-Sender zur Präsidentenwahl 2012. Zwischen Euphorie und Erschöpfung: Eindrücke einer langen Fernsehnacht.

von Irene Helmes

Die US-Wahl 2012: Das Moderatoren-Team der ARD mit Wahlexperte Jörg Schönenborn (l.), Sandra Maischberger, Matthias Opdenhövel und NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz (r.). (Foto: obs)

"Gehen Sie bloß jetzt nicht ins Bett, Sie könnten mit dem falschen Präsidenten aufwachen", sagt Sandra Maischberger gegen 4:15 Uhr. Es ist spät und vielleicht sollte man gar nicht mehr versuchen zu verstehen, welchen Einfluss das Schlafpensum der ARD-Zuschauer auf das Ergebnis in den USA haben soll. Ziemlich klar ist aber längst, wer der "richtige Präsident" ist.

Wie hat Model-Coach Bruce Darnell diese Frage schon ein paar Stunden zuvor im ZDF so schön beantwortet: "Barack Obama, ich biiiitte dich, hallooooo!" Und er weiß die Statistik hinter sich: Etwa 90 Prozent der Deutschen unterstützen Obama - darauf wird in dieser Nacht immer wieder verwiesen.

Am Konkurrenten Romney ist dagegen "für uns Europäer vieles fremd und unverständlich", sagt ZDF-Mann Theo Koll. Allerdings: "Die Liebe der Deutschen für Obama sagt eigentlich mehr über die Deutschen aus als über ihn", so sein Kollege Ulf-Jensen Röller, Studio-Leiter in Washington.

Diese "Liebe" - sie wird in der Nacht von vielen Gästen und Interviewpartnern im deutschen Fernsehen bestätigt. Ob durch die SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier ("aus meiner europäischen Sicht der Richtige") und Klaus Wowereit ("er hat Charisma"), Nationalspieler Arne Friedrich ("ich hoffe, dass Obama gewinnt") oder Show-Mann Fritz Egner ("er ist lässiger"). Auch die Vertreterinnen der Mini-Forschungsgruppe Wahlen einer Berliner Schule glauben, "dass Obama seine zweite Chance bekommt" und lächeln dabei zuversichtlich.

Ach, Obama. ZDF-Netzreporterin Jeanine Michaelsen fragt in der Tiefe der Nacht ihre Gäste, woran es denn liegen mag, dass "wir ihn vor vier Jahren am liebsten alle selbst gewählt hätten". Wie Obama 2008 Europa nach den Bush-Jahren geradezu im Sturm eroberte, lässt selbst altgediente Polit-Journalisten in Erinnerungen schwelgen.

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So viel Freude und Erleichterung auf der einen, so viel Trauer und Ernüchterung auf der anderen Seite: Amerika hat gewählt, Obama bleibt Präsident. Romneys Anhänger müssen eine schmerzhafte Niederlage einstecken.

von der Wahlnacht.

Bilder vom Auftritt des damaligen Kandidaten Obama in Berlin vor 300.000 Menschen werden während des langen Wartens auf Ergebnisse von der ARD mit Hollywood-Musik unterlegt. "Ich fand es großartig, ich habe sogar meine Eintrittskarten aufgehoben, das mache ich sonst nie", sagt Maischberger, und Kollege Andreas Cichowicz gesteht, "man hatte doch hinterher das Gefühl, er kann auch über Wasser laufen".

Dass Obama die Welt verändern könnte, "ich habe das geglaubt", hat auch Jörg Schönenborn gegen Mitternacht zugegeben - auch wenn er von besagtem Berlin-Auftritt unbeeindruckt blieb und den US-Präsidenten wie viele seiner Kollegen längst in der Realität angekommen sieht.

Trotz der allgegegenwärtigen Obama-Begeisterung liefern die deutschen Sender in der Wahlnacht wohlbemerkt keine einseitige Berichterstattung. In den Reportagen, Diskussionsrunden und Live-Schalten in die USA bekommen Demokraten wie Republikaner auf allen Sendern ihre Zeit und die vielen Haken von Obamas erster Amtszeit werden durchdiskutiert.

