Süddeutsche Zeitung

US-Serie "The Knick":Neues aus den Eingeweiden

Steven Soderbergh hat dem Kino abgeschworen und eine HBO-Krankenhaus-Serie gedreht. "The Knick" handelt von einem New Yorker Arzt um 1900 - und der ist so brillant und erfolgreich wie der Regisseur selbst.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Steven Soderbergh lacht, dann sieht er einen mit zusammengekniffenen Augen an und sagt: "Wenn du die ersten sieben Minuten aushältst, dann hast du es geschafft. Du bekommst ein Gefühl dafür, wie sich der Rest entwickeln wird. Wenn du damit ein Problem hast, dann solltest du besser nicht weitermachen."

Der Regisseur spricht über die Anfangssequenz der Serie The Knick, die vom 9. August an auf dem zu HBO gehörigen US-Bezahlsender Cinemax und in Deutschland wenige Stunden später bei SkyGo laufen wird. Es geht um die viszerale Bildsprache, die konsequente Weigerung Soderberghs, die Kamera abzuschalten, bevor sich dem Zuschauer ob all der entgegenschwappenden Eingeweide der Magen umdreht. Seine Sätze könnten allerdings auch ein Hinweis darauf sein, was einen in der kommenden Stunde erwarten wird.

Eine Unterhaltung mit Steven Soderbergh fühlt sich ein bisschen an wie eine Partie Schach gegen einen Computer, bei dem die kniffligste Schwierigkeitsstufe eingestellt ist: Nach dem eigenen Zug, also einer gestellten Frage, muss man ein paar Sekunden auf eine Reaktion warten. Soderbergh blickt zur Wand, als wären dort 5000 Varianten aufgelistet, aus der er nun die geeignetste auswählen muss. Dann präsentiert er die Antwort, die ein menschlicher Gegner wohl auch nach zwei Minuten Bedenkzeit nicht so hinbekommen hätte.

Soderbergh gilt aufgrund von Filmen wie Out of Sight, Erin Brokovich und Sex, Lies and Videotapes als einer der größten Regisseure unserer Zeit, für Traffic wurde er im Jahr 2000 mit dem Oscar ausgezeichnet.

Seine Ankündigung vor zwei Jahren, keine Kinofilme mehr drehen zu wollen, war für die Branche in etwa so schockierend wie die Trennung der Beatles - nur dass in Soderberghs Fall die komplette Filmbranche als Yoko Ono herhalten muss. "Ich will Projekte annehmen, die mich antreiben, die mir Angst machen, die mich faszinieren, bei denen ich gezwungen bin, neue Fähigkeiten zu lernen - das habe ich in der letzten Zeit bei Filmen nicht mehr gespürt", sagt er: "Man arbeitet monatelang an einem Projekt und bekommt dann am Freitagabend einen Anruf, bei dem einem mitgeteilt wird, dass es nicht funktioniert hat. Genau so läuft es: ein Anruf. Fertig." Er wirkt nicht wütend, als er das sagt, eher ein bisschen resigniert.

2012 drehte er für den TV-Sender HBO den Film Liberace über den gleichnamigen Pianisten. "Es ist sowohl ein philosophisches als auch kulturelles Problem", sagt er: "Wer ins Kino geht, will meistens nicht etwas sehen, das ihn spürbar herausfordert. Die Vorstellung, wie ein Mainstreamfilm auszusehen hat, ist gerade die falsche. Ich kann mir derzeit nichts vorstellen, was dafür sorgen könnte, dass ich es wieder aufregend finde, Kinofilme zu drehen."

Also wollte Soderbergh 2013 eine ausgedehnte Pause einlegen und andere Dinge machen. Er schrieb auf Twitter einen Roman, der unter dem Titel Glue nun auch als Buch erhältlich ist. Er brachte das Theaterstück The Library in New York auf die Bühne. Er wollte Maler werden: "Ich habe den Künstler Walton Ford in New York getroffen. Mitten auf der Straße. Einfach so." Ford brauchte Hilfe bei einer Graphic Novel, Soderbergh einen Lehrer. "Es hat Spaß gemacht, doch dann habe ich zwei Dinge bemerkt: Ich bin weit davon entfernt, ein wirklich guter Maler zu werden. Und ich habe erkannt, dass kein Mensch auf meine Bilder wartet. Dann kam das Drehbuch."