Als die ARD gegen ein Uhr morgens den ersten Staat für Obama verbucht, brandet im Berliner E-Werk - dort wird im großen Rahmen moderiert - Jubel im Publikum auf. Diese Stimmung hält bis in den Morgen und dominiert auch bei der großen ZDF-Übertragung, die bei der Wahlparty der US-Botschaft im Alten Telegrafenamt in Berlin stationiert ist. Applaus und Freudenrufe bei jedem Staat, der an die Demokraten geht. Eher betretene Stille, wenn Wahlmänner für Romney stimmen, oder - und das passiert sehr oft in dieser Nacht - ein Staat noch nicht ausgezählt ist oder "too close to call". Das lässt auch Moderatoren nicht unberührt, es macht sich Cheerleading-Atmosphäre breit. Bei der Verlesung der Ergebnisse wird die Stimme von ZDF-Moderator Christian Sievers bei Obama-Etappengewinnen immer höher, je später die Stunde schlägt.

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Bei RTL geht es derweil etwas ruhiger zu. Der Sender galt bei der US-Wahl 2008 als Gewinner der deutschen Senderkonkurrenz. Diesmal steht Peter Kloeppel seit ein Uhr vor einer irritierend kleinen Leinwand in einem fast menschenleeren Studio in Köln, bei ihm sein n-tv-Kollege Christoph Teuner. Während die Öffentlich-Rechtlichen diesmal klar auf Spektakel setzen, moderiert RTLs Veteran der Live-Übertragung nahezu emotionslos vor einer schlichten Präsentation und hält sich an seinem Tablet-PC fest, manchmal verschwindet sein Gesicht fast darin. Warum Obama nach vier Jahren Präsidentschaft bei RTL noch mal mit einem Steckbrief vorgestellt wird ("Alter: 51 Jahre", weitere Kategorien: "geboren in", "Ausbildung", und "Familie", nämlich "Frau Michelle, zwei Töchter"), wirkt dabei reichlich seltsam. Der Fokus liegt bei RTL eindeutig auf den Liveschaltungen zu den acht über die USA verteilten Reportern.

Studenten und Touchscreens

Die Technik und das Netz, sie erweisen sich als die bestimmenden Elemente dieser Wahlnachtberichterstattung. Im ZDF etwa erklären Jeanine Michaelsen und Blogger Sascha Lobo Twitter und was da sonst noch lauert im Netz, RTL stellt Kloeppel den Netzreporter Moritz Wedel zur Seite, und auch der weiß: "Deutschland ist Obama-Land". Andreas Cichowicz folgert gegen drei Uhr aus den Tweets Richtung ARD, "dass nur noch Studenten wach sind, aber bitte, posten Sie weiter, dann kommen Sie ins Fernsehen".

Die riesigen Touchscreens und Darstellungselemente entpuppen sich in den Morgenstunden als Nerventest für manchen Moderator. "Der Computer braucht manchmal etwas länger, um die Zahl einzuspeisen", hadert Kloeppel mit der Differenz zwischen Computer und Leinwand. Seine Kollegen könnten das Lied mitsingen - auch Jörg Schönenborn kämpft mit nicht funktionierenden Datenupdates, und ausgerechnet als es Schlag auf Schlag geht gegen 5:20 Uhr, streikt die Infografik des ZDF.

Wenige Minuten später melden alle deutschen Sender: Obama bleibt Präsident. Nach den langen Stunden des Wartens geht nun alles sehr schnell: In den Berliner Studios fallen sich Menschen in die Arme, die Korrespondenten werden für die ersten Analysen zugeschaltet, die Moderatoren der Nachtschicht atmen sichtlich auf.

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Sandra Maischberger freut sich zum ARD-Schichtwechsel um halb sechs über das "richtige Ergebnis", Matthias Opdenhövel bedankt sich beim Publikum, "das genauso spitze durchgehalten hat wie wir" - für ihn war das ganze ein bisschen wie "Warten aufs Christkind". Peter Kloeppel bleibt noch auf Sendung - seit wie vielen Stunden, das er hat um 6:45 Uhr "schon aufgehört zu zählen". Es sei nicht alles geplant für die Fernsehnacht, "wir wollen uns auch ein bisschen treiben lassen", hatte Claus Kleber aus Washington zum Anfang der Nacht angekündig, und: "Mein Bauchgefühl sagt, Obama gewinnt." Nun hat er mit beidem recht behalten.

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