Inkompetentes Personal, ambitionierte Chefin

Es war die erste Folge von The Knick - einer Serie, die von einem Krankenhaus in New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts handelt. Der Protagonist John Thackerty (herausragend verkörpert von Clive Owen) ist ein brillanter Arzt, benötigt selbst jedoch Kokain und Opiate, um morgens überhaupt aufstehen zu können. Thackerty entwickelt neue Operationsmethoden und bastelt in einer unterirdischen Schmiede an Besteck, muss jedoch mit inkompetentem Personal und einer ambitionierten Chefin umgehen. Die Serie handelt vom Leben in New York zu dieser Zeit (Soderbergh: "Es war grausam, brutal - und kurz"), von wissenschaftlicher und technologischer Arroganz und dem kühlen Geschäft mit der Medizin. Es ist eine faszinierende Serie, die sich aufgrund des unsentimentalen Umgangs mit Krankheit und Tod sowie der magenkrümmenden Bilder abhebt von vielen Krankenhausdramen.

"Ich war der Erste, der dieses Drehbuch bekommen hat - und ich wusste, dass die zweite Person, die dieses Buch sieht, das Projekt annehmen würde", sagt Soderbergh: "Daraufhin musste ich dringend mit meiner Frau sprechen und eine Rede vorbereiten, weil ich ja eigentlich daheim bleiben wollte." Offenbar gab sie ihr Okay.

Es genügen tatsächlich die ersten sieben Minuten, um zu erkennen, dass es sich bei The Knick nur um ein Werk von Steven Soderbergh handeln kann: Wie Thackerty aus dem Drogenrausch erwacht, wie er sich arbeitsfähig spritzt, wie er zu Techno-Musik in einer Kutsche zum Krankenhaus fährt und dabei den Alltag in New York vor mehr als 100 Jahren beobachtet. Wie der Regisseur seinem Hauptdarsteller Clive Owen Raum lässt, Thackerty als arrogantes Arschloch zu porträtieren. Wie er Dialoge rhythmisiert, Szenen aus ungewöhnlichen Winkeln filmt und sie dann virtuos verbindet. Ein echter Soderbergh.

"Wir hatten zu Beginn eine riesige weiße Tafel aufgestellt. Wir haben die erste Idee um neun Uhr morgens des ersten Tages aufgeschrieben, plötzlich war es 18 Uhr am zweiten Tag - und wir waren fertig", sagt er: "Wir haben innerhalb von zwei Tagen einen kompletten Plan für die erste Spielzeit erstellt. Ich habe sogar ein Foto gemacht - das habe ich den Verantwortlichen gezeigt und gesagt: ,Das ist die Show!'" Soderbergh ist sich durchaus bewusst, dass er das Gehirn eines Schachcomputers hat, dass er knifflige Aufgaben in rasender Geschwindigkeit lösen kann und dass er Zusammenhänge erkennt, die andere nicht sehen. Er bekommt es natürlich auch ständig mitgeteilt, Clive Owen etwa sagt über ihn: "Ich habe kaum jemanden gesehen, der Probleme derart schnell erkennt und löst - und der so schnell und doch präzise arbeitet wie er."

Soderbergh hat sein Sabbatical verschoben, weil er etwas gefunden hat, das ihn mehr fasziniert als Kinofilme: "Je komplexer das Problem, desto mehr Spaß habe ich." Neben einer möglichen zweiten Staffel von The Knick arbeitet er gerade an den Serien The Girlfriend Experience (für den Sender Starz) und Red Oaks (für den Streamingdienst von Amazon). "Fernsehen hat sich einen Großteil der kulturellen Landschaft gesichert, die einst dem Film gehörte", sagt er: "Niemand spricht am Montagmorgen über Filme in der Art, wie derzeit über Fernsehen gesprochen wird."

So unprätentiös sich Soderbergh gibt, er gefällt sich auch in seiner Rolle als führender Kritiker des Mainstream-Kinos. Er kann es sich leisten, weil er künstlerisch wie wirtschaftlich nicht mehr abhängig ist von diesem System, dem er sich derzeit entzieht. Er hat die Stadt nicht verlassen. Er ist nur umgezogen in eine andere Gegend.

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SZ vom 06.08.2014/cag/rus
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